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# taz.de -- Vier Studierende übers digitale Semester: Die Meinungen gehen ause…
> Corona hat auch das Studieren stark verändert. Die einen fanden das toll
> – die anderen miserabel: Vier Protokolle zum Ende des digitalen
> Semesters.
Bild: „Der Lockdown selbst war für mich ein Segen“, sagt Leila Raabe, sie …
## „Eine meiner besten Zeiten“ – Protokoll Eins: Leila Raabe, studiert se…
2013 an der UdK. Zuerst Malerei, vor einem Jahr ist sie in die Bildhauerei
gewechselt.
Diese Woche werde ich meine Abschlussarbeit präsentieren. Ich bereite mich
seit einem Jahr auf die Prüfung vor, habe mir einen Plan gemacht und
akribisch alles vorbereitet. Corona hat dann vieles durcheinander gebracht,
vor allem weil die Werkstätten während des Lockdowns geschlossen wurden.
Es soll wohl eine E-Mail gegeben haben, aber die habe ich nicht bekommen.
Ich hab das nur erfahren, weil ich zufällig an der UdK war. Ich hatte Glück
und habe dann ein zwei Tage vor der Schließung einen großen Teil meiner
Arbeiten raus geholt. Ich habe das auf Instagram gepostet, aber viele haben
es gar nicht mitbekommen. Jetzt nutze ich das Atelier von meinem Partner im
Wedding, auch da habe ich Glück.
Alles war geschlossen, keiner wusste: Können die Prüfungen durchgeführt
werden oder nicht? Und wenn ja wie, in welchem Rahmen? Der jährliche
Rundgang, bei dem auch die Absolvent*innen ihre Arbeiten präsentieren, wird
in dieser Form ausfallen, das war das erste an Informationen, die wir
bekommen haben.
Der Rundgang ist die Möglichkeit für die Absolventen, ihre Werke zu
präsentieren, das ist so ein bisschen ein Magic Moment, weil man da auch
auf Galeristen stößt und Leute aus der Kunstwelt. Das ist etwas sehr
Wichtiges gewesen – und dass der physische Rundgang jetzt ausfällt, ist für
viele schon eine mittelgroße Katastrophe.
Vor der Pandemie hatte ich eine relativ große Ausstellung mit der
Universität Dresden organisiert. Die Flyer waren schon im Druck, die Gelder
waren bewilligt. Das fiel dann natürlich aus. Ich hatte außerdem noch eine
Zusage für eine Studienreise nach Los Angeles. Den Flug hatte ich mit
meinem letzten Geld gebucht, weil ich dachte, die Stiftung würde mir das
Geld zurückzahlen. Der Flug wurde wenige Tage später gecancelt, auf das
Geld warte ich aber immer noch. Von der UdK habe ich wenigstens 350 Euro
Nothilfe bekommen.
Vorlesungen und Seminare hatte ich alles schon durch – was aber natürlich
gefehlt hat, waren die Gespräche mit den Professoren und der
Werkstattleitung. Zum Glück gab es da ganz liebe Seelen, mit denen man dann
per Telefon über die Arbeiten gesprochen hat.
Der größte Support war im inneren Kreis – durch meinen Partner. Wir hatten
beide das Gefühl, der Lockdown kommt jetzt. Da haben wir unser Geld
zusammengewürfelt und uns mit Kunstmaterialien eingedeckt. Dann hatten wir
erst mal genug Material für zwei Monate.
Der Lockdown selbst war für mich ein Segen. Für mich persönlich war das
eine meiner besten Zeiten. Ich hab keine Onlineseminare gehabt, ich hab da
nicht gelitten wie andere. Ich konnte mich wirklich auf meine Prozesse
konzentrieren, meine Arbeit machen. Ich konnte experimentieren, viel machen
und für meine Abschlussarbeit lesen. Für mich war das eine extrem
fruchtbare Zeit. Also vom künstlerischen Fluss aus gesehen, hätte es für
mich nicht besser laufen können. Protokoll: Jonas Wahmkow
## „Ich habe kein einziges Gemälde gemalt“ – Protokoll Zwei: Ali Yass, 2…
studiert im zweiten Semester Bildende Kunst an der Universität der Künste.
Vorher hat er schon in Jordanien Kunst studiert.
Täglich neun Stunden im Atelier zu stehen, das war vor Corona normal für
mich. Manchmal bin ich sogar über Nacht geblieben und habe ohne Pause an
meinen Werken gearbeitet. Als im März dann die E-Mail kam, dass alle Räume
der Universität der Künste geschossen werden müssen, war das ein krasser
Einschnitt. Ich musste all meine Zeichenpapiere, Bleistifte und die
Kalligraphie-Tinte aus dem Atelier räumen und mit nach Hause nehmen.
Das war aber gar nicht so leicht: Mein Zimmer ist nur sechs Quadratmeter
groß. Während der Wochen zu Hause habe ich darum kein einziges Gemälde
gemalt. Onlineseminare hatte ich in meinem Studium der Bildenden Künste nur
ein einziges, die übrige Zeit hätte ich schließlich in den Werkstätten
verbringen sollen. Zum Glück wohne ich mit 55 Personen in einem
Hausprojekt, einsam war ich also nie.
