# taz.de -- Streit um Coronaregeln in Deutschland: Kommen oder bleiben? | |
> Die Kritik am Regelungswirrwarr für Urlauber aus deutschen Risikogebieten | |
> wächst. Länder wehren sich gegen Beherbergungsverbote. | |
Bild: Das Beherbergungsverbot sorgt für viel Kritik – bei den Reisenden und … | |
BERLIN taz | Zersplitterung, Flickenteppich, Kleinstaaterei – immer wieder | |
steht in dieser Pandemie das Für und Wider des deutschen Föderalismus im | |
Fokus. Dabei geht es um Grundsätzliches: Sollen die 16 Länder lieber selbst | |
entscheiden, oder ist mehr Einheitlichkeit besser? Das war im März so, als | |
es um Schulschließungen ging. [1][Das war im Frühsommer so, als es um | |
Lockerungen ging]. Und auch beim aktuell schwelenden Streit über die | |
Regelungen für Inlandsreisen ist das so. | |
Im Kern geht es dabei um eine Frage: Soll Menschen, die aus innerdeutschen | |
Coronarisikogebieten kommen – in denen also der Schwellenwert von 50 | |
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche überschritten wurde | |
(siehe Seite 3) –, Übernachtungen in Hotels und anderen Unterkünften | |
verwehrt werden? Die Kritik an der vor knapp einer Woche beschlossenen | |
Regelung nahm am Montag weiter an Fahrt auf. | |
An vorderster Stelle dabei sind jene vier Länder, die das | |
Beherbergungsverbot bislang nicht umsetzen, zum Beispiel der Stadtstaat | |
Bremen. „Reisebeschränkungen innerhalb Deutschlands halte ich für nicht | |
zielführend“, sagte die dortige Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard | |
(Linke) am Montag der taz. Zudem monierte sie ein „relatives Durcheinander | |
bei den einzelnen Regelungen“. Weiter mahnte die Linken-Politikerin: „Ein | |
Rückfall in Kleinstaaterei“ helfe niemandem. | |
Ähnliche Worte waren aus dem ebenfalls rot-rot-grün regierten Thüringen und | |
Berlin zu vernehmen. „Wir haben Hunderttausende Pendler jeden Tag. Die | |
begegnen sich im Einzelhandel, im Nahverkehr, auf der Arbeit. Und dann darf | |
ein Berliner aber zwei Tage nicht im Spreewald übernachten? Das macht alles | |
keinen Sinn“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) | |
im ZDF. | |
## Aus Mainz nach Köln, aber nicht zurück | |
Auch das schwarz-gelb regierte Nordrhein-Westfalen setzt die Regelung nicht | |
um. „Köln ist Risikogebiet, Mainz ist Risikogebiet. Aus Köln darf man nicht | |
nach Mainz fahren, aber aus Mainz darf man nach Köln fahren – weil wir im | |
Moment andere Regeln haben. Das wird niemand mehr verstehen“, sagte | |
Ministerpräsident Armin Laschet am Montag. Angesichts der wachsenden Zahl | |
von Risikogebieten appellierte der CDU-Politiker an die Bevölkerung, Reisen | |
in den Herbstferien gleich zu unterlassen – ein generelles | |
Beherbergungsverbot lehnte er jedoch ab. | |
Zwar gab es durchaus auch einige Stimmen, die das Beherbergungsverbot | |
verteidigten. So zum Beispiel Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), der | |
diese Maßnahme „unvermeidlich“ nannte. Auch die Ministerpräsidenten von | |
Niedersachsen und Bayern sprachen sich für den Reisebann aus. Doch selbst | |
der bayerische Regierungschef Markus Söder nannte die Regelung am | |
Sonntagabend in der ARD bloß eine „Notmaßnahme“. Für die kommenden Wochen | |
stellte der CSU-Politiker deutlichere Regeln in Aussicht. | |
Auch aus der Bundespolitik kam harsche Kritik. Der SPD-Gesundheitspolitiker | |
Karl Lauterbach sagte der Süddeutschen Zeitung: „Da wurde ein Fehler | |
gemacht, das müsste abgeräumt werden.“ Es existiere keine Studie, die zu | |
dem Schluss komme, dass [2][das Reisen innerhalb Deutschlands ein | |
Pandemietreiber] sei. Ähnlich ablehnend äußerten sich die | |
Bundestagsfraktionschefs von Linken und FDP. | |
Der Präsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard | |
Jung, forderte, das Verbot noch einmal kritisch zu beleuchten. Die Regelung | |
sei „nicht durchdacht, da wird man noch mal rangehen müssen“, sagte der | |
Sozialdemokrat den Zeitungen der Funke Mediengruppe. | |
## Inlandsreisen seien Pseudogefahr | |
Fehlende Klarheit monierte auch die Wirtschaft. So kritisierte Eric | |
Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, | |
die „unkoordinierten Regelungen“ führten zu enormer Verunsicherung bei den | |
Unternehmen. Ingrid Hartges, Chefin des Gaststättenverbandes Dehoga, nannte | |
es „völlig unbefriedigend“, dass es keine bundeseinheitliche Regelung gebe. | |
Bereits am Wochenende hatte der Chef der Kassenärztlichen | |
Bundesvereinigung, Andreas Gassen, gesagt, die Reisebeschränkungen seien | |
zur Eindämmung der Pandemie „überflüssig und auch nicht umzusetzen“. | |
Inlandsreisen seien eine „Pseudogefahr“. | |
Unübersichtlich wird die Lage auch deshalb, da angesichts stetig wachsender | |
Risikogebiete auch die Zahl der Menschen, für die dieser faktische | |
Reisebann gilt, quasi stündlich zunimmt. Das Beherbergungsverbot umgehen | |
können Reisende nur dann, wenn sie einen negativen Coronatest vorweisen | |
können, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Letzteres hat jedoch in | |
den vergangen Tagen zu einem Ansturm auf Arztpraxen geführt – in der | |
Hoffnung, den Urlaub doch noch retten zu können. | |
Dabei warnen inzwischen die Hausärzte vor einer Überlastung. Die | |
Hausarztpraxen seien bereits „voll ausgelastet“, sagte der Chef des | |
Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, am Montag. „Hinzu kommen | |
jetzt Familien, die zu Recht in den Urlaub fahren wollen und um schnelle | |
Coronatests bitten.“ | |
## Tests lieber für Risikopatienten | |
Weiter kritisierte er: „Vielen Landesregierenden scheint es nicht bewusst | |
oder sogar egal zu sein, dass wir die Testkapazitäten dringend für unsere | |
Patienten, vornehmlich natürlich die Risikopatienten, sowie Mitarbeitende | |
im Gesundheitswesen brauchen.“ Weigeldt forderte klare, einheitliche | |
Strategien. | |
Wie es nun weitergeht, dürfte sich bereits an diesem Mittwoch zeigen. Dann | |
wollen sich die Länderchefs wieder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) | |
zusammenschalten, um das weitere Agieren in der Pandemie zu besprechen. | |
Regierungssprecher Steffen Seibert teilte am Montag mit, dass auch das | |
Beherbergungsverbot dann auf der Tagesordnung stehen wird. | |
12 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Godeck | |
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das für falsch. |