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# taz.de -- Die Wahrheit: Das Ende ist überraschend nah
> Carpe fucking diem: Nicht nur der Kalender der Meiers läuft zum
> Jahresende ab. Gibt es noch eine Zukunft? Oder war es das?
Bild: Menschenleer ist die Welt ja schon: Weltzeituhr in Berlin
Nachdem im Jahr 2012 überraschend der Maya-Kalender endete und darum, wie
jeder weiß, die Welt unterging (wie sich später herausstellte, handelte es
sich zum Glück nur um die Bielefelder Halbwelt), ist nun bekannt geworden,
dass am 31. 12. 2020 der Meier-Kalender endet. Die Familie Meier ist
bestürzt und ratlos: „Damit haben wir nicht gerechnet!“, sagt Heinz Meier
aus Oer-Erkenschwick. „Wir haben den Kalender schon im letzten November im
Fachhandel gekauft, und seitdem hat er einwandfrei funktioniert.“
Herr Meier ist pensionierter Realschullehrer und neigt normalerweise nicht
zu Gefühlsausbrüchen, doch sieht man ihm den Schock an. Mit zitternden
Händen zeigt er uns das fragliche Stück: „Hier, schauen Sie, auf Montag
folgt Dienstag, Mittwoch und so weiter. Januar, Februar, März, alles schien
in Ordnung zu sein. Und nun das!“
Tatsächlich: Nach dem 31. Dezember ist Schluss. Es folgt noch ein leeres
Blatt, vielleicht als Hinweis auf das Nichts, das danach vermutlich kommt.
Wir fragen an bei der Philosophischen Abteilung der Volkshochschule
Ingolstadt. Der dortige Dekan Dr. Kant, der nicht verwandt oder
verschwägert mit dem bekannten Philosophen ist, will das so nicht gelten
lassen. Nach Ernst Bloch seien „in der menschlichen Erfahrung des Mangels
als Ausdruck einer fundamentalen Nichtigkeit einer Gegenwart durchaus auch
Tendenzen auf ein mögliches, volles Sein“ angelegt. Er könne freilich
trotzdem „nicht ausschließen, dass wir alle am Arsch sind“, so Dr. Kant.
## Abfallgebühren auch nach Weltenende fällig
Die Familie Meier erwägt nun zu klagen, weiß allerdings nicht gegen wen und
fühlt sich von den Behörden allein gelassen: „Als ich zur Polizei bin,
haben die mich ausgelacht!“, berichtet Herr Meier fassungslos. Nicht einmal
auf dem Gemeindeamt habe man ihn verstehen wollen und stattdessen darauf
bestanden, dass auch nach dem Ende der Welt Grundsteuer und Abfallgebühren
fällig würden. In seiner Not habe er sich an den Hersteller des Kalenders
gewandt, doch der habe jede Verantwortung zurückgewiesen. Man habe die
Wochentage und Monate nicht erfunden und könne nichts dafür. Er solle sich
an die Babylonier halten, die hätten sich das wohl ausgedacht. Doch auch
ein Anruf bei der irakischen Botschaft blieb ergebnislos. „Die haben alles
auf die USA geschoben und behaupteten, der islamische Kalender sei sowieso
nicht betroffen.“
Auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig fühlt sich
nicht zuständig. Sie sei mit der Verbreitung der gesetzlichen Zeit
beauftragt, nicht mit deren Herstellung. Das sei vermutlich die Aufgabe des
Gesetzgebers, doch weder der Bundestag noch das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie, in dessen Geschäftsbereich die Zeitmessung fällt,
waren zu einer Stellungnahme bereit.
Die beiden großen christlichen Konfessionen zeigen sich erstaunlich
skeptisch, obwohl die Vision einer Endzeit doch zu ihrem Markenkern gehört.
„Wir Katholiken haben schlicht und einfach keine Zeit, uns mit jedem
dahergelaufenen Weltuntergang zu befassen“, verrät uns ein Kardinal aus
einem südlichen Bundesland, das anonym bleiben möchte (Name des
Bundeslands der Redaktion bekannt). „Wir haben schließlich das weltgrößte
Immobilienvermögen zu verwalten. Da verbietet sich ein Weltuntergang von
selbst.“
## Der Tag nach dem Weltuntergang
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verweist darauf, dass sich auf
dem letzten Kirchentag keine Mehrheit für einen Weltuntergang gefunden
habe. Der zuständige Militärbischof hätte sowieso sein Veto eingelegt.
Herr Meier erwägt nun, den Kalender händisch zu ergänzen, zumindest um ein
paar Tage: „Meine Frau und ich würden im Januar gerne noch unseren
Hochzeitstag feiern.“ Dass dieser kleine, ehrenwerte Betrugsversuch den
Weltuntergang tatsächlich abwenden wird, hält Herr Meier allerdings selbst
für unwahrscheinlich: „Sagen Sie es nicht meiner Frau, aber das romantische
Wochenende auf Sylt habe ich schon abbestellt.“
Die Familie Meier scheint bereit, sich ins Unvermeidliche zu fügen und
könnte anderen darin ein Vorbild sein: „Nutzt ja nix. Irgendwann ist eben
Schluss.“
Verbraucherschützer bestätigen diese Auffassung, warnen aber vor einem
sorglosen Umgang mit der verbleibenden Zeit. Bevor nicht geklärt sei, ob es
eine Zukunft gebe, solle jeder jeden Tag so leben, als sei es der letzte.
5 Jun 2020
## AUTOREN
Tibor Rácskai
## TAGS
Jahreswende
Maya-Kalender
Die Wahrheit
Gedicht
Weltuntergang
Tiere
Zurück in die Zukunft
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