Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Demo für Umverteilung: Wie angelt man sich einen Millionär?
> Am Samstag mobilisiert deshalb das Bündnis „Wer hat, der gibt“ bundesweit
> zu Demos. Zumindest ein Berliner Millionär findet das Anliegen
> verständlich.
Bild: Die rechte und linke Hand der Millionärin Carmen Geiß
Zugegeben, so richtig einladend dürfte der Fragebogen für Reiche des
Protestbündnisses [1][„Wer hat, der gibt“] nicht sein. Millionär:innen
sollen dort ankreuzen, ob sie Einkommens- oder Vermögensmillionär:innen
sind, ob ihr Reichtum aus Erbschaft, Ausbeutung oder Spekulation stammt,
und natürlich, wo ihr Geld steckt: in einem Steuerparadies, einer
Charity-Stiftung, „euren Wohnungen“ oder undurchsichtigen Firmengeflechten.
Das Bündnis gegen soziale Ungleichheit fordert, dass die Reichen für die
Krise zahlen müssen, und ruft Millionär:innen dazu auf, sich an den
Protesten unter dem Titel „Wer hat, der gibt“ zu beteiligen, die an diesem
Samstag in mehreren deutschen Städten stattfinden.
Allerdings hat sich bisher kein:e Millionär:in bei der Gruppe gemeldet.
Dabei hat sich das Bündnis viel Mühe gegeben, Kontakt aufzunehmen:
Besonders nett waren dabei persönlich adressierte und per Hand in
Schönschrift verfasste Briefe, die es mit der Bitte um Solidarität in der
Krise an 24 Reiche in Berlin verschickt hat. Wegen der Coronapandemie drohe
ärmeren Menschen der finanzielle Notstand, obwohl sie die Gesellschaft
durch die Krise getragen hätten: wie etwa Beschäftigte in Pflege- und
Gesundheitsberufen, im Einzelhandel, in der Landwirtschaft oder in den
Fabriken.
Im Brief heißt es: „Es ist keine Option, uns zur Kasse zu bitten, während
wir unseren Kellner:innenjob verloren haben und uns die Miete nicht mehr
leisten können. Ihr dagegen schwimmt im Geld. Wir kommen nur durch die
Krise, wenn Eure Geldspeicher zu öffentlichen Schwimmbädern werden.“
Die Reichen hätten die Chance, sich auf die richtige Seite zu stellen und
am dem bundesweiten Aktionstag am 19. September 2020 auf die Straße zu
gehen. In Berlin startet die Demo um 18 Uhr am Adenauerplatz. Man lade die
Reichen ein, „in einem eigenen Millionär:innenblock“ mitzudemonstrieren –
denn: „Wer hat, der gibt.“
Dennoch wird ein Reichen-Block in Berlin jedenfalls nicht zustande kommen,
wie es aussieht. Martin Richter, Sprecher des Berliner Bündnisses, sagt der
taz: „Trotz des ironischen Untertons im Fragebogen ist es uns durchaus
ernst mit dem Aufruf, dass Reiche sich ihrer besonderen Verantwortung
stellen sollen.“ Reichtum sei als Ursache sozialer Ungleichheit ein
Problem. Die ausgebliebenen Rückmeldungen von Millionär:innen bestärken das
Bündnis in der Auffassung, dass Reiche an gesellschaftlicher Gerechtigkeit
eher wenig Interesse hätten, sagt Richter: „Gesellschaftlicher Wandel und
effektive Umverteilung von oben nach unten muss von unten erkämpft werden.“
Ein Problem sei gewesen, überhaupt die richtigen Adressat:innen für die
Briefe auszumachen, sagt Richter. Sie hätten gerne mehr Einladungen
verschickt, „aber es ist so gut wie unmöglich, an Millionär:innen
heranzukommen.“
Umso wichtiger ist den Aktivist:innen ihre Kritik: Anders als beim
Bankencrash 2009 müsse die Finanzierung dieser Krise solidarischer sein als
die staatliche Rettung von misswirtschaftenden Banken. Die Lage ist diesmal
aus Richters Sicht deutlich anders: „In dieser Gesundheitskrise hat sich
gezeigt, dass es viel gesellschaftliche Solidarität gibt.“ Allein durch das
Einhalten der Hygienemaßnahmen hätte der überwiegende Teil der Bevölkerung
praktische Solidarität gelebt.
