# taz.de -- Neues Kunstbuch: In einer kuratierten Welt | |
> Isabelle Graws neues Buch „In einer anderen Welt. Notizen aus den Jahren | |
> 2014–2017“ erscheint im Mai. Ein Vorabdruck gibt Einblicke. | |
Bild: Szene aus dem Space (1986-2016), einem sogenannten Superclub auf Ibizia | |
## TISCHORDNUNG | |
Die Tischordnungen bei den Dinnern nach Galerieeröffnungen sind auf | |
besondere Weise hierarchisch motiviert und organisiert. Mit schöner | |
Regelmäßigkeit wird hier ein Katzentisch für die Galeriemitarbeiter*innen | |
eingerichtet, an den auch die als unbedeutender geltenden Kurator*innen | |
oder Kritiker*innen gesetzt werden. Den zentralen Platz am wichtigsten | |
Tisch nimmt selbstredend die/der ausstellende Künstler*in ein, flankiert | |
von ihrer/seiner Galerist*in und den potentesten Sammler*innen. Wie | |
bei Hofe geht es von Tisch zu Tisch dann stufenweise abwärts – bis zum | |
Fußvolk. | |
Gestern, während eines solchen Dinners, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, | |
dass es bei diesen Tischordnungen nicht nur darum geht, die Rangordnungen | |
der Kunstwelt abzubilden und zu reproduzieren, sondern auch darum, | |
überraschende Querverbindungen zu verhindern. Wenn zum Beispiel die | |
schwerreiche Sammlerin exklusiv von der Galeristin betreut und abgeschirmt | |
wird, dann kann erstere keinen Kontakt zu anderen Gästen aufnehmen, die sie | |
eventuell auch beraten oder ihr etwas verkaufen könnten. | |
Qua Tischordnung wird also im Grunde genommen ein protektionistisches | |
System konserviert. Kritiker*innen spielen nur eine marginale Rolle in | |
dieser Ordnung, wobei in den letzten Jahren mit dem Eintritt der Gesetze | |
der Celebrity-Kultur in die Kunstwelt zunehmend dafür gesorgt wurde, dass | |
neben den Vertreter*innen der Fachpresse auch die Lifestyle-Presse | |
erscheint. Leute aus der Fashion-Szene sind inzwischen ebenfalls gern | |
gesehene Gäste. | |
Mithilfe dieser Dinner wird eine soziale Ordnung etabliert, die nicht | |
umgestoßen, sondern nur – etwa in Form eines Platzwechsels – punktuell | |
leicht verschoben werden kann. Entsprechend fangen die Gäste schon beim | |
Dessert damit an, sich endlich frei zu bewegen und andere Plätze | |
einzunehmen. Zuvor waren sie stundenlang auf ihrem Stuhl festgenagelt, zum | |
Gespräch mit den Leuten verdammt, die ihnen als Tischnachbar*innen | |
zugewiesen wurden. Jahrelang bin ich grundsätzlich neben ältere, | |
konservative Herren gesetzt worden, wohl in der Hoffnung, dass ich sie mit | |
provozierenden Bemerkungen ein wenig unterhalten würde. | |
Mein der Kunstwelt nur am Rande zugehöriger Lebenspartner hingegen findet | |
sich im Rahmen dieser problematischen Hierarchie oft weit abgeschlagen | |
neben dem Grafiker der Galerie oder einer Künstlerwitwe sitzend wieder, | |
wobei letztere neulich aus Protest gegen ihre sichtbar marginale | |
Platzierung demonstrativ früh nach Hause ging. Es ist im Übrigen auch | |
anstrengend und unerquicklich, sich die impliziten Hierarchien der | |
Tischordnung auf diese Weise zu vergegenwärtigen. | |
Denn einmal mehr sieht man sich mit der Feststellung konfrontiert, dass man | |
innerhalb dieses sozialen Universums aus der Sicht der Gastgeber*innen | |
einen bestimmten Platz einnimmt. Man wähnte sich zwar längst woanders, wird | |
aber mit Wucht auf seinen eigentlichen Platz innerhalb dieser Rangordnung | |
verwiesen. Dort sitzend erscheint das Aufbrechen dieser Festschreibung wie | |
ein Ding der Unmöglichkeit. | |
## BIOPOLITIK AUF IBIZA | |
Auf dem wasserfesten Armband, das zum vergünstigten Eintritt ins Space | |