Im Lockdown hatte ich endlich Zeit, Bücher zu lesen und über die Welt
nachzudenken. Mit dem Ausbruch der Pandemie konnte ich beispielsweise
beobachten, wie die Situation im Irak, in Hongkong oder Chile genutzt
wurde, um die Unterdrückung weiter auszubauen oder von der fehlenden
sozialen Gerechtigkeit abzulenken.
Eine wichtige Erkenntnis im Lockdown: Wir müssen unsere Beziehung zum
Internet neu definieren. Dass sich viel im Netz abgespielt hat, war nicht
nur schlecht. So hat sich im Falle der Black-Lives-Matter-Proteste eine
transnationale Solidarität entwickelt. Auch ich habe mich mit der Welt und
ihren gesellschaftlichen Kämpfen verbundener gefühlt als sonst. Das liegt
sicherlich auch an gemeinsamen Erfahrungen, die wir gemacht haben: die
eingeschränkte Reisefreiheit oder finanzielle Unsicherheiten – und vor
allem, dass das Virus tötet. Wie auch Grenzen oder Rassismus.
Nach knapp drei Monaten wurden endlich unsere Ateliers wieder geöffnet,
allerdings mit zeitlicher Begrenzung. Ich habe mich sehr darüber gefreut,
ich konnte endlich wieder malen. Das Thema Widerstand, das ich schon vor
Corona in meinen Zeichnungen, Ölgemälden und Experimentalfilmen verarbeitet
habe, ist durch die Eindrücke im Lockdown noch viel klarer in meinen Fokus
gerückt.
Diese Woche hatten wir dann unsere Jahresausstellung, das ist eigentlich
ein großes Event, zu dem die ganze Stadt vorbeikommt. Dieses Jahr war das
anders: Wir sind der erste Jahrgang, in dem der Rundgang nur virtuell
stattfindet. Meinen Atelierraum 136 können Gäste der Ausstellung nur über
die UdK-Website betreten.
Zwar kann man sich meine Arbeiten immerhin digital anschauen, einen realen
Besuch kann das aber natürlich nicht ersetzen. Besonders bei der Malerei
geht es schließlich auch immer um die Erfahrung zwischen dem Betrachter und
dem Werk. Das ins Digitale umzusetzen, ist super schwierig. Bei allen
Vorteilen, die das Internet hat, da fehlt einfach die menschliche
Verbindung. Protokoll: Jannis Hartmann
##
## „Endlich konnte ich meinen Rhythmus wählen“ – Protokoll Drei: Levke
Burfeind, 27, studiert Jura an der HU. Fürs nächste Semester hat sie sich
einen neuen Bildschirm gekauft.
Würde ich vor die Wahl gestellt – Digital- oder Präsenzsemester – ich wü…
mich wohl für die digitale Variante entscheiden. Das Sommersemester meines
Jurastudiums war eines der sogenannten Schwerpunktsemester. Meine Kurse zum
Thema „Vertrag und Wettbewerb“ konnte ich trotz des Digitalsemesters alle
wählen. Generell hatten wir in unserem Studienfach Glück, unser Kursangebot
war kaum eingeschränkt.
Manche Veranstaltungen wurden einfach ins Digitale übertragen. Das fand ich
völlig in Ordnung. Besonders gut haben mir aber die Kurse gefallen, in
denen neue Formate ausprobiert wurden. Beispielsweise wurde die Vorlesung
zum Kaufrecht asynchron angeboten. Die Dozentin hat ihre Sitzungen im
Vorfeld aufgezeichnet und hochgeladen. Fragen konnten wir per Mail stellen.
Zuerst war ich skeptisch, ob es dröge würde, alleine im WG-Zimmer zu sitzen
und dem Computer zuzuhören. Genau das, fand ich aber schnell total super:
Endlich konnte ich Pausen machen, wenn ich etwas nachgucken wollte oder auf
Toilette musste. Diese Unterbrechungen haben mir in den
Präsenzveranstaltungen gefehlt.
Eine andere Professorin hat ihre Videovorlesung zur Fusionskontrolle vor
der Veranstaltung hochgeladen, sodass wir in den Zoom-Seminaren vertiefend
über die Inhalte diskutieren konnten. Das hat sehr gut funktioniert, denn
wir hatten den Stoff ja bereits gehört. Dass meine Dozentinnen den Mut
hatten, diese Formate auszuprobieren, hat mich sehr gefreut.
Im Jurastudium hat man oft das Gefühl, nicht hinterher zu kommen. Das hatte
ich in diesem Semester nicht. Ich war deutlich besser vorbereitet. Ich
glaube, das liegt auch daran, dass ich meinen eigenen Rhythmus wählen
konnte. Beispielsweise kann ich morgens gut vor dem Frühstück arbeiten. Das
funktioniert natürlich nicht so gut, wenn man dafür aus dem Haus in die Uni
muss. Zu Hause konnte ich alles in meiner Reihenfolge machen. Dazu kommt:
Ich habe täglich eineinhalb Stunden Fahrzeit zur Uni gespart. Die Zeit
konnte ich dann in Kochen oder Sport investieren. Ich fühlte mich viel
dynamischer und selbstbestimmter.
