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# taz.de -- Mein Kriegsende 1945: „Schokolade, wertvoller als Gold“
> Zeitzeugen erinnern sich (Teil 7): Johns Lampel wurde mit seiner Mutter
> und den Großeltern im Getto Theresienstadt befreit.
Bild: Johns Lampel
Johns Lampel ist 83 Jahre alt. 1956 wanderte er aus Ungarn nach Israel aus
und arbeitete dort in der Lagerverwaltung der israelischen Armee. Er ist
verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Ramat Gan:
„Ich war acht Jahre alt, als die Russen mich, meine Mutter und meine
Großeltern in Theresienstadt befreiten. Ich erinnere mich noch genau an den
russischen Offizier, der auf meine Mutter und mich zukam. Er muss Jude
gewesen sein, denn er sprach meine Mutter auf Jiddisch an. Dann holte er
eine Tafel Schokolade aus seinem Mantel und drückte sie mir in die Hand.
Ich hatte in den letzten zwei Jahren kaum Essen gesehen, von Schokolade
ganz zu schweigen. Es war, als hätte er mir einen Barren Gold gegeben.
Ein knappes Jahr zuvor, im Juni 1944, waren wir aus meiner Heimatstadt
Szeged in Ungarn deportiert worden. Ich erinnere mich nur daran, dass ich
neben meiner Mutter auf dem Boden eines Viehwaggons saß. Später erfuhr ich,
dass die meisten Züge von Szeged nach Auschwitz gegangen sind, wir aber
sind in ein Zwangsarbeiterlager gebracht worden, nach Groß-Siegharts in
Österreich. Meine Mutter arbeitete dort als Zwangsarbeiterin für Siemens,
ich war auf dem Dachboden der Fabrik eingesperrt. Im April 1945 wurden wir
nach Theresienstadt deportiert.
Ich weiß noch, dass ich große Angst hatte, als die ersten Deutschen das
Lager verließen und bei ihrer Flucht auf die Häuser schossen. Doch dann
kamen die Russen. Sie rollten mit ihren Panzern die Zäune nieder und
öffneten das Vorratslager der Wehrmacht: „In den nächsten 48 Stunden könnt
ihr davon nehmen, was ihr wollt“, sagten sie. Ich war plötzlich frei,
gemeinsam mit meiner Mutter und meinen Großeltern.
Mein größter Traum war damals, zurück nach Szeged zu kommen und meinen
Vater wiederzusehen. Einer von uns war ein hochrangiger Angestellter der
ungarischen Bahn. Er ging zum Bahnhof des nächsten Ortes und sagte, er
bräuchte einen Waggon, um in Theresienstadt befreite Bahnarbeiter nach
Hause zu bringen.
Das mit den Bahnarbeitern war natürlich gelogen. Wir hängten den Waggon an
einen Zug, der nach Prag fuhr, von dort an weitere Züge, bis wir
schließlich Budapest erreichten. Vertreter der jüdischen Gemeinde empfingen
uns. Sie schüttelten die Hand meines Großvaters. „Es ist ein Wunder“,
sagten sie, „dass ein so kleiner Junge überleben konnte.“
Im Juni 1945 kehrten wir nach Szeged zurück. Ich war unsagbar glücklich.
Ich bekam wieder etwas zu essen und spielte mit den Nachbarskindern im
Garten. Nur mein Vater kehrte nicht zurück. Erst 1947 erfuhren wir, dass er
als Zwangsarbeiter für die ungarische Armee an der russischen Front
gestorben ist.“
Aufgezeichnet von Judith Poppe
Zuletzt erschienen:
(6) [1][Nikolaj Kurilenko, Rotarmist]
(5) [2][Claus Günther, Hitlerjunge]
(4) [3][Eric Axam, britischer Soldat]
8 May 2020
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## AUTOREN
Judith Poppe
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Schwerpunkt Tag der Befreiung
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Ehrenbürger
Konzentrationslager
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