# taz.de -- Rap-Aktivist über Corona in Senegal: „Wir leisten Aufklärung“ | |
> In Senegal kämpfen auch Bewegungen wie „Y’en a marre“ („Uns reicht�… | |
> gegen das Coronavirus. Rapper Thiat spricht über die sozialen Folgen der | |
> Krise. | |
Bild: Thiat bei einer Pressekonferenz im Senegal 2015: Er protestierte gegen zu… | |
taz: Welche Maßnahmen hat Senegals Regierung zur Eindämmung des Virus | |
umgesetzt? | |
Thiat: Als Corona in Europa ausgebrochen ist, hat die Regierung hier sofort | |
reagiert. Die [1][Grenzen wurden geschlossen und nächtliche | |
Ausgangssperren] verhängt. So wurden die Fallzahlen anfangs niedrig | |
gehalten. | |
Wie war Y’en a marre daran beteiligt? | |
Wir haben früh den Gesundheitsminister getroffen und diskutiert, wie unsere | |
Bewegung bei der Sensibilisierung der Bevölkerung helfen kann. Schon | |
während der Ebola-Krise 2014 hatten wir eine ähnliche Rolle. Damals haben | |
wir das eigenständig gemacht, diesmal sind wir auf die Regierung | |
zugegangen, weil wir auf medizinisches Expertenwissen angewiesen waren, um | |
die Bevölkerung korrekt zu informieren. Wir haben dann direkt einen | |
Rap-Song produziert, der über das Virus aufklärt. | |
Und was rappt ihr? | |
Es geht vor allem darum, dass es sich um eine reale Gefahr handelt. Viele | |
Leute glaubten, dass das Virus in Afrika nichts ausrichten kann. Wir | |
wollten klar machen, dass alle betroffen sind und zeigen, wie man sich | |
schützt. | |
Ihr habt also medizinisches Fachwissen in Hip-Hop übersetzt? | |
Ganz genau. Wir wollten möglichst viele Leute damit erreichen. | |
Rap war schon früher das wichtigste Instrument Eurer aktivistischen Arbeit. | |
Warum ist dieses Genre so bedeutend im Senegal? | |
Alle hören es. Hip-Hop ist die wahrscheinlich wichtigste Musikrichtung | |
hier, auch, weil die Bevölkerung so jung ist. Die ersten Pressekonferenzen | |
des Gesundheitsministers hat niemand mitbekommen. Aber als wir den Track | |
veröffentlicht haben, begannen die Leute, zuzuhören. | |
Auch [2][Präsident Macky Sall] wollte zuhören und lud Euch zu einem Treffen | |
ein... | |
Er war an unserer Meinung interessiert. Wir haben ihm gesagt, dass die | |
Maßnahmen gegen das Virus strikter umgesetzt werden müssen. Das gilt | |
insbesondere für eine Ausgangssperre auch tagsüber und striktere | |
Reisebeschränkungen. Noch immer pendeln viel zu viele Menschen zwischen den | |
großen Städten und verbreiten das Virus. Die Zahl der Infizierten lag Ende | |
April bei knapp 1.000 Menschen, die [3][Kurve steigt nun exponentiell]. | |
Besteht bei noch härteren Maßnahmen nicht die Gefahr, dass die Akzeptanz | |
der Bevölkerung verloren geht? | |
Ich denke nicht. Als die erste Ausgangssperre erlassen wurde, waren die | |
Leute noch sehr rebellisch. Senegales*innen lassen sich nicht einfach ihre | |
Freiheit nehmen. Sie haben sich auch nicht von der Polizei beeindrucken | |
lassen, die die Leute teilweise schlimm verprügelt hat. Am zweiten Tag der | |
Ausgangsbeschränkungen haben Jugendliche in Dakar Barrikaden errichtet. | |
Dafür haben sie dann allerdings bereits wenig Unterstützung aus dem Rest | |
der Bevölkerung erfahren. | |
Das war also eine kurze Rebellion? | |
Die Lage hat sich schnell wieder beruhigt, die Menschen haben sich an die | |
Beschränkungen gewöhnt. Sie werden auch härtere Maßnahmen akzeptieren, weil | |
alle wissen, dass das Virus nur so eingedämmt werden kann. | |
Jetzt [4][kam der Ramadan dazu]. Wie hat der Fastenmonat sich ausgewirkt? | |
Er macht es schwieriger, die Disziplin der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. | |
Es kommt zu Aufläufen vor Lebensmittelläden, wenn alle zur gleichen Zeit | |
Brot für das Fastenbrechen einkaufen. Physische Distanz ist dann kaum | |
möglich. | |
Zeigt das nicht, dass eine Ausgangssperre auch tagsüber, wie Ihr sie | |
fordert, kaum umzusetzen wäre? | |
Das würde schon gehen, wenn die Regierung Menschen ausreichend unterstützen | |
würde, damit sie auch zuhause bleiben können. Sie sollte Strom- und | |
Gaskosten bis zu einem gewissen Verbrauch für alle übernehmen. Das wurde | |
nur für den allerärmsten Teil der Bevölkerung umgesetzt. Außerdem setzt die | |
Regierung auf Lebensmittelpakete – wir waren für die Subventionierung der | |
Preise, damit alle davon profitieren. | |
Habt ihr diese Fragen mit Macky Sall diskutiert? | |
