Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fake News und Corona: Unsere Branche versagt
> Das Äußern der eigenen Meinung hat immer auch eine hässliche Seite. Für
> Medien ist es derzeit bequem, das zu vergessen.
Bild: Die Verbreitung von Schwachsinn ist vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit a…
Erstaunlich, aber wahr: Propaganda und gezielte Falschinformationen gibt es
nicht erst seit der Erfindung von Facebook und Twitter. Vielmehr wurden
mit diesen Mitteln seit jeher Kriege begründet, Gewalttaten gerechtfertigt
und der Hass gegen bestimmte Teile der Bevölkerung geschürt.
Übrigens nicht nur von Regierenden, sondern auch von Widerstandsgruppen.
Das, was heute „Fake News“ genannt wird, hat längst Millionen Todesopfer
gefordert. Der Kampf für Meinungsfreiheit ist nicht gleichbedeutend mit dem
Kampf für die reine Wahrheit. Meinungsfreiheit hat stets auch eine
hässliche Seite.
Glaubt irgendjemand, dass ausgerechnet die Eltern des Grundgesetzes mit
ihren biografischen Erfahrungen in der Weimarer Republik und im Dritten
Reich in dieser Hinsicht der Nachhilfe bedurften? Sie, gerade sie, kannten
die Gefahren. Und schrieben dennoch den wunderbaren Satz in den Artikel 5:
„Eine Zensur findet nicht statt.“
Zensur ist eine staatliche Maßnahme, entgegen einem weit verbreiteten
Missverständnis. Wenn eine Zeitung einen Leserbrief nicht veröffentlicht,
dann hat das mit Zensur nichts zu tun. In der Zeit der sozialen Medien
drohen diese Grenzen allerdings zu verschwimmen. 2017 sorgte der damalige
Justizminister Heiko Maas dafür, dass das
„[1][Netzwerkdurchsetzungsgesetz]“ – vulgo: Facebook-Gesetz – vom Bunde…
verabschiedet wurde. Es bedroht soziale Medien mit hohen Bußgeldern, wenn
sie rechtswidrige Inhalte nicht innerhalb einer bestimmten Frist entfernen
oder sperren.
## Man darf Quatsch sagen
Damals warnten Fachleute und Verbände vor einem Angriff auf die
Meinungsfreiheit. Kritisiert wurden unter anderem die Übertragung
hoheitlicher Aufgaben auf private Unternehmen und die Tatsache, dass die
Abgrenzung zwischen rechtswidrigen und erlaubten Inhalten nicht mehr
Gerichten obliegt, sondern eben sozialen Medien. Dabei geht es in dem
Gesetz nur um rechtswidrige Inhalte, also um Aufrufe zur Gewalt und andere
Formen der Hasskriminalität. Nicht um die Verbreitung von Schwachsinn. Der
ist nämlich vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit abgedeckt.
Wie gesagt: 2017 erst. Eine gefühlte Ewigkeit. Heute nimmt meine Branche es
achselzuckend zur Kenntnis, wenn angesehene Leute dazu aufrufen,
Falschinformationen verbieten zu lassen. Falschinformationen? Was genau ist
darunter eigentlich zu verstehen? Wenn jemand erklärt, es gebe das
Coronavirus nicht, dann halte ich das für eine eindeutige
Falschinformation. Aber es ist nicht verboten, derlei zu sagen. Es ist
nicht verboten, Quatsch zu verbreiten. Man darf behaupten, der Mond sei aus
Käse. Ich finde es deprimierend, dass daran inzwischen erinnert werden
muss.
Immer wieder wurde in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass
Journalisten im Regelfall keine Virologinnen sind und sich deshalb nicht
anmaßen sollten, Fachkenntnisse vorzutäuschen, die sie nicht besitzen. Die
Mahnung ist berechtigt. Wahr ist jedoch auch: Mediziner sind meist keine
Journalistinnen oder Medienwissenschaftler. Es ist verständlich, wenn Fake
News im Zusammenhang mit dem Coronavirus bei ihnen ohnmächtigen Zorn
hervorrufen und sie die am liebsten ausmerzen möchten.
Das dürfen die übrigens auch sagen. Eine solche Position ist von der
Meinungsfreiheit ebenfalls gedeckt. Aber es gibt Leute, die in besonderem
Maße dazu berufen sind, Hüterinnen und Hüter bestimmter Grundrechte zu
sein. Es wäre schön, wenn sich die Medienbranche für Artikel 5 zuständig
fühlte. Gegenwärtig scheint das nicht der Fall zu sein. Das finde ich
mindestens so bedrohlich wie den Glauben einer kleinen Minderheit an die
Existenz von Reptiloiden.
23 May 2020
## LINKS
[1] /Kritik-am-Netzwerkdurchsetzungsgesetz/!5474062
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Kolumne Macht
Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Schwerpunkt Coronavirus
Kolumne Macht
Kolumne Macht
Kolumne Macht
Kolumne Macht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Skandal beim Kommando Spezialkräfte: Teamgeist und erhöhte Geheimhaltung
Das KSK ist in der jetzigen Form nicht reformierbar. Es braucht eine neue
Einheit mit demokratischer, transparenter Struktur.
Die Achtung der Menschenwürde: Menschen und Müll
In einer taz-Kolumne wurden Polizeibeamte mit Abfall gleichgesetzt. Dass
dies nicht geht, muss auch in Zukunft der kleinste gemeinsame Nenner sein.
Corona-Lockerungen in Deutschland: Das Vertrauen schwindet
Wenn Regierungen Vorschriften erlassen, die sie gar nicht kontrollieren
können, dann hat der Staat ein Problem.
Maskenpflicht in Deutschland: Und das Volk näht
Erst sinnlos, nun Pflicht? Wenn einzelne staatliche Maßnahmen Misstrauen
erwecken, wird es auch schwieriger, Vernünftiges umzusetzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.