# taz.de -- Politologe über autoritären Populismus: „Es ist die Stunde der … | |
> Rechte Strömungen verlieren in der Coronakrise deutlich an Zustimmung. | |
> Der Experte Michael Zürn glaubt aber nicht, dass das so bleiben wird. | |
Bild: Schlechte Zeiten für Populisten? Die AfDler Jörd Urban und Sebastian Wi… | |
taz: Herr Zürn, laut jüngsten Umfragen verliert die AfD deutlich und kommt | |
bei der Sonntagsfrage nur noch auf zehn Prozent der möglichen | |
Wählerstimmen. Ist die [1][Corona-Krise] in Deutschland auch eine Krise des | |
Populismus? | |
Michael Zürn: Nein, die Corona-Krise hat einen Effekt, den fast alle extern | |
verursachten Krisen haben. Es ist dann die Stunde der Exekutive und die | |
Regierenden bekommen zunächst einmal einen Vertrauensvorschuss, was sich | |
entsprechend in den Umfragewerten niederschlägt. | |
Diesen „Rally-'Round-the-Flag“-Effekt beobachten wir nicht nur in der | |
Bundesrepublik, sondern auch in Ländern wie den USA, in denen es gute | |
Gründe gibt, anzunehmen, dass Fehler im Krisenmanagement gemacht worden | |
sind. Auch Trump hat kurzfristig bessere Umfragewerte, obwohl es ihm | |
langfristig vermutlich schaden wird. Dieses Phänomen beschränkt sich aber | |
auf solche Krisen, die plötzlich von außen hereinbrechen. | |
Die AfD scheint in diesen Krisenzeiten wenig Konstruktives zur | |
Problemlösung beizutragen. Ist die Partei ein Luxusphänomen? | |
Die AfD macht bestimmte Themen stark und muss aufgrund ihrer Positionierung | |
bei diesen Themen zu anderen Themen schweigen. Genau in diesem Problem | |
befinden sie sich momentan. Die Betonung der Kritik an offenen Grenzen, an | |
der EU und an internationalen Problemlösungen führt dazu, dass es von ihr | |
kaum Antworten auf diese globale Krise gibt. Der Virus missachtet die | |
Grenzen, daher kommen wir zu einem gewissen Maße nicht um transnationale | |
Problemlösungen umhin. | |
Von europäischer Solidarität und Zusammenhalt ist derzeit allerdings wenig | |
zu sehen, vielmehr findet eine Rückbesinnung auf den Nationalstaat statt. | |
Stößt das kosmopolitische Projekt an seine Grenzen? | |
Es ist eine globale Krise, ganz ohne Frage. Gleichzeitig tritt sie um | |
lokale Herde herum auf, was zunächst lokale und nationale Maßnahmen | |
erforderlich macht, zumal dort auch die politischen Ressourcen angesiedelt | |
sind. Wenn der Nebel verflogen ist, werden Fragen über die Folgewirkungen | |
auftauchen. Dann kommt die internationale Dimension stark ins Spiel. | |
Jetzt schon wird die Frage diskutiert, ob die zusätzliche | |
Haushaltsbelastung in Italien zum Ende des Euro führen wird. Als sekundären | |
Effekt könnten wir dann doch über den Umweg der Coronabonds eine | |
intensivere Solidarität in Europa als bisher erreichen? Ich halte die | |
Antwort auf diese Frage für politisch offen. Es gibt jedenfalls eine | |
einmalige historische Chance ein solches Element der Solidarität innerhalb | |
der Eurozone einzuführen. | |
Verfängt die populistische Gegenüberstellung der „einfachen Leute“ und | |
einer „korrupten Elite“ weniger, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft | |
gleichermaßen von der Krise bedroht sind? | |
Ja, das ist bestimmt so. Kurzfristig sind wir alle gleichermaßen von der | |
Ansteckungsgefahr betroffen. Die langfristigen Effekte werden ganz anders | |
aussehen. | |
Also wenn sich die gesellschaftlichen Konfliktlinien vertiefen? | |
Wenn die Maßnahmen gegriffen haben, die Haushalte hoch verschuldet sind und | |
wir nach wie vor mit schlechten oder negativen Wachstumsraten zu tun haben, | |
ist zu erwarten, dass sich viele der sozialen Konflikte zwischen | |
Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern verschärfen. Das | |
könnte der Moment sein, an dem sich der kurzfristige Nachteil der | |
rechtspopulistischen Position umkehrt und es zu einem erneuten Erstarken | |
kommt. | |
Profitieren langfristig also die Rechtspopulisten? | |
Hier könnte neben den Verteilungseffekten der Krise auch der Vergleich | |
verschiedener politischer Systeme interessant sein und gegenteilig wirken: | |
Erstens technokratisch-autoritäre Systeme wie China, zweitens | |
liberaldemokratische Systeme wie Deutschland oder Frankreich und drittens | |
autoritär-populistische Systeme wie Brasilien, USA oder Großbritannien. Wie | |
erfolgreich sind sie im Umgang mit der Krise? | |
So wie die Lage jetzt ist, besteht die Möglichkeit, dass die | |
autoritär-populistischen Regierungen systematisch schlechter abschneiden | |
als die demokratischen, und auch als die technokratisch-autoritären. | |
Bolsonaro, Trump und Co geben bisher keine gute Figur ab. Wenn das so | |
bleibt, könnte dies langfristig gegen den Rechtspopulismus wirken. | |
Andererseits wird in Ländern wie Ungarn mit einem Corona-Notstandsgesetz | |
gerade [2][der letzte Rest an Demokratie abgeschafft.] Befördert die Krise | |
mancherorts nicht auch das Autoritäre? | |
Selbstverständlich. Innerhalb der autoritär-populistischen Variante muss | |
man solche unterscheiden, bei denen die demokratischen Verfahren schon so | |
weit ausgesetzt sind, dass man sie eigentlich nicht mehr als demokratisch | |
bezeichnen kann. Dort wird die Krise von der Regierung genutzt, um die | |
Untergrabung der demokratischen Prozesse weiter zu betreiben und ihre | |
Position zu festigen. Diese Systeme sind schon so weit ins Autoritäre | |
abgedriftet, dass das ohne den nötigen Widerstand betrieben werden kann. | |
Orbán ist da das beste Beispiel. | |
Hat der autoritäre Populismus zumindest als globales Phänomen nach Corona | |
ausgedient? | |
Das denke ich nicht. Es gibt grundlegende Entwicklungen in den | |
Gesellschaften, die eine Spaltung zwischen Kosmopoliten und | |
Kommunitaristen, zwischen Nationalisten und Internationalisten, | |
hervorgerufen haben. Die Corona-Krise ist wie ein Meteorit von außen auf | |
uns eingestürzt und hat bestimmte Dinge durcheinandergewirbelt. Wenn diese | |
Krise überwunden ist, dann werden wieder ganz ähnliche gesellschaftliche | |
Dynamiken wie zuvor im Vordergrund stehen. Exogene Krisen verändern nicht | |
die Bruchlinien und Spannungen, die es zuvor gab. Sie setzen sie | |
vorübergehend aus. | |
14 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Georg Sturm | |
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