# taz.de -- Wie Djorkaeff Lautern Glanz verlieh: Verdächtige Schönheit | |
> Mit Youri Djorkaeff lernte man beim 1. FC Kaiserslautern einst völlig | |
> Neues kennen: Ballbehandlung, Spielverständnis und Eleganz. | |
Bild: Immer höflich: Youri Djorkaeff wünscht sich von Schiedsrichter Edgar St… | |
Ich bin meinen Kleiderschrank durchgegangen, man hat ja bisweilen Zeit | |
jetzt. Es liegt exakt ein Fußballtrikot darin. Als Fan bin ich bin eine | |
Enttäuschung für Merchandising-Abteilungen. Dieses Trikot trägt die Nummer | |
14 und hinten drauf steht Youri Djorkaeff. | |
Ich bin in einem fußballerischen Niemandsland aufgewachsen, in der Nähe des | |
Bodensees, der nächstgrößte Verein war wahrscheinlich der FV Ravensburg. Im | |
Grunde speisten sich die Mythen der Klubs der Region nicht aus der eigenen | |
Historie, sondern aus der Biografie ihrer Spieler. Die große Nummer damals | |
hieß SV Weiler, weil Karl-Heinz Riedle da mal über den Rasen gehoppelt war. | |
Es war eine Region, in der sich die Einzugsgebiete dreier Verein kreuzten: | |
Bayern natürlich, der VfB und – für die progressiven, die in | |
Vollholzhäusern aufgewachsen waren und deren Eltern auch mal | |
Gemüseschnittchen reichten zum Abendbrot statt immer Leberkäswecken – der | |
[1][SC Freiburg]. Ein paar alte aufrechte 60er gab es auch noch. Die | |
tranken schon zu meiner Zeit viel; hatten aber einen stabilen, ich möchte | |
fast sagen österreichischen Sinn für Humor. | |
Mein erstes Spiel im Stadion war an einem kalten, verregneten Herbsttag im | |
alten Olympiastadion, Waldhof Mannheim war zu Gast. Es werden kaum 20.000 | |
Leute dagewesen sein, um einen Dreckskick zu sehen, an den sich niemand | |
mehr erinnern wird. Es zog wie Sau, und wir spielten Fangen auf den Rängen. | |
Danach fuhren wir nach Hause, und ich dachte: Nie wieder! | |
## Unsinnige Stammesrituale | |
Mein Onkel aus Mannheim nahm mich dann mit auf den Betzenberg, aber ich hab | |
kaum Erinnerung dran. Normalerweise sind das die Momente der Mannwerdung: | |
das erste Spiel, der Jubel, die wilden Gefühle, die Anarchie. Das Coming of | |
Age des gemeinen Fußballfans. Mich nervte nur, dass ich stets gefragt | |
wurde, für wen ich sei – als könne man Fußball nicht kucken, weil man es | |
schön und interessant findet, als müsse alles immer in Stammesrituale | |
gepresst werden. Aber ich war halt schonmal auf dem Betze gewesen, also | |
sagte ich: [2][Lautern]. | |
Das war für mich die denkbar schlechteste Wahl (obwohl, es hätte auch der | |
Waldhof sein können); mir scheint, in jenen Stadien, die in den 90ern und | |
Nullern am meisten für ihre Atmosphäre gelobt wurden, wurde der | |
miserabelste Fußball gespielt. In dem Sinn lässt Union eine alte Tradition | |
fortleben, danke dafür. Otto Rehhagel hatte ein Spielverständnis, wie wenn | |
ein Vierjähriger einen Quader durch ein rundes Loch zwingen will: mit | |
Gewalt geht sicher alles. Das hatte oft was humoristisches, war aber | |
lustiger, wenn es nicht klappte; ganz wie in Louis de Funès-Filmen, | |
eigentlich allen französischen Komödien, in denen Polizist'innen | |
auftauchen. | |
Dann kam Youri Djorkaeff, und ich musste ganz neue Worte lernen. | |
Ball-be-hand-lung. Spiel-ver-ständ-nis. E-le-ganz. Ich schrieb die Worte | |
auf Karteikarten und lernte, was sie bedeuteten (statt Latein). Es war eine | |
Schönheit in Youri Djorkaeffs Stil, die dem deutschen Fußball seit jeher | |
verdächtig ist; nicht mal Jogi Löw und Brasilien 2014 hat das austreiben | |
können. | |
Zwei Jahre blieb Youri Djorkaeff, von ihm weiß ich fast alles, was ich über | |
Fußball weiß. Auch die letzte Lektion hat er mir erteilt: Er ist ein | |
ausnehmend höflicher Mann; über alle seine Stationen als Spieler spricht er | |
wohlwollend, mit Sympathie. Außer über den FCK, da sagt er in erstaunlicher | |
Unverschnörkeltheit, was für ein verquaster, verfilzter, verlogener, | |
selbstgefälliger Klub das gewesen sei (Mario Basler kam zeitgleich mit | |
Djorkaeff). Also im Grunde Inbegriff der deutschen Provinz; Djorkaeff ging | |
nach England, ich machte es wie Kalle Riedle und ging nach Berlin, noch so | |
eine Stadt, in der kein Verein Fußball spielt. Bleib ich halt Lauterer, | |
aber: von Ferne. Und nur wenn jemand fragt. | |
16 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
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