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# taz.de -- Investigativjournalist Ronan Farrow: Angekratzt
> Die Kritik an Ronan Farrow in der „New York Times“ war notwendig. Aber
> stimmt die These, dass ein Journalismus der Feindbilder um sich greife?
Bild: Ronan Farrow bei der Vanity Fair Oscar Party im Februar
Er habe sich in einseitige Storys verrannt. Details ignoriert. Sich an
Feindbildern ergötzt. Mit dieser Kritik hat New-York-Times-Autor Ben Smith
diese Woche den [1][Starreporter Ronan Farrow] konfrontiert. In einer
kumulativen Beweisführung entlang Farrows bisherigen Recherchen legt Smith
dar, was seiner Ansicht nach die Schwächen des gefeierten und
preisgekrönten Autors seien.
Dieser sehe „die alten Regeln von Fairness und Aufgeschlossenheit eher als
Hindernisse denn als notwendig für Journalismus“ an. Der viel beachtete
Text wendet sich aber nicht nur gegen Farrow, sondern unterstellt dem
zeitgenössischen Enthüllungssjournalismus insgesamt, auf einem Irrweg zu
sein.
Es geht unter anderem um eine Recherche Farrows im Magazin New Yorker vom
Mai 2018. Farrow will darin anhand einer damals anonymen Quelle aus dem
US-Finanzministerium belegt haben, dass die Behörde Informationen über den
Trump-Anwalt Michael Cohen aus ihrer Datenbank verschwinden ließ. Das hat
sich in der Zwischenzeit als Irrtum herausgestellt – die einzige Quelle,
ein Mitarbeiter der Behörde, hatte falschgelegen.
[2][Zwar wurde Cohen im folgenden Winter 2018 unter anderem wegen
Steuerhinterziehung verurteilt], aber die Datensätze im Finanzministerium
hatte niemand verschwinden lassen, wie Ermittlungen ergaben. Sie wurden
wohl einfach auf einen Server mit eingeschränktem Zugang gelegt – ein nicht
unüblicher Vorgang.
## Wo liegt der Fehler?
Ein Irrtum, der vorkommen mag und der für sich stehend geringe Tragweite
hätte, d[3][er laut New-York-Times-Autor Ben Smith aber für eine generelle
Schwäche von Farrow als Investigativreporter steht]. Eine Schwäche, die
auch andere Geschichten des 32-Jährigen zu betreffen scheint. Unter anderem
seine Enthüllungen aus dem #MeToo-Komplex.
Aber bleiben wir noch kurz bei der Cohen-Geschichte. Wo liegt der Fehler?
Farrow hatte sich auf die Aussage einer glaubhaften Quelle verlassen. Diese
Quelle hatte sich geirrt. Ist das nicht verzeihlich? Ein Stück
Unsicherheit, das jede Investigation in Kauf nehmen muss, wenn der
vermutete Skandal groß genug ist?
Der Vorwurf gegen Farrow erschöpft sich aber nicht in einem kleinen Irrtum.
Das wäre eine klare Sachlage. Die Vorwürfe beziehen sich auf etwas, das für
seriösen Investigativjournalismus ein weit größerer Albtraum ist: dass sich
der Reporter verrennt. In eine These, die er lieb gewinnt, was ihn alle
Indizien, die dagegensprechen, vernachlässigen lässt.
2018 steht der Wind gegen Michael Cohen, er gilt als Handlanger für die
schmutzigen Geschäfte des Präsidenten. Dass ein Finanzministerium unter
ebendiesem Präsidenten solche Daten verschwinden lassen würde – denkbar,
oder? Aber wenn es nun mal falsch ist!
## Ein Hang zur Glätte
Die Cohen-Sache wäre schon genug, dass jeder redlichen
Investigativjournalist*in das Herz stehen bleibt, aber eine Karriere
zerstören würde es vermutlich noch nicht. Zu stark ist hier die Evidenz,
dass es wirklich ein menschlicher Irrtum war.
Aber Times-Autor Smith weitet den Vorwurf aus. Spricht über die
#MeToo-Recherchen im Zusammenhang mit Harvey Weinstein, für die Farrow den
Pulitzerpreis erhielt. Smith zieht Farrows ersten Artikel über den
Weinstein-Komplex als eine Art „Ursünde“ des Reporters heran. Farrow
veröffentlichte darin die Aussage einer der Frauen, die Weinstein
Vergewaltigung vorwarfen, Lucia Evans. [4][Evans’ Aussage wurde später im
Gerichtsprozess gegen Weinstein jedoch nicht zugelassen], weil ihre
Aussagen durch ein früheres Schreiben von ihr in Zweifel gerieten. Smith
wirft nun Farrow vor, er habe es versäumt, bei Freunden und Familie nach
einer Bestätigung von Evans’ Geschichte zu suchen, wie es erforderlich sei.