berechtigte, stand es kleingedruckt: Noch mehr Rabatt bekäme man, wenn man | |
sich das Motto der Party als Tattoo in die Haut ritzen lasse. Mittels | |
Tätowierung steigt man so zum lebenslangen Mitglied der Space-Community | |
auf, wofür man im Gegenzug einen kleinen Preisnachlass erhält. | |
Das ist Biopolitik im fortgeschrittenen Stadium: Der Körper wird zum | |
Gegenstand eines Club-Marketings, das sich unmittelbar in ihn | |
einzuschreiben versucht, indem es auf die freiwillige Mitarbeit des | |
Körperträgers zielt. Es geht letztlich darum, die Party-People noch | |
intensiver und tiefgreifender an den Club zu binden. | |
Den Leuten, die sich dieses Tattoo tatsächlich stechen lassen, wird das | |
Gefühl gegeben, einer bestimmten Club-Community anzugehören – ein Privileg, | |
das im vergünstigten Eintritt seine Bestätigung findet. Wer sich auf diesen | |
Deal einlässt, muss aber auch dazu bereit sein, den eigenen Körper als | |
einen Einsatz zu sehen, der lebenslang einer anderen Macht (in diesem Fall | |
dem Club) überantwortet wird. | |
## LABELS IM SAMMLERMUSEUM | |
Dass neben öffentlichen Museen zunehmend Sammlermuseen entstehen, ist kein | |
neues Phänomen. Doch anders als die europäischen privaten Sammler*innen, | |
die mit ihren Ausstellungen oft einen quasi-wissenschaftlichen Anspruch | |
erheben, haben die großen amerikanischen Privatsammler*innen in diese | |
Richtung kaum Ambitionen. | |
Schon die neben den Kunstwerken hängende Beschilderung in den privaten | |
Museen in Miami vermittelt ausschließlich die subjektive Sicht der | |
Sammler*innen. Die Labels in der Rubell Family Collection erzählen | |
beispielsweise von persönlichen Begegnungen mit den Künstler*innen, von | |
Dates, Drinks und Dinner-Verabredungen, sind also prall gefüllt mit | |
Anekdoten, die an die Stelle einer wissenschaftlichen Erläuterung treten. | |
Oft sind diese Texte in Ich- oder Wir-Form verfasst, was keinen Zweifel an | |
ihrem persönlichen Zuschnitt lässt. Geradezu ausschweifend erzählen die | |
Sammler*innen aus ihrem Sammlerleben, berichten von plötzlichen | |
Eingebungen und Vorlieben. Das Label, das zuvor der sachlichen Erläuterung | |
des Kunstwerks diente, ist zu einer Art Sammler-Tagebuch geworden. Damit | |
werden die Sammler*innen zu ebenbürtigen Akteur*innen erklärt, denen | |
genauso viel Bedeutung zukommt wie den Urheber*innen der ausgestellten | |
Werke. | |
Qua Beschilderung reklamieren sie für sich die Rolle eines Meta-Autors. Den | |
Sammler*innen gehört nicht nur das Gebäude und die darin präsentierte | |
Kunst, sie sind neben den Künstler*innen auch für die Produktion von | |
Bedeutung verantwortlich. Die Persönlichkeit der Sammler*innen, ihre | |
Vorlieben werden auf diese Weise für entscheidender erklärt als das in den | |
Kunstwerken potentiell Auf-dem-Spiel-Stehende. Das Sammlerego hat hier | |
solche Ausmaße angenommen, dass es das von ihm Gesammelte zu überstrahlen | |
beginnt. | |
## TRY ME I AM TEA | |
Auf der Münzstraße lädt eine Thermosflasche vor einem Lifestyle-Geschäft | |
das Laufpublikum dazu ein, sich zu bedienen. Vor der Flasche ist eine Karte | |
mit den Worten „try me I am tea“ aufgestellt worden, was die Flasche | |
buchstäblich zum Sprechen bringt: Sie fordert uns (natürlich auf Englisch) | |
dazu auf, von ihr zu probieren, weil sie Tee sei. Der Tee selbst fordert | |
uns gleichsam dazu auf, ihn zu trinken. Als Ware lebt dieser Tee so, wie | |
Karl Marx es in seinen Überlegungen zum Fetischcharakter der Ware | |
