# taz.de -- Neues Album der Punkband No Age: Wenn sich Dur und Moll grüßen | |
> Immer schön unberechenbar bleiben: Das Punkduo aus Los Angeles bringt mit | |
> „Goons Be Gone“ ein energisch kickendes Album raus. | |
Bild: Vier Fäuste für ein Halleluja: Randy Randall und Dean Spunt von No Age | |
Sieben Sekunden entscheiden darüber, ob ein Vortrag beim Publikum zündet | |
oder nicht, wird die US-Verhaltensforscherin Vanessa van Edwards in der | |
Fachliteratur für Karriere und Management zitiert. Sieben Sekunden braucht | |
[1][das kalifornische Punkduo No Age], bis auf seinem neuen Album „Goons Be | |
Gone“ der Sänger jene Schneise nimmt, die ihm ein beherzter Poltergeist aus | |
dem Garageland gewiesen hat. | |
„Goons Be Gone“, irgendwann sind wir die Deppen los: Eine Weiterführung des | |
„Kick Out The Jams“ der Protopunks [2][MC5] von 1969, einem Jahr, dem ein | |
anderer Punkbereiter wenig abzugewinnen wusste: Iggy Pop mit den Stooges. | |
Mit beiden werden No Age vertraut sein: „Sandalwood“, der | |
Zweieinhalbminüter, mit dem sie im Handumdrehen ihr nunmehr sechstes langes | |
Werk eröffnen, ist mit seiner wie am Schnürchen ratternden | |
Gitarre-Schlagzeug-Kombination ein Musterbeispiel von minimalistischem | |
Schmutzrock. | |
Doch Obacht, da geht noch viel mehr: No Age ziehen eine Klangdecke ein und | |
bedienen sich eines Kniffs, der sich in ihrem Katalog oft findet, sie | |
spielen mit Brüchen und Überleitungen. „Sandalwood“ mündet in „Feeler�… | |
die Stelle von ruppigem Rock tritt verrauschter Pop. Ihm schließt sich mit | |
„Smoothie“ ein unaufgeregt dahintreibendes Stück Psychedelic Rock an. Der | |
Punkbegriff von No Age ist also mit Sicherheit ein unorthodoxer und damit | |
zeitloser. „Goons be Gone“ ist der furiose Beweis: Wo Punk sich der | |
Plattheit verweigert, ist er nicht tot. | |
No Age, das sind Trommler und Sänger Dean Spunt und Gitarrist Randy Randall | |
aus Los Angeles, beide auch solo unterwegs, sowohl Verbindungen in die | |
Kunstszene der Stadt habend als auch beim Punkclub [3][The Smell] in | |
Downtown L.A. mitmischend. Beide Künstler experimentieren gerne mit | |
Effektgeräten, bauen Homerecording-Samples in ihre zumeist knappen Songs | |
ein. Spunt und Randall haben von 2001 bis 2005 in der Punkband Wives | |
gespielt, nach deren Auflösung No Age gegründet und 2007 an einem Tag eine | |
Reihe von 7’’-Inch-Singles auf verschiedenen kleinen Labels veröffentlicht. | |
Als No-Age-Erstling darf „Neck Escaper“ gelten: Der Titelsong der Single | |
könnte glatt als Pop-Hymne durchgehen, wäre da nicht die bewusste | |
Lo-Fi-Produktion mit dem in den Vordergrund gemischten Schlagzeug. Charmant | |
ist das allemal, und im Grunde ist hier auf insgesamt drei Songs die | |
No-Age-Formel bereits angelegt: „My Life’s Alright Without You“ beginnt a… | |
Vignette aus Klopfzeichen, gezupfter E-Gitarre und Geräuschsplittern, gerät | |
alsdann zum Brecher, dessen retardierendes Moment ein göttliches | |
Schlafzimmer-Snaredrumsolo ist. „Escarpement“ schließlich beansprucht | |
bereits vier Minuten Spielzeit und verbindet Feedback, Stereohexerei und | |
Gitarrengebolze. | |
## Keinem Experiment abhold | |
Nachhören lassen sich diese und weitere No-Age-Preziosen aus dem Frühwerk | |
auf „Weirdo Rippers“, einer Compilation, die erstaunlicherweise einem | |
Konzeptalbum sehr nahe kommt. „Nouns“, das eigentliche Albumdebüt des Duos | |
Spunt und Randall, ist dann 2008 bereits bei Sub Pop erschienen, dem Label, | |
das in den Neunzigern zwei Singles mit Nach- und Nebenwirkungen | |
veröffentlicht hatte: Mudhoneys „Touch Me I’m Sick“ und „Love Buzz“ … | |
Nirvana. | |
Was folgte, war Grunge, und wer unbedingt will, kann das eine oder andere | |
