# taz.de -- Vor den Wahlen in der Elfenbeinküste: Im Land der Dinosaurier | |
> In drei Monaten wählt die Elfenbeinküste einen neuen Präsidenten. Oder | |
> einen alten. Wie der Zwist dreier Politiker das Land seit Jahrzehnten | |
> prägt. | |
Bild: Der Tod von Premierminister Coulibaly brachte alles durcheinander. Hier s… | |
BRÜSSEL taz | Zehn Jahre nachdem eine umstrittene Präsidentschaftswahl die | |
Elfenbeinküste in einen blutigen Krieg stürzte, bereitet sich das Land auf | |
neue Wahlen vor, in denen die gleichen Politiker wie damals die Fäden | |
spinnen. Die Wahl am 31. Oktober droht sich erneut um das Thema der | |
„[1][Ivoirité]“ zu drehen, also die „nationale Präferenz“ für | |
„einheimische“ Ivorer gegenüber dem Viertel der Bevölkerung, das von | |
Immigranten aus anderen westafrikanischen Ländern abstammt. | |
Vor zwanzig Jahren trieb diese nationalistische Doktrin die bis dahin | |
friedliche, für Einwanderer offene Elfenbeinküste in einen Bürgerkrieg, der | |
das Land über Jahre spaltete. Vor zehn Jahren endete schließlich die | |
Präsidentenwahl, die diesen Krieg beenden sollte, mit einer auf | |
Wahlfälschung zurückgehenden Siegeserklärung des damaligen Präsidenten | |
[2][Laurent Gbagbo], ein Verfechter der „Ivoirité“, gegen seinen als | |
„Nicht-Ivorer“ gebrandmarkten Herausforderer [3][Alassane Ouattara]. | |
Es folgten [4][Kämpfe] mit rund 3.000 Toten zwischen Gbagbos Armee und | |
ouattaratreuen Rebellen. Gbagbo verlor schließlich die Macht und landete | |
vor dem Internationalen Strafgerichtshof unter dem Vorwurf der Verbrechen | |
gegen die Menschlichkeit, Ouattara wurde Präsident. Aber jetzt geht | |
Ouattaras zweite Amtszeit zu Ende, und Gbagbo hat in erster Instanz in Den | |
Haag [5][seinen Prozess gewonnen]. | |
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der inzwischen 78-jährige Ouattara | |
entgegen seinen bisherigen Beteuerungen doch noch zu einer dritten Amtszeit | |
aufstellen lässt, ist sehr hoch. Am 20. Juli erklärte der Exekutivdirektor | |
seiner Partei RDHP (Sammlung der Houphouetisten für Demokratie und das | |
Volk), Adama Bictogo, Ouattara werde kandidieren. Die Partei habe ihn darum | |
gebeten. | |
Dabei hatte am 5. März Ouattara seinen Premierminister Gon Coulibaly als | |
RDHP-Präsidentschaftskandidaten aufgestellt. Doch dessen plötzlicher Tod an | |
Herzversagen am 8. Juli hat die Karten neu gemischt und die Elfenbeinküste | |
in eine Zeit der Verlegenheit gestürzt. Coulibaly und Ouattara waren alte | |
Freunde, Abkömmlinge von zwei einflussreichen und miteinander verbündeten | |
Familien: Coulibaly aus der nordivorischen Senoufo-Ethnie, Ouattara aus | |
dem vorkolonialen Königreich Kong, das Senoufos und Dioulas vereint. | |
## Der neue Shooting-Star | |
Coulibaly sollte den mehrheitlich muslimischen Norden RDHP-treu halten – | |
vor allem gegen den neuen Shooting Star der ivorischen Politik, | |
Exrebellenführer Guillaume Soro, ebenfalls Senoufo, der viele Wähler dazu | |
bewegen könnte, der RDHP die Gefolgschaft zu verweigern. Einen | |
offensichtlich Ersatz für den Verstorbenen hat die Partei nicht. Außer eben | |
Ouattara selbst. | |
Die RDHP wird es bei den Wahlen 2020 allerdings viel schwerer haben als | |
201einstigen0 und 2015, als Ouattara erst gewählt und dann mit 84 Prozent | |
der Stimmen wiedergewählt wurde. Damals war sie noch ein Bündnis zwischen | |
Ouattaras ursprünglicher Partei und der ältesten Partei der Elfenbeinküste | |
gewesen, der PDCI (Demokratische Partei der Elfenbeinküste), die unter dem | |
ersten Staatspräsidenten, [6][Félix Houphouet-Boigny], ab 1960 | |
jahrzehntelang als Einheitspartei regiert hatte und nach dessen Tod 1993 | |
