# taz.de -- Coronafälle in Hersfeld-Rotenburg: „Alarmsignale“ bei Amazon | |
> In Nordhessen soll ein Amazon-Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt sein, es | |
> gibt Gerüchte über weitere Fälle. Geschäftsleitung und Behörden wiegeln | |
> ab. | |
Bild: Spannendes Arbeitsumfeld: Amazon sucht in Bad Hersfeld neue Mitarbeiter | |
FRANKFURT/MAIN taz | Im nordhessischen Landkreis Hersfeld-Rotenburg sorgen | |
hohe Corona-Infektionszahlen für Verunsicherung, vor allem bei den mehr als | |
3.000 MitarbeiterInnen der beiden Amazon-Logistikzentren in Bad Hersfeld. | |
Im Kreis war die [1][Maßzahl für Neuinfektionen] zum Wochenbeginn mit 22 | |
mehr als doppelt so hoch wie in allen anderen Kommunen in Hessen. | |
„Es sind Alarmsignale da“, sagte Verdi-Gewerkschaftssekretärin Mechthild | |
Middeke der taz; von 30 bis 40 Infektionen allein am Amazon-Standort „Blaue | |
Liede“ habe sie gehört. Sowohl das Unternehmen als auch das | |
Kreisgesundheitsamt verweigern konkrete, auf das Unternehmen bezogene | |
Zahlen. Auch die Arbeitnehmervertretung beklagt Informationsmängel. „Man | |
weiß nicht richtig, wo man dran ist“, sagt Betriebsrat Christian Krähling. | |
„Es verschwinden immer mal wieder welche, man weiß nicht, ob sie sich | |
infiziert haben oder in Quarantäne müssen“, sagt er. | |
Der Vorsitzende des Betriebsrats will wegen der brisanten Situation nicht | |
mit der taz sprechen. Immerhin war zu erfahren, dass der Betriebsrat eine | |
Klage gegen das Unternehmen vorbereitet. Er sieht seine | |
Mitbestimmungsrechte verletzt. „Es werden nur Durchsagen gemacht, dass es | |
aktuelle Fälle gibt. Die Belegschaft ist hochgradig verunsichert. Die | |
vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung | |
ist hochgradig gestört“, klagt ein anderes BR-Mitglied gegenüber der taz. | |
Die Amazon-Geschäftsleitung zeichnet dazu ein anderes Bild. „In enger | |
Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat haben wir in kürzester Zeit umfassende | |
Covid-19-Maßnahmen zum Schutze der Mitarbeiter umgesetzt. Im Rahmen des | |
regelmäßigen Austausches mit dem Betriebsrat haben wir diesen über alle | |
wichtigen Entwicklungen informiert“, erklärte Amazon-Sprecher Thorsten | |
Schwindhammer der taz. | |
## Positiver Coronatest bei Amazon-Mitarbeiter | |
Mehr als 60 „proaktive“ Einzelmaßnahmen führt Schwindhammer auf: | |
Abstandsregeln, Einbahnwege, Plexiglasscheiben, zusätzliche Pausen. Alle | |
MitarbeiterInnen müssen zudem auf Anordnung des Gesundheitsamts einen | |
Mund-Nasen-Schutz tragen, vor Betreten des Betriebs wird die Temperatur | |
gemessen. Wer Fieber hat, wird heimgeschickt und „soll“ einen Arzt | |
aufsuchen. | |
Doch auch diese Regeln sind nicht unumstritten. „Wer die schwere | |
körperliche Arbeit mit Mundschutz nicht schafft, muss sich krankmelden oder | |
unbezahlten Urlaub nehmen“, beklagt Gewerkschaftssekretärin Middeke; es | |
gäbe vielleicht Bereiche, in denen man auf einen Mundschutz verzichten | |
könnte, meint sie. „Nicht alle mit Corona Infizierten haben Fieber“, sagt | |
ein Arzt aus einem Nachbarkreis der taz. Nach seiner Meinung müssten alle | |
Verdachtsfälle den Behörden gemeldet werden. | |
Der Allgemeinmediziner hatte sich an die Gewerkschaft Verdi gewandt. In der | |
vergangenen Woche sei ein Amazon-Mitarbeiter in seiner Praxis positiv auf | |
das Virus getestet worden, sagt der Arzt, der anonym bleiben möchte. Als | |
seine Mitarbeiterin den Fall am Wochenende dem Gesundheitsamt habe melden | |
wollen, sei ihr mitgeteilt worden, es bestehe kein Handlungsbedarf, „obwohl | |
der Mann als Springer eingesetzt war“, sagt der Mediziner. | |
Amazon und Behörde weisen seine Darstellung zurück. Das Kreisgesundheitsamt | |
erklärte, ohne auf den konkreten Fall einzugehen: „Einer | |
[2][Kontaktverfolgung] von potenziell/nachweislich Infizierten kommt das | |
Gesundheitsamt mit größtmöglicher Sorgfalt nach. Hierbei wird sämtlichen | |
Verdachtsmomenten nachgegangen. Bei der Verfolgung möglicher | |
Kontaktpersonen werden die vom Robert-Koch-Institut empfohlenen | |
Vorgehensweisen angewandt.“ | |
## Hotspot oder Entwarnung? | |
Und auch der Amazon-Sprecher widerspricht der Darstellung des Arztes. „Das | |
halten wir für Unsinn und schlicht falsch. Wir arbeiten eng mit dem | |
Gesundheitsamt zusammen und reagieren prompt“, so der Sprecher. | |
Die Behörde signalisiert inzwischen sogar Entwarnung: „Die Ermittlungen des | |
Gesundheitsamts im Landkreis Hersfeld-Rotenburg haben ergeben, dass die | |
zuletzt bestätigten Infektionen im Landkreis mit Freizeitunternehmungen und | |
Feierlichkeiten im privaten und familiären Umfeld in Verbindung zu setzen | |
sind“, erklärt der Landkreis. Was man bisher wisse, deute nicht auf eine | |
Ansteckung am Arbeitsplatz hin, einen „[3][Corona-Hotspot]“ im Landkreis | |
gebe es nicht. Die bestätigten Fälle seien „über das gesamte Kreisgebiet“ | |
verteilt, so der Landkreis. | |
Einer der Amazon-Betriebsräte zweifelt im Gespräch mit der taz aber an | |
dieser Darstellung: „Wie wollen sie das sicher festgestellt haben?“ | |
Amazon sucht gerade online für den Standort Bad Hersfeld neue | |
MitarbeiterInnen. In der Anzeige verspricht das Versandhandelsunternehmen | |
neben 11,52 Euro Stundenlohn ein „spannendes Arbeitsumfeld“. Der | |
Betriebsrat hat allerdings beschlossen, Neueinstellungen so lange nicht | |
mehr zuzustimmen, bis die Geschäftsleitung ihren Informationspflichten | |
nachkommt. | |
24 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html | |
[2] /Die-deutsche-Corona-App/!5689412 | |
[3] /Corona-in-Toennies-Fleischfabrik/!5696568 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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