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# taz.de -- Aktivistin über Flüchtlinge in Russland: „Leute werden humaner�…
> Die Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina bekommt – trotz Corona –
> Hilfsgüter für Flüchtlinge. Auch die Behörden seien kooperativer, sagt
> sie.
Bild: Immer im Einsatz für Flüchtlinge: Swetlana Gannuschkina
taz: Frau Gannuschkina, auch Sie sind jetzt wegen Corona im Homeoffice. Wie
kann man da Flüchtlingen helfen?
[1][Swetlana Gannuschkina]: In Moskau gelten [2][strenge
Ausgangsbestimmungen]. Doch auf Antrag erhalten unsere BeraterInnen,
JuristInnen und Dolmetscher die Erlaubnis, unser Büro aufzusuchen.
Und für Flüchtlinge gelten die gleichen Ausgangsbeschränkungen?
Viele Flüchtlinge haben keine gültigen Papiere. Und Papierlose können keine
Anträge stellen. Dies bedeutet, dass sich Papierlose, die zum Einkaufen
gehen, automatisch strafbar machen. Wir als Organisation „Zivile
Unterstützung“ haben die Behörden gebeten, doch eine Regelung für die
Papierlosen unter den derzeit gültigen Ausgangsbestimmungen zu finden.
Aus welchen Gründen suchen Flüchtlinge Kontakt zu Ihrer Organisation?
Viele haben Angst, dass ihre Dokumente ablaufen, weil die Behörden nur sehr
begrenzt arbeiten. Unsere Juristen bearbeiten mit diesen Flüchtlingen die
Formulare, schicken diese dann per Mail an die Behörden. Andere kommen mit
medizinischen Problemen zu uns und werden dann von unseren Ärztinnen
versorgt.
Wie viele Flüchtlinge gibt es derzeit in Russland?
Laut Stand vom 1. Januar dieses Jahres haben wir 487 anerkannte Flüchtlinge
und 41.946 Flüchtlinge mit einem befristeten Aufenthaltsstatus. Nur sie
dürfen arbeiten. Alle anderen, das sind nach meinen Schätzungen rund
200.000, nicht. In Russland gibt es keine staatlichen finanziellen Hilfen
für Flüchtlinge. Und arbeiten dürfen nur diejenigen, die anerkannt sind.
Alle anderen müssen sehen, dass sie sich irgendwie Geld dazuverdienen
können. Die meisten haben etwas im Handel gefunden, als Packer. Doch genau
diese Arbeiten werden derzeit nicht benötigt. Deswegen sind einige Familien
gänzlich ohne Lebensmittel. Wir als Organisation sammeln Geld, um die
Betroffenen mit dem Nötigsten zu unterstützen.
Und wo kommt das Geld dafür her?
Vor Kurzem hat uns die französische Botschaft sehr unbürokratisch und
innerhalb von zwei Tagen eine Million Rubel für unsere Arbeit gegeben.
Und die Bevölkerung?
Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung hat auch in Coronazeiten nicht
abgenommen. Vor zwei Wochen suchte uns Alexej Chodorkowski (er ist nicht
verwandt mit Michail Chodorkowski, Anm. der Red.), Chef eines
Gastronomiebetriebes, auf. Er bot uns kostenlose Mittagessen für unsere
Schützlinge an. Und er hat auch dafür gesorgt, dass wir Lebensmittel
verbilligt bei einem Großhändler einkaufen können. So haben wir Ende März
die ersten hundert Mittagessen in die private Flüchtlingsunterkunft
„Nesnajka“ angeliefert. In dieser Unterkunft, die uns ein Freund zur
Verfügung gestellt hat, haben Dutzende von Flüchtlingen erst mal ein Dach
über dem Kopf gefunden. Und auch der in Russland sehr bekannte Chansonnier
Sergej Nikitin hilft uns. Nikitin ist genauso wie ich Mitglied im Beirat
dieser Flüchtlingsunterkunft. Dieses private Heim ist derzeit der einzige
Ort, wo wir alleinstehende Mütter mit ihren Kindern unterbringen können.
Wie bewerten Sie das Vorgehen der Behörden?
Die Menschen werden in diesen Krisenzeiten humaner. So erleben wir in den
letzten Tagen, dass man Personen, denen noch in der Vorviruszeit kein Visum
verlängert worden wäre, nun plötzlich den begehrten Stempel gibt. Und aus
den Strafkolonien und Abschiebegefängnissen werden viele Insassen vorzeitig
entlassen. Allein im Moskauer Untersuchungsgefängnis „Matrosenruhe“ sind
bereits zwei Dutzend Häftlinge infiziert.
Diese „Humanisierung“ lässt sich überall beobachten?
Ich sehe sie in Perm, Ekaterinburg, dem Gebiet Swerdlowsk, auch in Moskau.
Schlecht sieht es hingegen in St. Petersburg aus.
Und im Nordkaukasus, wie der Teilrepublik Tschetschenien?
Da ist alles anders. Das ist die einzige Region auf der ganzen Welt, wo es
noch Hexenjagden im mittelalterlichen Sinne gibt. Wer in Tschetschenien der
Hexerei verdächtigt wird, wird bestraft. Und diese Strafen, die von keinem
Gesetz gedeckt sind, sind oft brutal. In Tschetschenien werden
Corona-Infizierte mit Terroristen auf eine Stufe gestellt. Dort glauben
die Behörden, die Betroffenen seien selbst schuld an ihrer Infektion.
16 Apr 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Russland
Schwerpunkt Coronavirus
Flüchtlinge
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