| # taz.de -- Tennisstar & lesbische Heldin: Das Dilemma der Martina N. | |
| > Sind Fragen gar nicht mehr erlaubt? Bei der Erörterung von | |
| > Transgenderfragen kann einiges falsch laufen – mit Folgen für queere | |
| > Ikonen. | |
| Bild: Queeres Vorbild oder transphob? Martina Navratilova (r.), 1979 | |
| Es waren noch die Jahre Björn Borgs – alle erinnern sich an die Siebziger | |
| und die schwedische Tennislegende, mehrfacher Gewinner in Wimbledon. Für | |
| mich, eben im Coming-out als schwuler Mann, war eine andere Figur | |
| wichtiger, und sie ist es objektiv bis in die heutigen Tage: 1978 gewann | |
| sie, die berühmte Martina Navratilova, erstmals das Turnier in England – | |
| das Königsturnier dieser Sportart. | |
| Sie war in jeder Hinsicht eine Erscheinung. Sah nicht wie viele ihrer | |
| Konkurrentinnen aus, etwa Chris Evert, All-American-Darling ihrer | |
| Generation. Die gebürtige Tschechoslowakin verkörperte alles, was Sponsoren | |
| eigentlich nicht gefällt. | |
| Eine Weiblichkeit der Athletik, der Disziplin, der Unterwerfung unter ihr | |
| Ziel, Nummer eins im Tennis zu werden. Keine Schönheit im Sinne | |
| lieblich-putziger Heteromännerfantasien, sondern eine kraftvolle Frau, die | |
| mit stärkstem Ehrgeiz etwas wollte, was nur mit Verzicht (auf fette Burger, | |
| auf zuckerhaltige Getränke; heute ist sie Veganerin) und Willen (die | |
| Steigerung von hartem Training? – härteres Training!) | |
| ## Queere Heldin | |
| Sie war unerschrocken in ihrer aktiven Zeit: Setzte, als lesbische | |
| Sportlerin, ihre jeweiligen Lebensgefährtinnen in die Anhängerbox, dort, wo | |
| das Fernsehen den Stab einer Spielerin erkennt, Trainer und eben | |
| Angehörige. Sie, die nach der Flucht aus ihrer muffigen realsozialistischen | |
| Heimat US-Bürgerin werden wollte, war sehr früh eine queere Heldin, | |
| natürlich auch für schwule Männer und ohnehin für Transgender-Leute. | |
| Denn ihre wichtigste Trainerin Anfang der Achtziger war Renée Richards, ein | |
| früherer Tennisspieler und jetzt –spielerin, Coach:in, die ihre Transition | |
| ins andere Geschlecht erst weit nach der Pubertät begann. | |
| Die Navratilova war darüber hinaus, anders als ihre Kolleginnen Hanna | |
| Mandlikova, Jana Novotna oder gar die einstige Nummer eins Billie Jean | |
| King, auch nach der sportlichen Karriere couragiert: Engagierte sich für | |
| die LGBTI*-Community, unterstützte alle möglichen Projekte, auch den Kampf | |
| um die Ehe für alle. | |
| Als der US-Staat Colorado vor vielen Jahren eine Volksabstimmung für die | |
| Gleichstellung Homosexueller im Eherecht anberaumte und die | |
| Heterosexualisten siegten, sagte Navratilova nur kühl, na, dann werde sie | |
| aus Colorado wegziehen – dann habe der Bundesstaat ihre Steuern, die sie | |
| dort bezahlte, nicht nötig. Man sieht: Navratilova wusste mit den | |
| kapitalistischen Pfunden zu wuchern – sie hatte es ja –, sie war politisch | |
| im besten Sinne. | |
| ## Persona non grata? | |
| In diesem Herbst wird sie natürlich Joe Biden wählen, weil sie Trump | |
| verabscheut – er ist für sie kein echter Amerikaner – und weil sie ohnehin | |
| weiß, wie politische Allianz geht: ein Vorbild auch für Jüngere – sie | |
| kämpfte und jammerte nie. Ging ein Ball verloren – dann drosch sie umso | |
| beherzter den nächsten Ball mit fiesester Eleganz ins Feld der Gegnerin. | |
| Und doch: Inzwischen ist sie für jüngere, identitätsbewusste Personen der | |
| LGBTI*-Community eine Persona non grata, aus einer [1][Online-Hall-of-Fame] | |
| ist Navratilova inzwischen entfernt worden – weil sie als [2][„transphob“] | |
| gegeißelt wurde. | |
| Der Vorfall: Die Sportlerin ist keineswegs gegen Trans*frauen, wenn sie | |
| aber ihre Transition ohne hormonelle und medizinische Eingriffe nur | |
| erklären, seien sie als Konkurrentinnen nicht akzeptabel – denn sie | |
| verfügten nach wie vor über eine männliche Physis und die sei stärker als | |
| die durchschnittliche weibliche. Trans*frauen, die von männlichster | |
| Körperlichkeit sind, seien, so Navratilova, mit Frauensport nicht | |
| kompatibel. | |
| Die ganze Geschichte hat noch mehr [3][Verwicklungen], wichtig hier ist zu | |
| sagen: Ist es ernsthaft transphob, wenn eine Trans*alliierte wie | |
| Navratilova (siehe: Renée Richards, die sich mit ihrem früheren Schützling | |
| umgehend solidarisierte) darauf verweist, dass Trans*frauen ohne | |
| körperliche Transition den Frauensport faktisch kaputtsporteln? Fragen über | |
| Fragen – für viele queere Jahre im intellektuellen Kosmos: | |
| Darf man sich etwa wünschen, dass jene, die „transphob“ schreien, es sich | |
| nicht mit allen verderben? Und sollte die Frage nicht statthaft sein, dass | |
| sich Frauen im Sport – nach langen Kämpfen um die Gleichberechtigung mit | |
| Männern – bedroht fühlen durch Trans*frauen, die körperlich noch im | |
| Männermodus sind? | |
| Martina Navratilova, sie war die Mutigste von allen; sie war eine Ikone und | |
| ist es noch immer. Manche Sockelstürze tragen Giftiges in sich. | |
| Dieser Text erschien in der Verlagsbeilage taz thema CSD. | |
| 29 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.athleteally.org | |
| [2] https://www.bbc.com/sport/47433144 | |
| [3] https://theintercept.com/2020/07/14/cancel-culture-martina-navratilova-docu… | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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