| # taz.de -- Mein Kriegsende 1945: „Wir starrten in entsicherte MP“ | |
| > Zeitzeugen erinnern sich (Teil 5): Claus Günther war als Hitlerjunge per | |
| > Kinderlandverschickung in Tschechien. | |
| Bild: Claus Günther | |
| Claus Günther, geboren 1931, wurde nach dem Krieg Schriftsetzer, | |
| Druckereikaufmann, Korrektor, Werbetexter und Journalist. Er heiratete und | |
| bekam eine Tochter: | |
| „Stell dir vor, der Krieg ist aus, und du weißt das nicht. Du hast keine | |
| Zeitung, kein Radio, kein Telefon und keine Post von zu Hause. Du bist 14 | |
| Jahre alt. Ein Pimpf, ein Hitlerjunge. Aber das ist jetzt vorbei, alles. | |
| Der Krieg ist zu Ende. | |
| Du bist in Bayern, in der Kinderlandverschickung. Aber die ist jetzt auch | |
| vorbei. Nur nach Hause kannst du nicht. Mein Zuhause in Harburg existiert | |
| nicht mehr. Ausgebombt am 25. Oktober. Mein Zimmer, meine Bücher, meine | |
| Spielsachen, mein Zeug: zerstört, verbrannt. Als wir am 1. Mai 1944 in die | |
| Kinderlandverschickung abfuhren, nach Tschechien, meine Klassenkameraden | |
| und ich samt Lehrkräften, da war noch alles heil. | |
| Zweimal sind wir dann vor dem Feind geflüchtet. Jetzt, am 11. Mai 1945, | |
| sitzen wir mit unserem Lehrer in Windberg am Waldesrand. „Der Krieg ist zu | |
| Ende“, berichtet er mit belegter Stimme. „Deutschland hat am 8. Mai | |
| bedingungslos kapituliert.“ Er spricht vom mörderischen Kampf, vom | |
| heldenhaften, vergeblichen Ringen unseres Volkes – „und jetzt dies | |
| schreckliche Ende, der Krieg verloren, abermals“. | |
| Ich bin erleichtert, dass Schluss ist mit dem HJ-Dienst. Aber ich weiß kaum | |
| noch, wie man Menschen grüßt, wenn man nicht mehr „Heil Hitler!“ sagt und | |
| den rechten Arm dabei hebt. An die „Wunderwaffen“ habe ich nicht mehr | |
| geglaubt, ebenso wenig wie an die Behauptung, Adolf Hitler sei „in Berlin | |
| für Deutschland gefallen, an vorderster Front bis zum letzten Atemzug gegen | |
| den Bolschewismus kämpfend“. Am 20. April, seinem Geburtstag, war er noch | |
| groß gewürdigt worden; als er zehn Tage später tot war, hat hier niemand | |
| mehr um ihn getrauert. Sic transit gloria Nazis. | |
| Am 26. April hatten die Amis das Dorf kampflos eingenommen. Wir Jungs | |
| fanden im Bach Munition, zündelten mit dem Schwarzpulver. Das sprach sich | |
| herum. Wir wurden verdächtigt, starrten in entsicherte MP – und hatten doch | |
| kaum Angst. Ausgangssperre? Na ja. Aber wann fahren wir nach Hause? | |
| Es dauerte bis zum 7. August. Am 11. August kamen wir in Harburg an – nach | |
| über 15 Monaten Kinderlandverschickung.“ | |
| Bisher erschienen: | |
| (4) [1][Eric Axam, britischer Soldat] | |
| (3) [2][Ljudmila Kotscherzhyna, verschleppt aus der Ukraine] | |
| (2) [3][Herbert Haberberg, jüdischer Brigadist] | |
| (1) [4][Walter Frankenstein, versteckt in Berlin] | |
| 7 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mein-Kriegsende-1945/!5682092 | |
| [2] /Mein-Kriegsende-1945/!5682094 | |
| [3] /Mein-Kriegsende-1945/!5682097 | |
| [4] /Mein-Kriegsende-1945/!5682091 | |
| ## AUTOREN | |
| Claus Günther | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Tag der Befreiung | |
| Schwerpunkt Tag der Befreiung | |
| Schwerpunkt Tag der Befreiung | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kriegsende vor 75 Jahren: Hurra, wir haben gewonnen! | |
| In Deutschland gilt der 8. Mai heute als „Tag der Befreiung“. Doch der | |
| Begriff birgt Tücken. Dabei geht es um mehr als nur um Wortklauberei. | |
| Mein Kriegsende 1945: „Ein Wodka und eine Scheibe Brot“ | |
| Zeitzeugen erinnern sich (Teil 1): Walter Frankenstein war in Berlin mit | |
| Frau und Kind untergetaucht – zuletzt in einem Bunker in einem U-Bahnhof. | |
| Gedenken an Todesmärsche vor 75 Jahren: Auf dem Todesmarsch erschossen | |
| Kurz vor Kriegsende trieb die SS Häftlinge aus Konzentrationslagern durch | |
| Brandenburg. Diese Todesmärsche haben Spuren hinterlassen. |