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# taz.de -- Gestrandete malische Band Faratuben: Schuldenberg im Lockdown
> Die Band Faratuben aus der malischen Hauptstadt Bamako sitzt seit Corona
> im dänischen Aarhus fest. Was macht die Isolation mit den Künstlern?
Bild: Dieudonné Koita, Jakob De Place, Mikas Bøgh Olesen, Kassim Koita, Sory …
Am 6. März schien die Welt für Faratuben noch in Ordnung. Die acht Musiker
waren gerade aus dem westafrikanischen Bamako eingeflogen und gaben im
Kopenhagener Club Alice ein erstes, umjubeltes Konzert. Faratubens Stil
ist eine elektrifizierte Version der jahrhundertealten Bwa- und Bobo-Musik,
die sich von den traditionellen Kora-Klängen eines Toumani Diabaté und
Salif Keïta durch mehr Druck und Tempo unterscheidet.
Getrieben von dem Balafon-Virtuosen Kassim Koïta und zwei Schlagzeugern
schrauben sich arabeske Gitarrenläufe bis unter die Decke des Clubs. Es
geht bei Faratuben nie nur allein um Musik. So erinnert Sänger Sory Daou in
dem Song „Mi Njan Mure“ an das Leid, das die französische
Kolonialherrschaft Ende des 19. Jahrhunderts über Mali gebracht hat: „Man
kann sich für Geschehenes entschuldigen, kann es aber nicht
wiedergutmachen.“
Das Konzert in der dänischen Hauptstadt sollte nur Auftakt sein zu einer
dreiwöchigen Tour durch Skandinavien. Plakate waren gedruckt, Hotelzimmer
gebucht. Dann kam Corona und damit wurde die Welt für die Musiker mit einem
Schlag klein: „Bei Beginn des Lockdown am 13. März arbeiteten wir in einem
Studio in Kopenhagen gerade an unserem neuen Album.
## Auf 40 Quadratmeter
Dann riefen immer wieder Veranstalter an, um Konzerte abzusagen – am Ende
blieb kein Auftritt übrig“, sagt der dänische Schlagzeuger Jakob de Place,
der genau wie Keyboarder Mikas Bøgh Olesen seit sechs Jahren in Bamako
lebt. Gitarrist Dieudonné Koïta ergänzt: „Wir saßen fest. Wenn wir nicht
probten, hockten wir auf 40 Quadratmeter in einem Apartment.“
Glücklicherweise infizierte sich keiner der Musiker mit dem Virus.
Einstweilen sind alle Bandmitglieder im Haus von de Place’ Mutter in Aarhus
untergekommen, etwas mehr Privatsphäre gibt es nun, doch ein zentrales
Problem bleibt, das wahrscheinlich viele MusikerInnen weltweit gerade
durchmachen: Alle erwarteten Einnahmen von Faratuben sind weggebrochen,
dafür sitzt die Band nun vor einem stetig wachsenden Berg von Schulden,
verursacht durch laufende Kosten. Staatliche Unterstützung, wie die
deutsche Corona-Soforthilfe, haben die Musiker weder von dänischer Seite,
noch aus Mali erhalten.
Sounds of Subterrania, das Hamburger Indie-Label, bei dem Faratuben unter
Vertrag sind, ruft deshalb zum Fundraising auf: Für die angestrebten 18.000
Euro sind bis jetzt erst 3.000 Euro zusammengekommen. „Sollten wir es nicht
schaffen, den Schuldenberg zu schmelzen, hat das fatale Auswirkungen auf
spätere Tourneen. Im Gegensatz zu europäischen und US-KünstlerInnen, können
Faratuben die Visa auf Grund ihrer finanziellen Situation verweigert
werden“, erklärt Gregor Samsa, Betreiber von Sounds of Subterrania.
## Filme von Jackie Chan
Und so hängen die Musiker seit drei Monaten in der dänischen Warteschleife
und hoffen auf baldige Ausreise. Filme von Jackie Chan und das tägliche
gemeinsame Kochen bringen ein bisschen Abwechslung und machen die Enge
erträglicher. Die Gewissheit, dass sich gute Krankenhäuser und Supermärkte
in nächster Nähe befinden, unterscheidet das Los der Künstler von der
Realität der meisten Menschen in Mali. Dennoch kommt von dort wichtiger
mentaler Support. „Wir kriegen täglich Anrufe und SMS“, berichtet Dieudonn…
Koïta, „Freunde und Familienangehörige ermuntern uns, ruhig und positiv zu
bleiben. Sie machen sich Sorgen wegen der schlechten Nachrichten aus
Europa.“
In Europa wiederum scheinen viele Menschen längst der Corona-Nachrichten
überdrüssig, sie wollen möglichst bald wieder reisen. „In Kati, wo wir
leben, gibt es bis jetzt noch keine Infizierten, deshalb ist Corona dort
noch gar kein Thema. Die Menschen haben existenziellere Sorgen: Hunger,
Durst und den katastrophalen Zustand der Wirtschaft“, erklärt Koïta.
Trotzdem zirkulieren auch in Westafrika allerlei Gerüchte und
Verschwörungstheorien. Das Covid-19-Virus könne bei den hohen Temperaturen
in Mali unmöglich überleben, wird etwa behauptet. „Es beunruhigt mich auch,
dass einige meiner Freunde außerhalb von Bamako glauben, man könne sich vor
Corona schützen, indem man Affen isst“, sagt Dieudonné Koïta.