„Im Diskurs gab es eine klare Fixierung auf die Säulen der Gesellschaft:
auf Lkw-Fahrer, Reinigungskräfte, Pflegepersonal, Kassierer:innen. Das ist
eine andere Ausgangslage als beim Bankencrash.“ Aber natürlich wollten
Arbeitgeberverbände und die üblichen Verdächtigen, dass man „an den
Mindestlohn rangehe“. Ebenso wolle Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die
aufgenommenen Schulden innerhalb von 20 Jahren durch Sparmaßnahmen wieder
tilgen: „Wir wissen, dass der Staat ohne Gegenprotest das Gleiche abziehen
würde wie 2009“, so Richter.
## Erbschaften wieder besteuern
Ideen, wie es anders laufen könnte, hat das Protestbündnis auch: „Wir
wollen eine Wiedereinführung der seit 1996 ausgesetzten Vermögensteuer,
durch die dem Staat jährlich Milliarden durch die Lappen gehen. Zudem
müssen Erbschaften wieder effektiv besteuert werden.“ Der Großteil der
Reichen sei durch Erbschaften reich geworden: „Diese Vermögen wurden aber
gesellschaftlich produziert.“
Die Vermögensteuer wird seit 1997 nach einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts wegen Widersprüchen bei Immobilienbesitz nicht
mehr erhoben. Eine Reform lehnte die damals regierende CDU ab. Das
Vermögensteuergesetz gilt zwar formell noch, wird seither aber nicht mehr
angewendet. Auch deswegen gibt es keine zuverlässigen Zahlen darüber, wie
groß der Reichtum in Deutschland wirklich ist, sondern nur Hochrechnungen.
Doch auch die sind bereits erschreckend: Nach der jüngsten [2][Studie des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung] besitzt allein das reichste
Prozent der Bevölkerung rund 35 Prozent des Reichtums. Den obersten 10
Prozent gehören 67,3 Prozent des Vermögens, den unteren 50 Prozent nur
eins: im Schnitt 3.682 Euro.
[3][Eine Wiedereinführung] der Vermögensteuer könnte nach Ansicht viele
Wissenschaftler:innen diese Reichtumskonzentration immerhin verlangsamen.
Zuletzt sprach sich die SPD dafür aus. Nach ihren Berechnungen würden die
Einnahmen bei 10 Milliarden Euro jährlich liegen.
Richter von „Wer hat, der gibt“ spricht sich ebenso für eine effektivere
Besteuerung von Unternehmen aus. Als Beispiel nennt er das
Immobilien-Unternehmen Pears Global, das Tausende Wohnungen in Berlin
besitze, am Ku’damm residiere, aber in Berlin keine Steuern zahle. Akut sei
in der Coronakrise auch eine [4][einmalige Vermögensabgabe] denkbar, wie
sie bereits von SPD und Linken gefordert wurde. „Wir wollen schlussendlich
die Wirtschaft demokratisieren und stehen auch Enteignungen zustimmend
gegenüber“, so Richter.
Reichtum sei die Ursache für Ungleichheit und Armut. Die zunehmende
gesellschaftliche Schieflage berge das Risiko weiterer ökonomischer Krisen
und auch gewaltvoller Konflikte. „Deshalb ist es auch die Aufgabe von
Reichen, Ungleichheiten abzubauen. Letztlich ist es auch ihre
gesellschaftliche Verantwortung in einer Demokratie“, sagt Richter. Auch
wenn sich noch keine Reichen gemeldet hätten, würde er sich freuen, wenn
welche auf der Demo mitlaufen würden.
## „Tax us“
Immerhin: Unter dem Eindruck der Pandemie haben sich kürzlich viele
Millionär:innen in einem offenen Brief zu den ungerechten Verhältnissen
geäußert. [5][„Millionaires for Humanity“] heißt das amerikanische Bünd…
das eine höhere Besteuerung von Reichen fordert: „So please. Tax us. Tax
us. Tax us“, heißt es in dessen Schreiben, das weltweit für Schlagzeilen
gesorgt hat. Auch sieben deutsche Millionär:innen haben diesen
unterschrieben: Mariana Bozesan, Christian Hansen, Gerd Hofielen, Dieter
Lehmkuhl, Cédric Schmidtke, Antonis Schwarz und Ralph Suikat.
