Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ehrenamt in Zeiten von Corona: Hilfe? Nein, danke!
> Viele Engagierte wollen älteren Menschen helfen. Doch die nehmen in der
> Coronakrise oft kaum Unterstützung an.
Bild: Eine Kundin beim Einkaufen
Siebzehneinhalb Hilfsbereite teilen sich derzeit einen älteren, Hilfe
suchenden Menschen. Nicht nur bei der Corona Nachbarschaftshilfe Hamburg
sind sie gesucht, die Älteren, die sich melden, wenn sie Unterstützung
brauchen. Hamburg ist nicht die Ausnahme, es ist ein flächendeckender
Befund, der Irritationen auslöst: Jeder will helfen, und die Alten gehen
nicht hin.
Es ist großartig, dass sich in Krisenzeiten eine beachtliche Solidarität
und Hilfskultur entwickelt hat für die vielen isolierten [1][alten
Menschen], die in der Pandemie nicht aus ihren Wohnungen dürfen.
BürgerInnen sind zur Stelle, denn einkaufen, Sachen rauf- und Müll
runtertragen, das kann jede und jeder und es ist auch ohne viel Zeitaufwand
spontan zu erledigen. Die Nachbarschaftsnetzwerke haben großen Zulauf, aber
eben: nur auf Seiten der HelferInnen. Die meisten, für die die
Unterstützung gedacht ist, bleiben ihr fern. Woran liegt das?
Die heute über 80-jährigen, besonders die Frauen, gehören zur
Nachkriegsgeneration, die dazu erzogen wurde, nicht schwach zu sein und
unbedingt selbst zurecht zu kommen. Zähne zusammenbeißen, sich nichts
anmerken lassen, auf sich selbst vertrauen, das galt ein Leben lang. Erst
recht im Alter will diese Generation niemanden zur Last fallen. Um etwas zu
bitten und ohne Gegenleistung einfach zu nehmen, sich als schwach und
hilfsbedürftig „zu outen“, entspricht nicht der Prägung dieser Generation.
Es ist weder gelernt noch gewollt.
Aber es ist nicht nur ein Habitus, wenn viele Ältere keine Hilfe annehmen
wollen. Alt sein ist nicht gleichbedeutend mit hilfsbedürftig sein. Immer
mehr Menschen arbeiten über das Rentenalter hinaus, engagieren sich in
Vereinen und Schulen, stellen einen Großteil der Kulturkonsumenten. Sie
unterstützen mit Zeit und Geld ihre Kinder und Enkel. Sie nutzen die
Bildungsangebote von Volkshochschulen und Universitäten, sind in Parteien
und sozialen Bewegungen aktiv oder gründen sogar nach dem Erwerbsleben
eigene Unternehmen. Als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen,
waren die Älteren unersetzliche Helfer und Helferinnen. Jetzt zum passiven
Empfänger der Hilfe erklärt zu werden, passt mit dem eigenen
Selbstverständnis nicht zusammen. Auch jetzt definieren sich Ältere als
aktiver Teil der Gesellschaft: Wer trotz Ansteckungsrisiko selbst auf die
Straße geht, will teilhaben. Und wer in der Pandemie soziale Distanz
einhält, will, dass es den Kindern und Enkeln gut geht. Zu Hilfesuchenden
macht diese Vernunftentscheidung die Älteren aber nicht.
Die wichtigste Erkenntnis, um das Fernbleiben der Alten von den
Hilfsangeboten zu verstehen, ist aber, dass es „die Alten“ gar nicht gibt.
Zur Corona-Risikogruppe zählen „Menschen ab 50 oder 60“ – das umfasst bis
zu drei Generationen. Mehr als jeder Vierte in Deutschland ist über 60
Jahre alt. Und die Menschen dieser großen Altersspanne sind so verschieden,
wie sie es während ihres ganzen Lebens waren. Jede pauschale und stereotype
Ansprache der Alten als homogene Gruppe steht allen Bemühungen der letzten
Jahrzehnte, die Vielfalt des Alters zu betonen, antagonistisch gegenüber.
Keine Hilfe anzunehmen, ist insofern auch ein Zeichen von Selbstbewusstsein
der Generationen 60 plus, die mit Alter Stärke, Potenziale und Ressourcen –
und eben auch Diversität – assoziieren.
