Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zensur in Polen: Das tut weh!
> Ein Pop-Song, der den PiS-Chef Jarosław Kaczyński kritisiert, sorgt beim
> Staatsrundfunk für Unruhe. Es hagelt Kündigungen und Proteste.
Bild: Im Parlament nicht ganz so allein wie auf dem Friedhof: PiS-Chef Jarosła…
Warschau taz | Wer den polnischen Protestsong „Twój ból jest lepszy niz
mój“ – „Dein Schmerz ist besser als meiner“ auch nur einmal gehört ha…
geht er nicht mehr aus dem Sinn. Die Ballade erzählt von einem Mann, der am
10. April mit einer Luxuslimousine und etlichen Bodyguards vor dem
eigentlich geschlossenen Warschauer Powązki-Friedhof vorfährt und dort
frische Blumen auf das Grab seiner Mutter legt. Der Mann und sein
Personenschutz haben den riesigen Friedhof ganz allein für sich, denn in
Polen herrscht wegen der Corona-Pandemie Ausgangssperre.
„Dein Schmerz ist besser als meiner!“, ätzt der Song gegen den Parteichef
der regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS),
ohne ihn auch nur einmal mit Namen zu nennen. Doch die HörerInnen der
Hitparade des dritten Radioprogramms Trojka erinnern sich genau an den
Skandal. Die PiS-Regierung hatte alle Friedhöfe im Lande wegen der
Ansteckungsgefahr gesperrt. Nur einer durfte die letzte Ruhestätte seiner
Familie besuchen – der Parteifunktionär Jarosław Kaczyński, der mächtigste
Mann Polens.
Die HörerInnen setzten den Song auf den ersten Platz der wöchentlichen
Hitparade. Dann verschwand die Liste von der Radio-Website und
Spekulationen machten die Runde. Kurz darauf veröffentlichte der
Trojka-Chefredakteur eine seltsame Erklärung, in der er sich wortreich für
den „Bruch der Regeln“ und das „Einführen eines Liedes von außerhalb der
Liste“ entschuldigte.
Zudem habe sich jemand eine „Manipulation beim Auszählen der Stimmen“
zuschulden kommen lassen, wodurch das „Endergebnis der Hitparade
verfälscht“ worden sei. Aus diesem Grund habe sich die Redaktion
entschlossen, die Abstimmung über die Hitliste zu einer ungültigen zu
erklären.
## Hoher Stellenwert
„Zensur!“ empörten sich vor allem Musiker und Oppositionelle in Polen. Doch
auch in den Reihen der PiS und ihrer Anhänger regte sich Unmut über den
Eingriff in die Kunstfreiheit. Sie genießt in Polen einen sehr hohen
Stellenwert. Obwohl der Staatsfunk (Polskie Radio), der frühere
öffentlich-rechtliche Rundfunk, seit mehreren Jahren fast nur noch
[1][PiS-Parteipropaganda] bringt, glaubte man bislang doch, dass die Musik
ideologiefrei ausgestrahlt werde. Doch damit ist es nun vorbei.
Marek Niedźwiecki, Polens Schlager-Koryphäe und Kult-Moderator für
Musiksendungen, kündigte am Montag. Angesichts des Vorwurfs, er habe die
von ihm seit 35 Jahren moderierte Hitparade „unlauter vorbereitet“, stelle
er die „Zusammenarbeit mit dem dritten Programm“ ein, erklärte er in dürr…
Worten.
Über zehn weitere Musikmoderatoren verließen den Sender ebenfalls bis
Mittwoch. Die einen freiwillig und aus Solidarität mit Marek Niedźwiecki,
die anderen auf mehr oder minder starken Druck von oben, wie es in
polnischen Medien heißt. Mehrere Künstler riefen zum Boykott des Senders
auf.
„Solange die Sendeleitung sich nicht vom Fälschungsvorwurf der Hitparade
vom vergangenen Freitag zurückzieht“, kündigte Redakteur Michał Olszański
an, „wird es keine Hitparade mehr geben“. Niemand will die nun verwaiste
Sendung übernehmen. „Zur Kultsendung hat sie Niedźwiecki gemacht“, so ein
anderer Redakteur, der nicht genannt werden will. „Ohne ihn ist die
Trojka-Hitparade tot. Sie geht in die Radiogeschichte ein. Und das war es
dann.“
Derweil macht der Protestsong von Kazik Staszewski „Dein Schmerz ist besser
als meiner“ Furore im Internet. Zwar spielt ihn das dritte Programm des
polnischen Radios nicht mehr, dafür aber klickten schon weit über sieben
Millionen Fans und Neugierige die Ballade vom Friedhofsgänger Kaczyński an
und singen sie spöttisch mit: „Dein Schmerz ist besser als meiner.“
21 May 2020
## LINKS
[1] /Medien-in-Polen/!5470348
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
PiS
Jarosław Kaczyński
Zensur
Polen
Medien
Polen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Parlamentswahl in Polen: Triumph für die PiS
Die nationalpopulistische Regierungspartei PiS erringt erneut die absolute
Mehrheit. Die Linke ist wieder im Parlament vertreten.
Medien in Polen: Mit Geldstrafe auf Linie bringen
Der Privatsender TVN24 soll umgerechnet 350.000 Euro zahlen. Er hatte 2016
kritisch über Proteste gegen die Regierung berichtet.
Satire in Polen: Bis das Lachen im Halse stecken bleibt
Der aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen verdrängte Robert Górski
feiert mit der Politsatire „Das Ohr des Vorsitzenden“ ein großes Comeback.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.