Einer davon lebt in Berlin: Gerd Hofielen hat nicht geerbt, sondern sein
Geld selbst verdient. Er ist Geschäftsführer der Humanistic Management
Practices, einer ethisch orientierten Unternehmensberatung in Zehlendorf.
Hofielen will sein Geld nicht vererben, sondern mit warmen Händen für die
gute Sache ausgeben, wie er sagt – etwa mit seiner Stiftung.
Hofielen spricht sich für eine gerechtere Besteuerung der Reichen aus: „Ich
zahle auch nicht gerne Steuern, aber der Staat präferiert die Begüterten.“
Gerade in Deutschland hätten Reiche viel mehr Möglichkeiten, bei den
Steuern zu manipulieren – etwa mit Stiftungen, so Hofielen: „Ich habe
selber eine Stiftung und kenne die Möglichkeiten, damit die Steuerzahlungen
zu reduzieren.“
Dabei seien die Reichen mit Stiftungen meist noch die
gesellschaftsfreundlicheren. „Unter den Reichen gibt es auch Hartgesottene,
die ihre Vermögen in Steueroasen verstecken. Wir brauchen effektive
Gesetze, um das zu verhindern“, sagt Hofielen. Zwangsmaßnahmen wie den
politisch umstrittenen Ankauf von Steuer-CDs hält er für legitim.
Allerdings gebe es auch viele Reiche mit einem Gefühl für Gerechtigkeit,
sagt Hofielen. „Es müsste mehr Wege geben, reiche Menschen davon zu
überzeugen, dass sie eine ethische Chance haben, mehr beizutragen als der
Staat ihnen abverlangt.“ Dafür gehört für Hofielen auch der Dialog mit den
Millionär:innen: „Man kann ja nicht immer nur unterstellen, dass Reiche
bekloppt sind oder unwillig.“
Ob er sich allerdings am Samstag an der Demo beteiligen wird, weiß Gerd
Hofielen noch nicht. Er wolle sich zunächst die Website des Bündnisses
anschauen, sagt er. Vielleicht findet sich also doch noch eine Person für
den Millionär:innenblock.
18 Sep 2020
## LINKS
[1] https://werhatdergibt.org/millionaer-in/
[2] /Studie-zu-Verteilung-von-Vermoegen/!5695974
[3] /Ungleichheit-bei-Vermoegen-in-Deutschland/!5695967
[4] /Faire-Hilfen-in-der-Pandemie/!5673714/
[5] http://(https://www.millionairesforhumanity.com/
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Reichtum
Schwerpunkt Armut
Millionäre
Vermögenssteuer
Wer hat der gibt
Erbschaftssteuer
Wer hat der gibt
Reichtum
Reichtum
Vermögen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Erbe Antonis Schwarz über Umverteilung: „Fünf Millionen jucken die nicht“
Antonis Schwarz hat ein Millionenvermögen geerbt. Doch statt für
Superyachten interessiert er sich für eine gerechte Gesellschaft und
Klimaschutz.
Demonstrationen von „Wer hat, der gibt“: Ungleichheit ist kein Naturereignis
In Berlin und anderen Städten zieht das Bündnis „Wer hat, der gibt“
Tausende auf die Straßen. Gefordert wird eine Umverteilung des Reichtums.
Reichtumsforscher über Berlin: „Abstammung war hier nie so wichtig“
Reichtum entstand in Berlin vor allem mit während der Industrialisierung
erfolgreichen „Selfmademen“, sagt der Potsdamer Historiker Hanno Hochmuth.
Berlin und seine Millionär*innen: Die Stadt der Reichen
Mit seiner Armut hat sich Berlin lange geschmückt – und das Problem
Reichtum ignoriert. Den muss aber im Blick haben, wer soziale Gerechtigkeit
will.
Studie zu Verteilung von Vermögen: Armes Deutschland
Vermögen ist in Deutschland extrem ungleich verteilt, zeigt eine
DIW-Studie. Die ärmere Hälfte besitzt nur rund ein Prozent des gesamten
Nettovermögens.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.