Auch mit meinem Job in einem Think Tank ließ sich das Digitalsemester gut
vereinbaren. In den Präsenzsemestern ist die Abstimmung zwischen Studium
und Lohnarbeit immer ein größerer Balanceakt.
An manches musste ich mich in den Zoom-Kursen natürlich trotzdem gewöhnen.
Wenn ich früher eine kurze Frage während der Vorlesung hatte, konnte ich
einfach meine:n Tischnachbar:in fragen. Dafür musste ich aber erst einmal
einen digitalen Ersatz finden. Letztendlich habe ich die Chat-Funktion von
Zoom genutzt, den Schritt musste ich aber erst einmal wagen.
Dass das Digitalsemester für Studierende und Lehrende gleichermaßen
herausfordernd war, hatte etwas Verbindendes: Plötzlich haben sich
Dozierende auch etwas von Studierenden erklären lassen, etwa wie sie ihren
Bildschirm freigeben können. Das war eine schöne Ebene.
Zu meiner mündlichen Prüfung empfing mich meine Professorin mit den Worten:
Schön, dass wir uns mal live sehen. Die Verbindung wäre ohne das
Digitalsemester vielleicht weniger stark gewesen. Protokoll: Jannis
Hartmann
## „Meine Lust fürs Studium ist rapide abgefallen“ – Protokoll Vier:
Veronika Schweighoferová, 27, drittes Semester im Masterstudiengang
„Leitung – Bildung – Diversität“ an der Evangelischen Hochschule in
Zehlendorf.
Im Gegensatz zu den größeren Unis gab es an unserer Hochschule lange keine
Rückmeldung darüber, wie das jetzige Sommersemester ablaufen wird. Meine
Kommiliton*innen und ich waren da lange verunsichert, wie das jetzt
weitergeht. Ich habe Dozierenden anderer Unis geschrieben, ob ich an
Seminaren teilnehmen kann. Das hat dann geklappt, an der FU durfte ich noch
in ein zusätzliches Seminar mit rein.
An meiner Hochschule selbst hatte ich nur eine Blockveranstaltung. Sonstige
Veranstaltungen sind überwiegend einfach ausgefallen. Oder man wusste
nicht, wie das ist bisweilen, man hat sich einzeln bei den Dozierenden
erkundigt und im besten Fall haben die geantwortet. Ich fand es deshalb
sehr schwierig, das Semester zu planen. Ich habe dieses Semester zwei
synchrone Seminare gemacht ich bin auch für zwei asynchrone angemeldet,
aber das war nicht realistisch.
Ich kenne niemanden, der dieses Semester mit asynchronen Seminaren klar
kam, oder das auch durchgezogen hat. Ich muss schon sagen, dass meine Lust
fürs Studium rapide abgefallen ist. Nicht alle Dozierenden sind auch begabt
darin, Lehrmaterialien zu gestalten und Präsentationsfolien gut zu füllen.
Das Studium heißt zu einem großen Teil auch Selbstverantwortung, das finde
ich auch gut. Aber ich finde es krass, wenn diese Selbstverantwortung zu
einem großen Teil in den privaten Bereich ausgelagert wird. Dass wir alle
darauf angewiesen sind, dass wir auch eine stabile Internetverbindung und
einen guten Rechner haben, und einen Arbeitsplatz. Wenn man einmal aus dem
Internet fliegt, und die ganze WLAN-Box und den Computer neu starten muss,
dann verpasst man einiges.
Das jetzt plötzlich alles zu Hause passiert, finde ich nicht in Ordnung.
Ich nutze mein Zuhause als ein Ort zum Ankommen, Runterkommen und für mich
da sein. Plötzlich wurde mein Schreibtisch zum Büro, zum Studienort, zur
Bibliothek.
Ich übernehme gemeinsam mit ein paar anderen Leuten Verantwortung für ein
Kind. Da die Kita dichtgemacht wurde, war es eine zusätzliche
Herausforderung, die Betreuung so zu organisieren, dass es für alle
Personen in der Bezugsgruppe machbar ist. Ich hab versucht zu tun, was ich
kann, aber mit Homeoffice und Lohnarbeit ist es natürlich auch nicht
einfach gewesen. Ich versuche, das so einen Tag die Woche zu machen, obwohl
eigentlich zwei Tage notwendig wären – die Zeit habe ich aber nicht.
Meine Hochschule hat jetzt angekündigt, 70 Prozent der Veranstaltung ins
Onlineformat auszulagern. Das macht mich natürlich ein wenig skeptisch,
weil ich keine Lust habe auf noch ein Semester dieses improvisierten
Selbststudiums. Ich überlege gerade, ein Praktikum zu machen und mir das
anrechnen zu lassen. Regelmäßige Arbeitsstruktur würde mir besser tun als
diese unvorhersehbare Onlineorganisation. Protokoll: Jonas Wahmkow
18 Jul 2020
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
Jannis Hartmann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Protokoll Arbeit und Corona
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