Echo davon in der Musik von No Age finden: Punks, die sich dazu bekennen, | |
mehr als eine Neil-Young-Platte gehört zu haben und auch sonst hippiesken | |
Experimenten nie abhold sind. Bei No Age kommt auf ihren Alben noch eine | |
verschieden stark eingestellte Dosis konzeptioneller Kühle hinzu: „Nouns“ | |
beispielsweise beginnt mit „Miner“, einem Song, dessen Gitarrenintro einem | |
Uhrwerk gleich pendelt, eine motorische Klangästhetik, derer sich No Age | |
auch auf ihrem neuen Album in dem Noise-Blues „A Sigh Clicks“ bedienen. | |
Das Irre und Tolle an der No-Age-Diskografie ist, dass sich in ihr keine | |
schnurgerade Entwicklung vom Sperrigen zum Zugänglichen ausmachen lässt. | |
Auf „Nouns“ ließen No Age 2009 mit „Losing Feeling“ eine EP folgen, de… | |
vier im Proberaum entstandene Songs für den weiteren Sound des Duos | |
charakteristisch sein sollten: Das Titelstück und der Abschluss „You’re A | |
Target“ sind schnittige Lieder zur Stromgitarre, dazwischen jedoch haben | |
Spunt und Randall mit „Genie“ ein Wiegenlied und mit „Aim at the Airport�… | |
eine Collage aus Gitarrenfiguren und Field-Recordings geparkt. | |
2010 erschien „Everything In Between“, das erste richtige Popalbum des | |
Duos, wobei auch der Popbegriff von No Age als recht emanzipiert betrachtet | |
werden darf: Die Rhythmusspur des Albumauftakts „Life Prowler“ besteht zu | |
weiten Teilen aus einer stoisch durchgetretenen Basstrommel, der darauf | |
folgende Singletrack „Glitter“ erinnert anfangs an den suggestiven Hit „My | |
Sharona“ von The Knack, dessen Trademark-Groove wiederum der Soulband | |
Smokey Robinson & the Miracles entlehnt ist. | |
Auf „Everything in Between“ ließen No Age mit „An Object“ gar ein Album | |
folgen, auf der in elf Schritten gehört werden kann, wie ein grandios | |
unhandliches Werk sukzessive ungemütlich wird. „An Object“ ist dabei bis | |
dato die eine No-Age-LP, die mit „Commerce, Comment, Commence“ auf einem | |
eher gedimmten Ton endet, der in ein ozeanisches Rauschen mündet. | |
## Loop mit Schreibmaschine | |
„Snares Like a Haircut“, ihr erstes beim Chicagoer Indielabel Drag City | |
veröffentlichtes Album von 2018, klang dann wieder bekömmlicher, konnte | |
aber mit einem instrumentalen Titelstück überraschen, in dessen | |
Ambientsound sich ein Rhythmusloop schraubte, als sei es zur | |
zielgerichteten Begegnung einer Schreibmaschine mit einem Metronom | |
gekommen. Zwischen „Snares Like a Haircut“ und „Goons be Gone“, dem neu… | |
Album, haben No Age eine amtlich pulsierende Filmmusik eingespielt. | |
Nicht das erste Mal, dass sie das taten, 2009 beispielsweise begleiteten No | |
Age Vorführungen von Jean-Jacques Annauds „Der Bär“, doch diesmal haben s… | |
mit „Score For the Day Before“ selbst zur Kamera gegriffen und ein | |
gleißendes Roadmovie gedreht. Das eine oder andere Landschaftspanorama und | |
Detail vom Wegesrand hat auf „Goons Be Gone“ Platz gefunden: Im Song | |
„Puzzled“ beispielsweise schalten No Age von verfremdeten Stimmaufnahmen zu | |
straightem Gitarrenpop und begeben sich in eine immerhin ätherische Coda. | |
Experimentelle und eingängige Momente: „Goons Be Gone“ ist angelegt wie ein | |
Mixtape der No-Age-Facetten. | |
In „Head Sport Full Face“ drehen die Gitarren an der Radioskala. Das Gerät | |
wollen wir uns in die Armatur eines futuristischen Flitzers montiert | |
vorstellen. Da vorne ist die Sonne, und an der nächsten Kreuzung sagen sich | |
Moll und Dur: „Hallo, Sie schon wieder.“ | |
6 Aug 2020 | |
## LINKS | |
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[3] https://www.youtube.com/watch?v=Qr3ns9J_1Xo | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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