Gleichwohl: Es gibt innerhalb der verschiedene Altersgenerationen auch
Menschen, die Hilfe brauchen, gerade jetzt. Einsame, [2][gebrechliche,
kranke Menschen] sind nicht per se alt, aber Vulnerabilität nimmt mit
steigendem Alter zu. Social Distancing erfahren diese Menschen oft als
krankmachende Isolation. Um die Vereinsamten machen sich dieser Tage viele
Sorgen. „Wir nutzen alles, was technisch geht, aber was ist mit denen, die
keinen Zugang zu Internet, keinen PC, kein Tablet, kein Smartphone
besitzen, keine Tageszeitung lesen? Wir wissen, dass wir diesen
Personenkreis nur schwer oder vielleicht auch gar nicht erreichen“, sagt
etwa Andreas Hannig, Leiter des Referats Altenhilfe der Stadt Kassel.
Genau darin offenbart sich ein Problem, das nicht neu ist, sich aber in
Zeiten von Kontaktsperren und häuslicher Isolation besonders deutlich
zeigt: Viele Ältere sind digital abgehängt – und es sind oftmals genau die,
die Hilfe bräuchten. Das gilt nicht nur für ihr mangelndes persönliches
Vertrautsein mit der Technik, sondern oft auch für die Infrastruktur:
Längst nicht alle Altenheime sind mit Wlan ausgestattet.
Was also ist zu tun? Das wissen die am besten, die schon vor Corona für die
Versorgung und Teilhabe der Älteren zuständig waren: die kommunalen
Schlüsselfiguren für Altenhilfe in der Verwaltung, den Einrichtungen und
Verbänden. Sie wissen, wer Not leidet – und ob Einkaufshilfen im Zweifel
ausreichen.
## Fenster- und Balkongespräche
In Kassel werden jetzt neue, proaktive Kommunikationskanäle erprobt:
Verwaltung und Stadtteilzentren rufen ihre Zielgruppen an und führen
Fenster- und Balkongespräche. Die aufsuchende, präventive Betreuung älterer
Mitbürger ist allerdings für viele Kommunen Neuland. Anders ist das in
Dänemark, wo jeder Bewohner und jede Bewohnerin zum 75. Geburtstag ein
briefliches Angebot der Stadt zum persönlichen Besuch erhält. Ziel sind
verbindliche Verabredungen darüber, wie die Besuchten auch im Alter
eigenständig leben und gesellschaftlich teilhaben können.
Information, Abstimmung und Kooperation sind angesichts der Hilfewelle in
Corona-Zeiten die zentralen Aufgaben, damit Hilfe ankommt, keine
Doppelstrukturen entstehen und die große [3][gesellschaftliche Solidarität]
auch nach der Pandemie Früchte trägt. Was sich in der Krise an Neuem
bewährt, kann auch nach der Pandemie Maßstäbe setzen für lokale
Altersfreundlichkeit. Das gilt für innovative Hilfsangebote ebenso wie für
die großen Potenziale an Hilfsbereitschaft und Kompetenz, die Ältere für
gesellschaftliche Solidarität selbst einbringen.
12 May 2020
## LINKS
[1] http://xn--Die%20heute%20ber%2080-jhrigen,%20besonders%20die%20Frauen,%20ge…
[2] /Demente-Grosseltern-in-der-Coronakrise/!5679466
[3] /Bischoefin-ueber-den-Umgang-mit-Corona/!5681515
## AUTOREN
Karin Haist
Susanne Kutz
Susanne Kutz und Karin Haist
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Senioren
Solidarität
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bischöfin über den Umgang mit Corona: „Der Ton ist nervös und ruppig“
Regionalbischöfin Petra Bahr wurde gerade in den Ethikrat gewählt. Ein
Gespräch über schwierige Abwägungen, Boris Palmer und
Verschwörungstheorien.
Ausgang für Risikogruppen: Kein Stubenarrest für Heimbewohner
Heime gelten als ganz besonders gefährdet durch Corona. Einsperren dürfen
sie ihre Bewohner trotzdem nicht, auch wenn einzelne das wohl versuchen.
Corona-Risikogruppe: Bringt uns bitte nicht um! Danke!
Wer aus Frust, Gier oder Partylust den Corona-Lockdown zu früh aufheben
will, muss wissen: Die Risikogruppe möchte noch nicht sterben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.