beschrieben hat: Er wirkt selbsttätig und spricht. | |
Mithilfe der Karte werden animistische Projektionen bei den | |
Passant*innen ebenso aktiviert, wie sie das Objekt in etwas | |
Quasi-Lebendiges verwandelt, das uns vertrauensvoll zuruft: „Probier mich | |
ruhig, ich bin nur Tee.“ Einige Leute stehen mit Pappbechern herum und sind | |
der Aufforderung der Thermoskanne offenkundig nachgekommen. Erstaunlich, | |
dass das demokratische, auch in der Kunstwelt verbreitete Ideal der | |
„Partizipation“ inzwischen derart weite Kreise zieht. | |
Der angebotene Tee trotzt aber auch gut der augenblicklichen Kälte, da man | |
sich am heißen Getränk, wenn man den Becher eng umfasst, die Hände wärmen | |
kann. Vielleicht ist das Ganze aber auch einfach nur symptomatisch für den | |
Strukturwandel dieser Gegend, in der zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte und | |
zuletzt sogar der kleine Kiosk schließen und Boutiquen weichen mussten. | |
Passend zu diesen Entwicklungen verwandelt sich jetzt auch mein | |
alltäglicher Gang zur Reinigung in ein kuratiertes Erlebnis, das einem | |
Galeriebesuch gleicht. | |
## LINKE MÄNNER | |
Meine Freundin J. hat recht: Oft sind linke Männer (oder Männer, die sich | |
„links“ wähnen) das viel größere Problem. Mit einigen von ihnen ist häu… | |
schwerer umzugehen als mit den Macho-Typen, die ihre sexistische | |
Herablassung Frauen gegenüber demonstrativ vor sich hertragen. Es gibt | |
natürlich auch linke Männer, die die Lektionen des Feminismus verinnerlicht | |
und feine Antennen für ihre restsexistischen Reflexe ausgebildet haben. | |
In der Zusammenarbeit mit Frauen gelingt es diesen, jegliches | |
Dominanzgebaren zu vermeiden. Sie sind so selten wie angenehm. Doch leider | |
existieren daneben zahlreiche linke und offiziell mit dem Feminismus | |
sympathisierende Männer, die die Arbeit ihrer weiblichen Kollegen auf | |
subtile und kaum greifbare Weise geringschätzen. Oft übergehen sie deren | |
Arbeit einfach, schweigen sie tot und/oder beziehen sich erst gar nicht auf | |
sie. | |
Auch im persönlichen Gespräch mit der Kollegin vermeiden sie jede Frage | |
nach dem Stand ihrer Arbeit tunlichst, als gäbe es diese gar nicht. Neben | |
diesen Techniken des Zum-Verschwinden-Bringens findet sich bei zahlreichen | |
linken Männern eine Vielfalt an subtilen Herabsetzungsmethoden, die häufig | |
im Gewande des Lobes daher- kommen. Ein Beispiel: Ausgerechnet heute, an | |
meinem Geburtstag, habe ich eine E-Mail eines linken Kollegen erhalten, die | |
eigentlich nett gemeint war und doch von feiner Diskriminierung zeugte. | |
Er berichtete mir darin von einem Freund und Kollegen, der voller | |
Anerkennung für einen Vortrag von mir gewesen sei. In diesem Vortrag habe | |
sich gezeigt, dass ich viel gearbeitet hätte und jetzt eine „richtige“ | |
Marxistin wäre. Der Paternalismus, der mir und meiner Arbeit in diesem | |
zwiespältigen Lob entgegenschlug, war erstaunlich. | |
Wie einem Schulmädchen stellten mir Männer ein Fleißkärtchen aus und | |
teilten mir durch die Blume mit, dass sie meine Arbeit nun, da ich so viel | |
und brav geforscht hätte, endlich ernst nähmen. Mir wurde nun Zugehörigkeit | |
attestiert, allerdings zu den von ihnen festgelegten Bedingungen, letztlich | |
bin ich aus ihrer Sicht eine gelehrige Schülerin geblieben, der man | |
ermutigende Worte mit auf den Weg gibt. Und so etwas passiert mir mit 55! | |
22 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Isabelle Graw | |
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