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# taz.de -- Die Wahrheit: Wimpernklimpernde Kontinente
> Wer in der Subduktionszone des Lebens angekommen ist, braucht eine
> gehörige Portion Laissez-Faire, um stillvergnügt zu überleben.
Als Alter-weißer-cis-het-Mann befinde ich mich in der Subduktionszone des
Lebens. Je älter und weißer ich werde, umso weniger verstehe ich von der
Welt. In der Geologie bezeichnet die Subduktion das Abtauchen einer
tektonischen Platte in den darunter liegenden Teil des Erdmantels, während
sie gleichzeitig von einer angrenzenden Platte überfahren wird. Neue
Kontinente entstehen, die mich nichts mehr angehen. Loslassen können. It
feels good.
In meinem Fall sind das digitale Kontinente. Auf der idiotischen Plattform
Tiktok beispielsweise geben sich derzeit Idiotinnen als Opfer des Holocaust
aus. Sie schminken sich die Wangen hager und Ränder unter die Augen,
klimperwimpern kokett-keck in die Kamera und tun so, als wären sie im
Himmel, von wo sie Mitleid heischend aus der Gaskammer berichten. Ich habe
Schwierigkeiten, das zu verstehen. Also lasse ich es. Geht mich nichts an.
It’s none of my business.
Aus Gründen seelischer Hygiene habe ich meinen Namen noch nie in das
Suchfeld bei Google eingegeben. Wenn ich das mal erwähne, glaubt es mir
kein Mensch. Glaubhafter wäre inzwischen sogar die Behauptung, noch nie im
Leben onaniert zu haben. Das kann sein. Aber auf den narzisstischen Blick
in den Teich verzichten? Das ist wunderlich. Dabei halte ich das krankhafte
Interesse am binären Avatar in psychischer Hinsicht einfach nur für
abschüssig. I don’t care.
Neulich meinte eine Kollegin verwundert, auf Wikipedia stünde über mich,
ich sei noch Inlandskorrespondent dieser Zeitung. Was ich längst nicht mehr
bin. Ich wusste nicht einmal, dass ich eine eigene Seite bei Wikipedia
„habe“. Keine Ahnung, was da über mich steht oder wer dort etwas
hinschreibt. Wo ich doch schon seit Jahren mit dem Cirque d’Arnaud durch
Quebec ziehe und dressierte Maulaffen durch brennende Reifen springen
lasse! The show must go on.
Soll ich nun ernsthaft anfangen, das zu „aktualisieren“? Muss ich das nun
korrigieren und kuratieren, als wäre ich meine eigene Ausstellung? Ich kann
mich nicht erinnern, die Hoheit über meine Identität irgendwelchen anonymen
Knalltüten überantwortet und ins Netz verlagert zu haben. I don’t give a
fuck.
Seit einer Weile bekomme ich von verschiedenen Maklern per Mail schöne
Zweizimmerwohnungen in Köln angeboten. „Frau Rosi Kirilova“, heißt es dan…
in Nippes oder Ehrenfeld wäre etwas frei. Rosi Kirilova ist eine
bulgarische Schlagersängerin. Keine Ahnung, was hier vor sich geht. Muss
ich mich kümmern? Mir sogar Sorgen machen? I don’t give a flying fuck.
Allerdings ist dieses Apartment in Deutz wirklich entzückend. Erdgeschoss,
nur 450 Euro warm, keine Kaution. Vielleicht ziehe ich dorthin und lebe
künftig das Leben der Rosi Kirilova. Sie wird mich lehren, endgültig
loszulassen. Now or never.
28 Aug 2020
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
TikTok
Holocaust
Männer
Schwerpunkt Coronavirus
Kolumne Die Wahrheit
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Buchmarkt
Katharina Thalbach
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