Smith sieht bei Farrow einen Hang zu glatten, eindeutigen Erzählungen,
geraden Linien, die die Leser*in bequem entlangspaziert, wo sie eher
kraxeln und klettern sollte: über penibelst formulierte Unsicherheiten,
spröde legalistische Passagen und offengelegte Widersprüche. Farrow aber
liefere Geschichten, die „unwiderstehlich filmreif seien, mit eindeutigen
Helden und Bösewichten“. Farrow lasse alle komplizierten Fakten und Details
weg, die seine Artikel weniger dramatisch machen würden.
Smith zieht damit die Güte von Farrows Arbeit im Ganzen in Zweifel. Der New
Yorker, Farrows Magazin, widerspricht dem. Der betreuende Redakteur gibt
zu, dass Fehler und Irrtümer bei Farrow vorgekommen seien, sagt aber auch:
„Es bleibt das Endergebnis – er hat geliefert.“ Farrow selbst kommentiert
knapp: „Ich stehe zu meiner Berichterstattung.“
Was Smith anführt, ist richtige und vor allem notwendige Kritik. Irrtümer
bei der oft uneindeutigen investigativen Arbeit müssen zugestanden werden,
und doch muss die Arbeit jeder Prüfung journalistischer Güte standhalten.
Was als Erbsenzählerei erscheinen mag, ist lebensnotwendig für das
Vertrauen in diesen Zweig des Journalismus.
Was Smith aber auch tut, ist, bei Farrow eine Art „Krankheit“ zu
diagnostizieren, die er gleich auf eine ganze journalistische Ära
ausweitet: resistance journalism. Smith spricht von Journalist*innen, die
auf „Wellen in den sozialen Netzwerken“ schwimmen und bevorzugt über
diejenigen öffentlichen Personen schrieben, „die von den lautesten Stimmen
am meisten gehasst werden“. Eine Lesart, [5][die seither vielfach
aufgegriffen wird], zum Beispiel vom ebenfalls weltberühmten
Investigativreporter Glenn Greenwald. Ein Journalismus in der Ära Trump
also, der sich in klaren Feindbildern suhlt? Eine grauenvolle Vorstellung
natürlich, aus Sicht einer liberalen Zeitung wie der Times, aber auch für
Investigativjournalist*innen, die für ihre Arbeit darauf angewiesen
sind, dass sie von allen politischen Milieus zumindest als fair und
objektiv betrachtet werden.
Diese Kritik an der allzu glatten Geschichte, am Vernachlässigen „störender
Details“ ist selbstverständlich essenziell. Journalistische Texte müssen
endlich aufhören, schön und süffig sein zu wollen, wo sie der Leser*in
eine Zumutung sein müssten.
Gleichzeitig spricht aus der Diagnose des resistance journalism eine
ultraliberale Fantasie. Denn was genau sollte investigativer Journalismus
denn sonst sein, wenn nicht Widerstand – gegen die Vertuschung und
Beschönigung der Wahrheit?
Was einerseits notwendige Kritik ist, der sich nicht nur Farrow, sondern
die ganze Zunft stellen muss, läuft andererseits Gefahr, selber Ideologie
zu werden. Hierzulande strickt die FAZ aus Smith’ Essay die Zeile: „Ist die
Galionsfigur von ‚MeToo‘ nur ein Märchenerzähler?“ Macht also genau
denselben Fehler: die Analyse durch die Konstruktion politischer Lager zu
verzerren. Denn weder behauptet Smith, Farrow sei ein Lügner, noch ist
Farrow auch nur annähernd die „Galionsfigur von ‚MeToo‘ “. MeToo war n…
nie abhängig von den Recherchen eines Ronan Farrow oder jener ersten
Geschichte. Die Kritik an ihm wirkt so, ganz unjournalistisch, wie ein
Angriff auf eine gesellschaftlich fest verankerte Bewegung.
22 May 2020
## LINKS
[1] /Pulitzer-Preistraeger-ueber-Aera-Trump/!5525526
[2] /Ex-Anwalt-von-Trump-verurteilt/!5558607
[3] https://www.nytimes.com/2020/05/17/business/media/ronan-farrow.html
[4] /US-Filmproduzent-Weinstein-vor-Gericht/!5542574
[5] https://theintercept.com/2020/05/18/ben-smiths-nyt-critique-of-ronan-farrow…
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Investigativer Journalismus
Schwerpunkt #metoo
Ronan Farrow
Harvey Weinstein
Lesestück Recherche und Reportage
Donald Trump
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