Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Migration in Großbritannien: Johnson macht eine Kehrtwende
> Arbeiter*innen aus Nicht-EU-Ländern mussten bislang eine Gebühr für die
> Krankenversorgung zahlen. Bei Personal im Gesundheitswesen fällt sie nun
> weg.
Bild: Boris Johnson applaudiert für die Arbeiter*innen des Gesundheitswesen
London taz | Nach einer politischen Kehrtwende entfällt für alle
Ausländer*innen, die im Gesundheitswesen arbeiten, die Gebühr, die
nicht-britische Arbeiter*innen für ihr Recht auf Krankenversorgung zahlen
müssen. „Der Premierminister hat sich darüber viele Gedanken gemacht und
hat nun bei den Ministerien die entsprechenden Änderungen beantragt“, hieß
es in einer Erklärung aus 10 Downing Street.
Dabei handelt es sich um eine jährliche Gebühr von umgerechnet 446 Euro für
eine Person, die ab Oktober sogar auf 725 Euro ansteigt. Für Kinder und
Familienangehörige werden weitere Gelder fällig. Wie Brit*innen müssen
EU-Bürger*innen die Gebühr bisher nicht entrichten, das ändert sich für die
Arbeitnehmer*innen aus der EU mit Ablauf der Brexit-Übergangsphase Ende
2020.
Das Streichen der Gebühr hatte Oppositionschef Keir Starmer am Mittwoch
gefordert. Regierungschef Boris Johnson selbst hatte zuvor vom
Krankenpersonal aus dem Ausland gesprochen. Dieses habe ihm das Leben
gerettet, [1][als er selbst mit Covid-19 im Krankenhaus lag], so der
Premier. Eine von diesen Arbeiter*innen war die 35-jährige Jenny McGee –
eine Neuseeländerin, die selbst von der Gebühr für das staatliche
Gesundheitssystem NHS betroffen ist. Doch erst einmal weigerte sich
Johnson, auf die Forderung Starmers einzugehen, da diese Gebühr das
nationale Krankensystem mit umgerechnet einer Milliarde Euro mitfinanziere.
Nicht nur Gewerkschaften und Sprecher aller oppositionellen Parteien
hielten das für falsch. Selbst Sir Roger Gale, ein ehemaliger Vorsitzender
von Johnsons konservativer Partei, beschrieb die Beibehaltung dieser Gebühr
als „bösartig, doktrinär, und kleinkarätig.“ Seiner Rechnung nach handele
es sich auch nur um das Fehlen von Beiträgen in Höhe von 56 Millionen Euro,
da die von Johnson genannte 1 Milliarden Summe die Beiträge aller
ausländischen Arbeitskräfte darstelle.
## Die zweite Wende des Tages
Als die Kehrtwende am Donnerstagabend bekannt wurde, war dies bereits die
zweite des Tages. Das Innenministerium hatte vorher einer anderen Forderung
nachgegeben: Eine Verfügung wird nun ausgeweitet, die unmittelbaren
Familienangehörigen des ausländischen Krankenhauspersonals, das im Einsatz
in Großbritannien an Covid-19 verstarb, permanentes Aufenthaltsrecht
gestattet. Davor hatte sich die Regierung geweigert, Reinigungskräften und
anderen Hilfskräften in diesem Sektor oder auch Personal von Pflegeheimen
dieses Recht zu erteilen. Nun wurde die Verfügung ausgeweitet.
Hassan Akkad, 33, ein Syrer, der derzeit als Reinigungskraft in einem
Londoner Krankenhaus arbeitet, hatte sich diesbezüglich am Mittwoch [2][in
einer Videobotschaft auf Twitter an Johnsons Gewissen appelliert]. Er
bezeichnete darin die Tatsache, dass im Falle seines Todes sein
Lebenspartner kein Aufenthaltsrecht erhalte, als „Messerstich in den
Rücken.“ Als „Migrant von der Dienstfront“ sprechend, bat er um ein
Umdenken. Er habe nach dem Krankenhausaufenthalt des Premiers einen
„demütigeren und veränderten Boris beobachtet“ sagte er. Viele britische
Medien hatten am darauffolgenden Tag Akkads Botschaft aufgegriffen. Er
sollte nicht enttäuscht werden.