Ja. Er sagte: Wenn ich jetzt die Lebensmittelpreise subventioniere und das | |
nach der Krise wieder rückgängig mache, seid ihr die ersten, die dagegen | |
auf die Straße gehen. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht stimmt. | |
Selbstverständlich müssen manche Maßnahmen zurückgenommen werden nach der | |
Krise. Immerhin hat die Regierung einige unserer Vorschläge umgesetzt. | |
Ist das alles nicht eine untypische Situation. Normalerweise kritisiert | |
Y’en a marre die Regierung scharf. | |
Wenn das Land uns braucht, dann kooperieren wir. Wir haben dem Präsidenten | |
klar gemacht, dass das nur ein Waffenstillstand ist, für den Kampf gegen | |
den gemeinsamen Feind. Letztes Jahr haben wir durch ein kritisches | |
Musikvideo eine große Auseinandersetzung mit der Regierung gehabt. Bei der | |
Audienz habe ich denselben schwarzweißen Boubou getragen wie in dem Video. | |
Ich wollte deutlich machen: Ich stehe hier immer noch als Aktivist! | |
Steckt die Regierung jetzt Erwartungen in Eure Bewegung beim Kampf gegen | |
das Virus? | |
Ja. Wir wurden gefragt, ob wir die Verteilung von Lebensmitteln | |
unterstützen wollen. Wir haben uns dagegen entschieden. Das ist Aufgabe der | |
Politiker, dafür wurden sie gewählt. | |
Aber wärt ihr dafür nicht die geeignete Organisation? | |
Das denke ich nicht. Wir haben angeboten, die Planung zu begleiten, etwa, | |
an wen die Aufträge gehen. Aber die Entscheidungen wurden ohne uns gemacht, | |
teilweise wurden die Aufträge offensichtlich an Freunde der Regierung | |
vergeben. Mit diesem korrupten System wollen wir nichts zu tun haben. | |
In welcher Form ist Y’en a marre dann weiter aktiv? | |
Wir leisten [5][Aufklärungsarbeit auf den Straßen und produzieren | |
Kurzfilme]. Viele Menschen haben außerdem noch immer keinen Zugang zu | |
Masken, Wasser und Seife, das muss sich ändern. Ein weiteres wichtiges | |
Thema für uns sind Rückholaktionen. Westliche Regierungen fliegen ihre | |
Bürger*innen nach Hause – wir wollen, dass auch unsere Regierung hier aktiv | |
wird. Außerdem machen wir uns Gedanken, wie die Zeit nach Corona gestaltet | |
werden kann. Wir haben ganz offensichtlich ein Problem mit dem | |
Gesundheitssystem, es gibt kaum hundert Beatmungsgeräte im Senegal. Auch | |
das Bildungssystem muss reformiert werden. | |
Die Mehrheit der Menschen im Land arbeitet im informellen Sektor ohne | |
jegliche soziale Absicherung. Wie geht es diesen Menschen? | |
Der informelle Sektor wird die Krise nicht aus eigener Kraft überleben. Die | |
Regierung hat jetzt zugesagt, diese Menschen finanziell zu unterstützen. | |
Aber die alte Frau, die an der Ecke Couscous verkauft, die Taxifahrer, | |
kleine Händler, Prostituierte – all diese vulnerablen Gruppen kommen ja | |
nicht so einfach an dieses Geld. Ich glaube nicht, dass unser Präsident | |
eine Lösung für dieses Problem hat. | |
Habt ihr eine? | |
Die Regierung muss sich mit Menschen aus dem informellen Sektor | |
zusammensetzen, um herauszubekommen, was ihnen wirklich hilft. Man kann | |
nicht einfach über deren Köpfe hinweg entscheiden. | |
So oder so braucht es aber doch in erster Linie einen Haufen Geld. | |
Natürlich. Die Regierung muss einen sehr, sehr großen Umschlag auf den | |
Tisch legen. Und was vollkommen klar ist: Wir werden vorerst keine Schulden | |
an Staaten des Globalen Nordens zurückzahlen. Wir schulden gerade niemandem | |
etwas! Wenn der Präsident das klipp und klar kommuniziert, werde ich ihn | |
zum ersten Mal in meinem Leben zu hundert Prozent unterstützen. Y’en a | |
marre wird den Protest gegen die Schulden anführen. Wir brauchen das Geld, | |
um Leben zu retten. Geld muss in die Wissenschaft, in die | |
Gesundheitssysteme. | |
Was bedeutet die Krise also für das Verhältnis zwischen Norden und Süden? | |
Der Globale Norden sollte zuallererst nicht so tun, als wären wir unfähig. | |
Auch ein Land, das ärmer ist, kann wirksame Maßnahmen umsetzen. Und zwar | |
teilweise viel schneller. Für die Zeit nach der Krise müssen wir uns | |
zusammensetzen und über ein [6][neues Verhältnis zwischen Nord und Süd | |
sprechen]. Das ist die Chance, die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents | |
zu beenden. | |
24 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Valentin Feneberg | |
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