Dabei lief es für Faratuben gerade vor Corona ziemlich gut: Ihr im
September 2019 veröffentlichtes Debütalbum „Sira Kura“ wurde letztes Jahr
mit dem Danish Music Award für das beste „Globalpop“-Album ausgezeichnet,
dieser Tage sollte die Band auf dem abgesagten Roskilde-Festival spielen.
Populär sind sie auch in Mali: Videoclips ihrer Singles „Pari“ und „Tere…
laufen im malischen TV-Sender ORTM und viele Radiostationen in Bamako
spielen Songs der Band.
## Kein Internet in Bwatun
In Bwatun, wo die Volksgruppe der Bwa lebt, zu denen sich die malischen
Mitglieder von Faratuben zählen, mussten Menschen allerdings auf die Musik
ihrer Helden warten: „Das Album ist auf CD und als Stream erhältlich, aber
in den Dörfern gibt es weder Plattenläden noch Internetzugang. Deshalb
dauerte es, bis unsere Musik auf USB-Sticks nach Bwatun gelangte“, sagt
Dieudonné Koïta. Doch den Musikern ist wichtig, auch zu Hause gehört und
akzeptiert zu werden, in Bwatun entstand ihre Musik.
Das von diversen Trommeln unterstützte Balafon – ein Xylophon mit
untergehängten Kalebassen als Resonanzkörper – ist das Signalinstrument
nicht nur von Faratuben. Die Elektrifizierung ist noch nicht so lange her:
„Der erste, der Bwa-Music auf einer elektrischen Gitarre spielte, war unser
Vater, Pakuene Koïta“, behauptet Dieudonné Koïta. Bis heute werden die
energetisch treibenden Stücke nicht nur auf Partys und Hochzeiten gespielt,
sondern auch auf „geheimen Zeremonien“ von eher religiösem Charakter.
## Aufs Publikum einlassen
Überhaupt unterscheiden sich Konzerte in Afrika erheblich von denen in
Europa: „Man kann nicht einfach auf die Bühne gehen und sein Repertoire
abspulen“, sagt Schlagzeuger Jakob de Place. „Wir müssen uns stärker auf
das Publikum einlassen.“ Bøgh Olesen, der wie de Place 2014 nach Mali zog,
um dort zu studieren, schwärmt von den Hochzeiten, bei denen sie häufig
auftreten: „Eigenkompositionen spielen wir dort nie, stattdessen feiern wir
die Familie, singen für die Tante der Braut, und die Schwester des Ehemanns
– jeder kommt mal dran.“
Der Bandname Faratuben ist eine Verbindung der Worte Farafin (schwarz) und
Toubabou (weiß) und betont die Tatsache, dass am Konservatorium
ausgebildete Europäer gemeinsame Sache machen mit Musikern aus Mali – die
Koïtas zählen zum Hochadel der Bobo-Musikszene. Neben dem Studiobesitzer
Dieudonné Koïta und dem Balafon-Virtuosen Kassim Koïta ist auch Gitarrist
Ernest Koïta Teil der Familie. Die beiden letztgenannten sind übrigens auch
zu hören auf Ben Zabos Debütalbum „Démocratie“ (Glitterbeat) und Mark
Ernestus’ famosen Dubmix von Zabos „Dana“.
Wie geht es nun weiter? Das zweite Album ist annähernd fertiggestellt und
soll 2021 veröffentlicht werden. Eine Tour durch Europa wird allerdings
erst möglich sein, wenn es den Impfstoff gibt. In Mali erwartet die Musiker
eine Gesellschaft, die auf ein exponentielles Wachstum der Coronafälle
überhaupt nicht vorbereitet ist: „Die Regierung versucht zu kopieren, was
in Europa getan wurde.
Aber das wird nicht funktionieren, weil die gesellschaftlichen Strukturen
zu unterschiedlich sind, Social Distancing wird schwierig“, glaubt
Dieudonné Koïta. „Wir leben zusammen mit der ganzen Familie; 15 Menschen in
einem Haus auf engstem Raum sind hier völlig normal. Abstand halten, das
ist vielleicht in einer Botschaft möglich oder im Flughafen, aber im
malischen Alltag ist das undenkbar. Unsere Kultur ist das Gegenteil von
Distanz, und das lässt sich innerhalb weniger Monate auch kaum ändern“.
Das Warten geht für die Künstler also weiter, in Dänemark gelten jetzt zwar
erste Lockerungen, aber was die Musiker nach ihrer Rückkehr in Mali
erwartet, ist ungewiss. Wird Corona kommen, werden die 10 Millionen
bestellten Masken ausreichen, für die knapp 20 Millionen Einwohner? Selbst
wenn Fallzahlen niedrig bleiben, ihr Bewegungsradius bleibt für Faratuben
stark eingeschränkt. „Es ist seltsam“, sagt Dieudonné, ‚„Awn corona‘
bedeutet auf Bambara: ‚Wir sind gefangen‘, genau dieses Gefühl haben wir
gerade.“
18 Jun 2020
## AUTOREN
Jürgen Ziemer
## TAGS
Bamako
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Schwerpunkt Coronavirus
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