Die Kehrtwenden erklären sich am ehesten aus dem wegen der Pandemie
angewachsenen Status systemrelevanter Arbeitskräfte in der britischen
Öffentlichkeit. Manche hoffen, dass dies auch zu einer Änderung im
derzeitigen Gesetzesentwurf für ein neues britisches Einwanderungsgesetz
kommen könnte. Am Montag stimmte das Parlament noch in der unveränderten
zweiten Lesung dieser Gesetzesvorlage zu. Sie unterliegt nun einer zweiten
Prüfung im britischen Oberhaus, wo die konservative Fraktion, anders als im
Unterhaus, in der Minderheit ist.
Das Gesetz beabsichtigt derzeit für die Einwanderung zu Arbeitszwecken ein
Punktesystem mit einer Mindestlohngrenze von 25.600 Pfund (etwa 28.600
Euro), um so einheimische Niedrigstlohnverdiener*innen zu schützen. Doch
eine solche Lohngrenze würde auch den derzeit besonders wichtigen
Pflegekräften eine Arbeitserlaubnis verwehren, da ihr Lohn oft niedriger
als 28.600 Euro ist.
Nach erster Kritik wurde die Lohngrenze bereits im Februar von umgerechnet
33.500 Euro gesenkt. Doch selbst die ehemalige konservative
Immigrationsministerin Caroline Nokes forderte diese Woche als Mindestmaß,
dass wenigstens einfache und notwendige Pflegekräfte – hier herrscht ein
landesweiter Personalmangel – einem Schnellverfahren für Krankenpersonal
wie Ärzte, hinzugefügt werden sollten. Bisher gab sich Innenministerin
Priti Patel jedoch in diesem Punkt zäh.
23 May 2020
## LINKS
[1] /Corona-Erkrankung-des-britischen-Premier/!5677399
[2] https://twitter.com/hassan_akkad/status/1263081676890148864
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Großbritannien
Immigration
Boris Johnson
NHS
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Großbritannien
Großbritannien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Britische Innenministerin Priti Patel: Brexit-überzeugte Quereinsteigerin
Großbritanniens Innenministerin Priti Patel spaltet: Für die einen ist sie
eine mutige Heldin, für die anderen eine populistische Hetzerin.
Brexit-Verhandlungen: Showdown per Videoschalte
Die vorerst letzte Verhandlungsrunde über ein neues Handelsabkommen
zwischen Großbritannien und der EU beginnt. Mit Sturheit auf beiden Seiten.
Corona-Eklat in Großbritannien: Chefberater auf Abwegen
Der Berater des britischen Premiers hat nicht nur gegen die Lockdown-Regeln
verstoßen, er erkrankte sogar an Covid-19. Viele fordern seinen Rücktritt.
Corona-Maßnahmen in Großbritannien: Schule startet frühestens im Juni
Premier Boris Johnson hat erste vorsichtige Lockerungen angekündigt. Ab
Mittwoch sind uneingeschränkt körperliche Betätigungen im Freien erlaubt.
Häusliche Gewalt in Großbritannien: Neues Gesetz für mehr Opferschutz
Mitten in der Pandemie sind England und Wales dabei, ein neues Gesetz zu
verabschieden. Zuvor waren alarmierende Zahlen veröffentlicht worden.
Labourchef Starmer in Großbritannien: Johnson muss sich rechtfertigen
Großbritannien hat die meisten Coronatoten in Europa. Nun muss Premier
Johnson dem neuen Labour-Chef Starmer Rede und Antwort stehen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.