# taz.de -- Freilichtkino in Berlin Hellersdorf: Großes Kino vor großen Platt… | |
> Eine Künstlergruppe bringt Garagenkultur aus dem nördlichsten Russland | |
> nach Berlin-Hellersdorf. Es ist ein Zusammenprall, der berührt. | |
Bild: Still aus dem Film „Garagenvolk“ von Natalija Yefimkina | |
Der Blick von der Brache direkt gegenüber der Gemeinschaftsunterkunft in | |
der Maxi-Wander-Straße in Hellersdorf richtet sich auf Platten. Allerdings | |
handelt es sich nicht um die Plattenbauten vor Ort, sondern um Platten im | |
nördlichsten Zipfel Russlands. Dort, rund um Murmansk, also nördlich vom | |
Polarkreis, bleibt es sechs Wochen im Winter dunkel. Und genau dort hat die | |
in der Ukraine geborene und in Berlin lebende Regisseurin Natalija | |
Yefimkina ihren Debütfilm „Garagenvolk“ gedreht, der auf der Berlinale im | |
Februar den Heiner-Carow-Preis abräumte. Nun darf die „Station urbaner | |
Kulturen“ den Film hier unter freiem Himmel zeigen – und der Effekt, der | |
Zusammenprall der Gepflogenheiten hier in Hellersdorf und dort in Russland | |
ist erstaunlich. | |
Seit mehr als fünf Jahren ist die [1][„Station urbaner Kulturen“] in | |
Hellersdorf aktiv – eine Projektgruppe, die aus dem Kreuzberger Verein neue | |
Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) hervorgegangen ist. Es gehe darum, | |
„die soziale und urbane Situation mit künstlerischen Mitteln zu erkunden“, | |
sagt Mitinitiator Jochen Becker. So eröffnet noch am Samstag am U-Bahnhof | |
Cottbusser Platz die Ausstellung [2][„Revision: Peripherie als Ort“] mit | |
Fotoserien von Helga Paris und Ulrich Wüst, die erstmals 1999 gezeigt | |
wurden. Ein anderes Beispiel: Zuletzt half die Projektgruppe geflüchteten | |
Menschen aus Afghanistan und Pakistan, eine Kricket-Mannschaft aufzubauen – | |
der AC Berlin gehört inzwischen in der Regionalliga zum oberen Mittelfeld. | |
Trotz des nasskalten Wetters sind mehr als 20 Leute zum Freiluftkino | |
gekommen – und das Gelächter ist groß, als die ersten Szenen auf der | |
improvisiert wirkenden Leinwand zu sehen sind. Regisseurin Natalija | |
Yefimkina zeigt eine Handvoll zunächst skurril wirkender Männer, die ihre | |
Garagen als kleine Fluchten vor ökonomischer Not, politischem Frust und | |
ödem Alltag nutzen. | |
Doch schnell wird klar, dass sie hier weit mehr tun als einfach nur Ikonen | |
schnitzen, Wachteln züchten oder mit ihrer Band proben – die Zuschauer in | |
Hellersdorf hören entsprechend schnell auf, nur zu kichern über | |
vermeintliche Seltsamkeiten. Im Grunde handelt die genau beobachtende | |
Dokumentation von Leuten, die es auf der untersten, alltäglichsten Ebene | |
schaffen, allen Widrigkeiten zum Trotz Eigeninitiative zu zeigen. Sie geben | |
sich nicht mit dem zufrieden, was ihnen zugewiesen wurde. Sie haben sich | |
etwas angeeignet, das weit über ein ökonomisches Zubrot hinausgeht. | |
## Die zentrale Frage | |
„Der Bezirk begegnet unserer Arbeit mit Wohlwollen, und wir sind dankbar, | |
diese Brache kostenlos nutzen zu dürfen“; sagt Jochen Becker von der | |
Projektgruppe, „aber im Grunde zeigt weder die Verwaltung noch die | |
Bevölkerung viel Initiative“. Genau darum hat die Gruppe den Film | |
„Garagenvolk“ ausgesucht. Er wirft sehr viele, aber vor allem eine zentrale | |
Frage auf – nämlich die nach dem Rückzug ins Private in einem Bezirk, dem | |
es sehr gut täte, wenn etwa auf den vielen Grünflächen urbane Gärten | |
entstünden, wenn die Leute die vor 30 Jahren verschwundene sozialistische | |
Schattenwirtschaft reanimieren und der Gegenwart anpassen würden – und sei | |
es nur in Form von Hand- und Spanndiensten. | |
Es gibt eine Szene in „Garagenvolk“, die diesbezüglich sehr berührend ist. | |
Der Wachtelzüchter wird von einer Bekannten gefragt, was er anders machen | |
würde, wenn er noch mal von vorn anfangen dürfte. Darauf sagt er nur, er | |
sei glücklich mit dem, was er hat, es sei immerhin alles seins gewesen. | |
Im Grunde ist diese Aneignung genau das Thema, das in Siedlungen wie in | |
Hellersdorf, einer der ärmsten Gegenden der Stadt, jetzt besprochen werden | |
muss. Es wäre daher mehr als naheliegend, wenn auch die „Station urbaner | |
Kulturen“ ein wenig von dem 7-Millionen-Euro-Stipendienprogramm abbekommen | |
würde, das Kultursenator Klaus Lederer (Linke) derzeit unter dem Motto | |
„Initiative Draußenstadt“ an künstlerische Projekte im Stadtraum verteilt. | |
6 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://ngbk.de/de/show/425/station-urbaner-kulturen-und-archiv | |
[2] https://ngbk.de/de/show/437/revision-peripherie-als-ort | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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