# taz.de -- Mein Kriegsende 1945: „Ein Wodka und eine Scheibe Brot“ | |
> Zeitzeugen erinnern sich (Teil 1): Walter Frankenstein war in Berlin mit | |
> Frau und Kind untergetaucht – zuletzt in einem Bunker in einem U-Bahnhof. | |
Bild: Walter Frankenstein wurde am 28. April 1945 von sowjetischen Soldaten bef… | |
Walter Frankenstein, geboren 1924 im westpreußischen Flatow, emigrierte | |
nach dem Krieg mit seiner Familie zunächst nach Palästina bzw. Israel, | |
später weiter nach Schweden. Er arbeitete zunächst als Maurer, später nach | |
einem Studium als Ingenieur: | |
„Wir, also meine Frau Leonie und unser Kind Uri, waren seit Februar 1943 | |
auf der Flucht vor den Nazis und lebten untergetaucht in Leipzig, Berlin | |
und Brandenburg, aber nicht immer gemeinsam. Im September 1944 wurde unser | |
Sohn Michael unter falschem Nachnamen geboren. | |
Den April 45 verbrachten wir vier zunächst illegal in einer Wohnung in | |
Berlin-Kreuzberg, die uns eine Prostituierte überlassen hatte. Dann setzte | |
der sowjetische Artilleriebeschuss ein und es wurde dort zu unsicher. Eines | |
Nachts schlichen wir uns in den Bunker der U-Bahn am Kottbusser Tor ein. Da | |
stand ein zweistöckiges Holzbett. Ich schlief oben, Leonie unten, die | |
Kinder lagen davor auf Strohsäcken. Zu Essen gab es so gut wie nichts, aber | |
glücklicherweise hatten wir Wasser dabei. | |
Von draußen hörte man Maschinengewehrfeuer. Der Bunker war voller Frauen | |
und Kinder. Dann kamen SS-Männer, die den Bunker unter Wasser setzen | |
wollten. Es gezieme sich nicht für deutsche Frauen und Kinder, dem Feind | |
lebend in die Hände zu fallen, sagten sie. Die Frauen redeten so lange auf | |
die SS-Männer ein, bis sie schließlich abzogen. | |
Nach fünf Tagen, am 28. April 1945, kam ein russischer Soldat mit einer | |
Maschinenpistole im Anschlag. Ich bin aus dem Bett und ihm um den Hals | |
gefallen vor Freude – der hätte mich glatt erschießen können. Ein | |
russischer Offizier verlangte danach, dass ich das jüdische | |
Glaubensbekenntnis auf Hebräisch spreche, um zu beweisen, dass wir wirklich | |
Juden sind. | |
Danach brachten sie uns in die Markthalle, wo ein sowjetischer Befehlsstand | |
untergebracht war. Sie gaben mir ein großes Wasserglas voll mit Wodka, | |
obendrauf lag eine Scheibe Brot. Gedanken an die Zukunft hatte ich an | |
diesem Tag keine mehr. Ich war ja gleich vollkommen besoffen.“ | |
Aufgezeichnet von Klaus Hillenbrand | |
6 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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