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# taz.de -- Schulstart trotz Corona in Niederlanden: Breitband ist nicht alles
> Die Niederlande gelten als Vorbild in Sachen digitalisierte Schule. Doch
> in der Coronakrise strauchelten Schulen und Schüler selbst hier.
Bild: Unterricht 2020: Schüler an einer Grundschule in Den Haag lernen, richti…
Amsterdam taz | Auch in den Niederlanden [1][beginnen in diesen Wochen die
Schulen]. Für die Sekundarstufe ist es die Wiedereröffnung nach der ersten
Coronawelle, wogegen die Grundschulen vor den Ferien schon mit geteilten
Klassen experimentierten. Dominiert wird der Start von der Diskussion über
Gesichtsmasken und Lüftung der Klassen. Über allem schwebt die Frage: Wie
geht es weiter mit dem digitalen Lernen, oder wie man hier sagt: onderwijs
op afstand (Unterricht auf Distanz)?
In Deutschland sieht man die [2][Niederlande bei diesem Thema gerne in
einer Vorreiterrolle], aufgeschlossen gegenüber Neuem und
experimentierfreudig. „Die technische Infrastruktur ist bis in den letzten
Winkel gegeben“, heißt es etwa auf dem Techportal chip.de. „Die
Verantwortlichen sind bereit, Geld für die digitale Aufrüstung der Schulen
in die Hand zu nehmen. Und gerade die jüngeren Lehrer haben keine
Berührungsängste vor Medien, die ohnehin jeder nutzt. Laptop und
Lernsoftware gehören schon an der Grundschule zum Alltag.“
Wie aber sieht das in der Praxis aus, wo der onderwijs op afstand der
letzten Monate kein Thema war, bei dem sich Schulen als
innovationsfreundlich profilieren konnten, sondern urplötzlich die einzige
Option?
Wilfred van Gerrevink, Grundschullehrer aus Haarlem, beschreibt die
Situation stellvertretend für viele als „ziemlichen Schock“ und „sehr
gewöhnungsbedürftig“. Er lobt die klare Kommunikation zwischen Team und
Schulleitung, stellt aber auch fest, dass manche Kinder schwer zu erreichen
waren und zu Hause nicht über gute Computer verfügten.
## Vorbereitungen für den Teillockdown
„Vor allem sozial vermissten die Kinder viel, saßen oft drinnen, sprachen
und spielten wenig mit ihren Freunden“, so van Gerrevink, der unter anderem
Rechnen, Schreiben und Lesen unterrichtet. In der nördlichen Region, wo er
arbeitet, ist das neue Schuljahr nun zwei Wochen alt. Die Perspektive ist
unsicher, in den Ferien stiegen die Infektionszahlen wieder an: „Wir gehen
von einem Teillockdown aus.“ Das Thema wird voraussichtlich bald wieder auf
den Tisch kommen.
In der Grundschule De Cascade in Voorburg bei Den Haag, wo in dieser Woche
wieder die Schule beginnt, ist man vorbereitet. Dort hat die Krise bewirkt,
dass man bestehende Pläne eines maßgeschneiderten Unterrichts auf digitalem
Weg schneller umsetzte.
„Wir merkten, dass die meisten Kinder wenig Mühe hatten, Aufgaben aus der
Distanz zu erledigen. Gerade bei einigen Schülern mit ADHD
(Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivität; die Red.), die in der Schule
Probleme haben, sich zu konzentrieren, lief das Zu-Hause-Arbeiten zu
selbstbestimmten Zeiten perfekt. Viel mehr Schüler als wir gedacht hatten,
fanden diese Wahlmöglichkeit gut“, so Direktor Moesin Laghmich.
Zum neuen Schuljahr will man Geld und Zeit investieren, um allen 340
Kindern einen eigenen Laptop zur Verfügung stellen, und „völlig
personalisiert arbeiten“, so Laghmich im Gespräch mit der taz. „Wir wollen
jetzt den Moment nutzen und viel weniger frontal unterrichten.“ Stattdessen
setzt man auf kleine, klassenübergreifende Lerngruppen. Ein Teil des Stoffs
soll aber weiter digital vermittelt werden, was das individuelle Niveau der
Schüler berücksichtige – „und es bereitet sie auf einen neuen Lockdown
vor“.
Solchem Enthusiasmus steht auch einige Skepsis entgegen. Die Gewerkschaft
Algemeen Onderwijsbond (AOb) führte zwischen März und Juni fünf
Mitgliederbefragungen durch. Daraus geht Stolz auf den unter erschwerten
Bedingungen und Zeitdruck organisierten Distanzunterricht hervor, aber auch
Klagen über hohen Druck, Unsicherheit ob der ungewohnten Tätigkeiten und
Sorge um die oft anfälligen Schüler, welche sie in dieser Phase aus dem
Blick verloren.
## Vermeintlich digitales Musterland
AOb-Sprecherin Esther Sloots weist darauf hin, dass [3][Distanz- und
Online-Unterricht] nicht zwangsläufig dasselbe sind, und es im
wissenschaftlichen Bereich schon Beispiele für digitalisiertes Lernen bei
physischer Anwesenheit gebe. Sie betont, gerade die Coronakrise habe den
Wert von „Live-Interaktion und Schülern wirklich in die Augen schauen
können“ gezeigt. Sorge bereitet ihr, dass Abstandsunterricht in der Zukunft
als Mittel gegen Lehrermangel ins Bild kommen könnte. „Das ist nicht
wünschenswert.“
Offenbar hat die Coronakrise selbst im vermeintlichen digitalen Musterland
den Bildungssektor an den Rand seiner Kapazitäten gebracht. Einen
nuancierten Blick darauf vermittelt die Einschätzung Frans Schouwenburgs,
strategischer Berater für Unterrichtserneuerung bei Kennisnet
(Wissensnetzwerk). Diese Stiftung, seit 1999 aktiv, unterstützt Schulen in
Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium beim professionellen Einsatz von
IT.
Bei der Umsetzung indes sieht Schouwenburg einigen Handlungsbedarf. Während
viele Schüler das selbstbestimmte Arbeiten im Lockdown positiv erfahren
hätten und oftmals auch der Kontakt zwischen Lehrern und Eltern
intensiviert worden sei, fielen diejenigen, die zu Hause nicht ausreichend
begleitet und unterstützt würden, zurück. „Zunehmende Chancenungleichheit
war eine oft geäußerte Sorge [4][während der Coronakrise].“
Sein Fazit: Onlineunterricht habe durch Corona nicht nur einen boost
erfahren, sondern auch gezeigt, dass die digitale Kluft schwierig zu
verkleinern sei. Zur Lösung fordert er unter anderem mehr Sachkenntnis der
Lehrer, was bei deren ohnehin hohen Arbeitsaufwand freilich nicht leicht
werde.
„Man kann in Hardware oder Verbindungen investieren, aber Erfolg stellt
sich erst ein, wenn man aus einer deutlichen Unterrichtsversion heraus
arbeitet, die Lehrer diese sachkundig benutzen und die richtigen Lehrmittel
eingesetzt werden.“
1 Sep 2020
## LINKS
[1] /Rueckkehr-in-Schulen/!5702004
[2] /Mein-Schulbuch-heisst-iPad/!5044628
[3] /Digitale-Schule-waehrend-Corona/!5691005
[4] /Corona-Ansatz-in-den-Niederlanden/!5672956
## AUTOREN
Tobias Müller
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