unter [7][Henri Konan Bédié] bis zu einem [8][Militärputsch 1999] an der | |
Macht geblieben war. | |
Als Präsident hatte Bédié noch Ouattara aufgrund mangelnder „Ivorität“ … | |
den Wahlen ausgeschlossen, später unterstützte er ihn gegen Gbaeinstigengbo | |
und verhalf ihm zur Macht. Der jetzt 86-jährgie Bédié dachte, im Gegenzug | |
werde Ouattara ihm ab 2020 den Vortritt geben. Aber 2018 kündigte er das | |
Bündnis auf und sagte, Ouattara habe diese Zusage nicht gehalten. Am | |
Sonntag ließ er sich von der PDCI offiziell als Präsidentschaftskandidat | |
aufstellen. | |
Die PDCI geht nun also wieder ihre eigenen Wege. Und sie könnte ein Bündnis | |
mit ihrem einstigen Erzfeind aus Regierungszeiten schließen: der | |
sozialistischen Untergrundpartei FPI (Ivorische Volksfront) von Laurent | |
Gbagbo, die 2000 bis 2011 das Land regierte und Krieg gegen „Nichtivorer“ | |
führte. Seit Gbagbo 2011 nach Den Haag ausgeliefert wurde, führte die FPI | |
ein Schattendasein. Aber jetzt will der mittlerweile 75-jährige Gbagbo | |
zurück nach Hause und sucht die historische Revanche. | |
## Streng abgeschirmt in Brüssel | |
Seinen Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof gewann Gbagbo 2019. | |
Seitdem lebt er in Brüssel, streng abgeschirmt. Kontaktversuche der taz | |
werden von Vertrauten abgeblockt. Nicht einmal Fotos von ihm gibt es. | |
Die Ankläger in Den Haag haben gegen seinen Freispruch Berufung eingelegt | |
und das Verfahren läuft, doch bislang zeigen sich die Berufungsrichter | |
wenig geneigt, das Urteil zu revidieren. Der Strafgerichtshof hat Gbagbo | |
aus der Haft entlassen und in Brüssel unter Hausarrest gestellt, doch darf | |
er Belgien verlassen, sofern ein anderes Land ihn aufnimmt. Der Ball liegt | |
somit bei der Elfenbeinküste. | |
Ein „Kollektiv der Opfer der Elfenbeinküste“ hat bereits seinen | |
„energischen Widerstand“ gegen eine Rückkehr des Expräsidenten angekündi… | |
Käme er zurück, würde er vermutlich hinter Gittern landen, da er 2018 in | |
der Heimat in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft wegen Bankraubs verurteilt | |
wurde. „Der Präsident kann ihn begnadigen, aber erst, nachdem er eine | |
Strafe verbüßt hat“, erklärt ein Kader von Ouattaras Partei RDHP der taz. | |
Nicht zuletzt ist die FPI gespalten: Der „legale Flügel“, der an den Wahlen | |
2015 teilnahm, steht gegen den „Gbagbo oder nichts“-Flügel, der die | |
ivorische Politik boykottiert, solange Ouattara regiert. Es ist dieser | |
radikale Flügel, der jetzt mit Bédié über ein Wahlbündnis verhandelt haben | |
soll – was auch die Versöhnung innerhalb der FPI vorerst zerschlagen hat. | |
Die inhaltliche Grundlage einer Allianz zwischen Bédié und Gbagbo gegen | |
Ouattara wäre die „Ivoirité“, also die Entrechtung mutmaßlicher Ausländ… | |
und ihrer Nachfahren – ein Aufhetzen der „wahren Ivorer“ gegen den inneren | |
Feind, wie sie einst erst Bédié und später Gbagbo betrieben, um an der | |
Macht zu bleiben, mit nationalistischer Propaganda, wonach der „Ausländer“ | |
Ouattara, ein ehemaliger IWF-Direktor, den Ausverkauf der Elfenbeinküste an | |
seine ausländischen Freunde betreibe. | |
## Extrem polarisierend | |
Ein Wahlkampf zwischen einem Kandidaten der „Ivoirité“ und Ouattara, dessen | |
dritte Amtszeit verfassungstechnisch nur mit einem Trick legal möglich | |
wäre, wäre für die Elfenbeinküste extrem polarisierend. Schon jetzt | |
behauptet die Opposition, die lokalen Zweigstellen der Wahlkommission seien | |
nicht neutral, und hat Klage vor dem Afrikanischen | |
Menschenrechtsgerichtshof eingereicht. Die Regierung hat daraufhin die | |
Elfenbeinküste aus diesem Gerichtshof zurückgezogen. | |
