# taz.de -- Emigration aus Belarus: Wie Pickel im Gesicht | |
> Der Staat treibt Kritiker*innen ins Exil. Damit spaltet er die | |
> Zivilgesellschaft. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. | |
> Folge 69. | |
Bild: Solidarität mit inhaftierten weiblichen Oppositionellen in Minsk am 14. … | |
Die belarussische Staatsmacht versucht die Intellgenzija aus dem Land zu | |
vertreiben: Journalist*innen, Aktivist*innen, Ärzt*innen, Jurist*innen, | |
Künstler*innen und andere nicht gleichgültige Menschen, von denen | |
bekannt geworden ist, dass sie ihre eigene politische Meinung haben. | |
Diejenigen, die die Proteste unterstützt haben, wurden [1][straf- und | |
zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen]. Aus Angst davor ins Gefängnis zu | |
müssen, waren sie gezwungen das Land zu verlassen. | |
Es ist doch nicht normal, dass man, sobald man von der Miliz oder der | |
Ermittlungsbehörde eine Vorladung zu einem „Gespräch“ erhalten hat, sich | |
folgende Schritte überlegen muss: Auf der Seite des Innenministeriums | |
nachsehen, ob du ausreisen kannst und überprüfen, in welchen Ländern es | |
einen „grünen Korridor“ gibt bzw. ob man einen Covid-Test direkt auf dem | |
Flughafen machen kann. | |
Wir fühlen uns wie Pickel im Gesicht eines Teenagers, die heraus gedrückt | |
und mit einem „rot-grünen Antiseptikum“ betupft werden müssen. Das ist | |
fürchterlich – über Nacht alles aufzugeben und auf unbestimmte Zeit | |
Zuflucht in einem fremden Land zu suchen. Das sind ein wahrhaft | |
psychologischer Angriff und ein Versuch, Menschen im Falle einer | |
unmittelbaren Bedrohung vor eine Wahl von ungeheurer Tragweite zu stellen. | |
Mit ihrem Versuch, einen Keil in die Zivilgesellschaft zu treiben, hat die | |
Staatsmacht Erfolg. Denn die, die geblieben sind, prangern diejenigen an, | |
die weggegangen sind. Entsprechend negativ werden auch deren Äußerungen und | |
Taten bewertet: Ist schon toll, zu etwas aufzurufen und andere zu | |
verurteilen, wenn man selbst in Sicherheit ist und nicht auf die Straße | |
geht – immer mit dem Gedanken, festgenommen werden zu können.“ | |
„Ich habe bemerkt, dass ich nach meiner Ausreise die ganze Zeit über | |
Schuldgefühle habe. Weil ich in Sicherheit bin, weil ich den Wind und die | |
Sonne genießen, mir Pizza, ja sogar Wein kaufen kann. Weil ich die | |
Möglichkeit habe, mit mir nahe stehenden Menschen zu sprechen. Gleichzeitig | |
aber sitzt eine große Anzahl von Belaruss*innen im Gefängnis. Und da | |
wurde mir plötzlich klar, dass das so nicht geht. Sich jeden Tag selbst zu | |
zerstören und nicht das Leben wahrzunehmen, das auch gut sein kann und dir | |
endlose Lektionen erteilt. Eigentlich ist jeder von uns für die Vorgänge | |
verantwortlich und jeder tut, was er kann. Als wir zum Lärm von Granaten | |
durch die Straßen liefen, trank jemand im Wohnzimmer Kaffee, dachte sich, | |
ich pfeife auf das Regime und glaubte dabei wohl, das müsse so sein. Die | |
Unmöglichkeit, Mitstreiter*innen zu retten und sich schuldig zu fühlen, | |
muss zu etwas Anderem werden. Zu Briefen, Texten, Gesprächen“, sagt die | |
Schriftstellerin und Journalistin Anna Slatkowskaja. | |
Die Geschäftsfrau Ksenia Fjodorowa schreibt auf Facebook: „Die Jugend geht | |
ohne an eine Rückkehr zu denken. Die Perspektive von Minsk ist, zu einem | |
verlassenen Dorf zu werden, in dem nur noch alte böse Frauen zurückbleiben | |
werden, so wie ich eine bin (wer Ksenia kennt, weiß, dass das Sarkasmus | |
ist, Anm. d. Autorin) und eine Bande verblödeter Vertreter des | |
Sicherheitsapparates.“ | |
Unter diesem Post gab es fast 500 Kommentare. Hier eine Auswahl davon, den | |
sie sprechen für sich und zwar davon, was in den Seelen der | |
Belaruss*innen vorgeht. | |
„Ich bin eine pathologische Optimistin. Ich versuche gar nicht daran zu | |
denken. Selbst wenn ich fort ginge, für was wäre das gut? Nein, die | |
Versuchung, den Sieg hier zu erringen, überlagert alle Gedanken daran fort | |
zu gehen.“ | |
„Im Sommer haben wir alle gesehen, wie schön, stark und vereint wir waren | |
und sein können. Und wie danach [2][an den Fenstern Flaggen aufgetaucht | |
sind] und Hoffnung in unseren Herzen.“ | |
„Ich habe gedacht: Mit wem werde ich ein uneheliches Verhältnis eingehen? | |
Drei Länder haben mir politisches Asyl angeboten….aber ich habe alle drei | |
Offerten abgelehnt.“ | |
„Die kommenden Jahre werde uns nichts Gutes bringen. Der Staatshaushalt | |
wird vor allem durch Geldstrafen aufgefüllt. Worauf soll man warten? Nur | |
das physische Verschwinden eines Unmenschen (gemeint ist Präsident | |
Alexander Lukaschenko, Anm. d. Red.) wird dieses Territorium retten. So | |
bedauerlich das auch sein mag.“ | |
„Wir haben bis zum 9. August darüber nachgedacht. Jetzt weiß ich ganz | |
genau, dass nicht ich es bin, der weggehen sollte. Warum sollten ich IHNEN | |
mein Land überlassen? Dann werden wir niemals Herren in unserem Land sein, | |
sondern nur fremde Migranten in anderen Staaten. Und wenn ich mich dafür | |
entscheide, meinen Ruhestand an der spanischen Küste zu verbringen, dann | |
nicht, weil sie mich aus Belarus heraus geekelt haben, sondern weil ich das | |
so will.“ | |
„Es ist peinlich irgendwohin zu fahren und zu sagen: „Wir haben es bei uns | |
nicht hinbekommen.“ Viele Europäer verstehen überhaupt nicht, was bei uns | |
passiert, weil sie sich so etwas nicht vorstellen können. Sie betrachten | |
Rechte und Freiheiten als etwas Gegebenes.“ | |
„Wohin sollte ich in meinem reifen Alter schon gehen? Ich will das nicht. | |
Das ist meine Stadt. Mein Land. Ich liebe das alles und will hier leben. | |
Hier sind meine Bücher, meine Musik und meine Katzen. Und natürlich mein | |
Vater. Deshalb zieht es mich nirgendwo hin. Und es gibt kein | |
Aufnahmezentrum für Geflüchtete wo man anfangen kann mit „das sind meine | |
Katzen, sie sind zu viert, sie brauchen Vitamine, einen Psychotherapeuten | |
und Ethnomusik.“ | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
17 Mar 2021 | |
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