Solche Machtspielchen machen es wahrscheinlich, dass das Wahlergebnis | |
Objekt von Streit wird, egal wie es ausfällt. Dies ist aktuell die größte | |
Befürchtung in der Elfenbeinküste selbst. „Es wird auf jeder Ebene | |
Unregelmäßigkeiten geben“, befürchtet ein Universitätsprofessor im Land. | |
„Erst mal haben nicht alle Personalausweise. Nicht jeder kann sich die 500 | |
CFA-Franc (0,76 €) dafür leisten. Aber in meinem Dorf stellen RDHP-Teams | |
Listen von Leuten auf, denen sie anbieten, Ausweise zu besorgen. Wofür? | |
Mysteriös“, findet er. | |
Er zitiert Vorwürfe, wonach Staatsbeamte mit Maschinen zur Herstellung von | |
Personalausweisen durch die Kautschukplantagen ziehen, um den angeblich | |
„nichtivorischen“ Arbeitern Ausweise auszustellen. Auf diese Weise | |
entstehen Vorwürfe der Wahlfälschung im Vorhinein. | |
Oppositionsparteien beklagen auch, es sei schwer, im Norden des Landes | |
Wahlkampf zu betreiben. Die RDHP weist dies zurück und sagt, der Norden des | |
Landes sei militärisches „Operationsgebiet“, seit in der Nacht zum 11. Juni | |
mutmaßliche islamistische Untergrundkämpfer den Militärposten Kafolo | |
angriffen und 14 Soldaten töteten. | |
Verteidigungsminister Bakayoko spricht von „ständiger Unsicherheit“ an den | |
Grenzen zu Mali und Burkina Faso, wo Krieg zwischen Armeen und Islamisten | |
tobt. In Vorwahlzeiten ist das besonders heikel. | |
Von Oppositionsseite wird auch über „Männer in Masken“ berichtet, die | |
Wähler einschüchtern und vom Verteidigungsministerium sowie von Präsident | |
Ouattaras Bruder Téné Birahima Ouattara bewaffnet werden sollen. „Ich habe | |
noch nie Männer in Masken gesehen“, weist ein RDHP-Kader das zurück. „Das | |
ist ein Spiel“, sagt er zu den Vorwürfen der Opposition, „sie betreiben | |
Lobbyismus, Druck und Einschüchterung.“ | |
Bleibt die Hoffnung, dass das Misstrauen zwischen den Politiken nicht in | |
Gewalt umschlägt. „Niemand will einen Krieg“, betont der | |
Universitätsprofessor. „Nicht einmal Gbagbo. Alle, die Gewalt schüren | |
könnten, sind anästhesiert. Gewalt ist heute das Monopol des Staates.“ | |
26 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!5105321/ | |
[2] /!5122874/ | |
[3] /Elfenbeinkueste-vor-Praesidentschaftswahl/!5241464/ | |
[4] /!5129948/ | |
[5] /Kolumne-Afrobeat/!5567274/ | |
[6] /!1485587/ | |
[7] /!1255864/ | |
[8] /!1255906/ | |
## AUTOREN | |
François Misser | |
## TAGS | |
Elfenbeinküste | |
Alassane Dramane Ouattara | |
Henri Konan Bédié | |
Laurent Gbagbo | |
Elfenbeinküste | |
Elfenbeinküste | |
Elfenbeinküste | |
Elfenbeinküste | |
Elfenbeinküste | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Unruhen in der Elfenbeinküste: Heißer Wahlkampf | |
Seit die Opposition in der Elfenbeinküste zum „aktiven Boykott“ der Wahlen | |
aufruft, erschüttert Gewalt das Land. Proteste ergreifen Abidjan. | |
Präsidentenwahl in der Elfenbeinküste: Ouattara tritt nochmal an | |
Der Amtsinhaber möchte sich Ende Oktober ein weiteres Mandat sichern. Das | |
Oppositionslager reagiert mit scharfer Kritik und Protesten. | |
Hartes Urteil in der Elfenbeinküste: Vor den Wahlen kaltgestellt | |
Guillaume Soro, ehemaliger Rebellenführer, will Alassane Ouattara als | |
Präsident beerben. Doch ein Urteil zieht ihn aus dem Verkehr. | |
Wahljahr in der Elfenbeinküste: Afrikas neuer, alter Krisenherd | |
In der Elfenbeinküste verschärft sich die Konfrontation zwischen Präsident | |
Ouattara und seinen Gegnern. Droht ein neuer Bürgerkrieg? | |
Musikfestival in der Elfenbeinküste: Zwischen Rhythmen und Fakten | |
Die Elfenbeinküste in Westafrika ist ein boomendes Land. Eindrücke von | |
einem Musikfestival, das die Gleichstellung von Frauen fördern will. |