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# taz.de -- Roman „Wie man einen Bären kocht“: Spiel mit Fiktion und Tatsa…
> Der neue Roman von Mikael Niemi hat eine spielerische, oft auch burleske
> Seite. Aber es gibt auch einen ernsthaften und tragischen Kontrapunkt.
Bild: Eine ihrer Vorfahrinnen wird im Roman grundlos gemeuchelt – und der Mö…
Das Leben ist hart in Nordschweden um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die
[1][samische Bevölkerungsmehrheit], kolonisiert und christianisiert durch
die Schweden, leidet unter Diskriminierung, großer Armut und massenhaft
auftretender Alkoholsucht.
In dieser hoffnungslosen Lage gewinnt ein evangelischer Geistlicher
maßgeblich an Einfluss: Lars Levi Læstadius, Sohn eines Schweden und einer
Samin, schafft es mit seinen Predigten, die Gläubigen in Ekstase zu
versetzen und viele Menschen zur Nüchternheit zu bekehren. Bald wird seine
Erweckungsbewegung zur größten pietistischen Strömung in ganz Norrland.
Der Autor Mikael Niemi, berühmt geworden mit seinem Debütroman
„Populärmusik aus Vittula“, stammt selbst aus Nordschweden, lebt immer noch
dort und lässt auch all seine Romane im hohen Norden spielen. Mit „Wie man
einen Bären kocht“ greift er zum ersten Mal einen historischen Stoff auf
und schneidet ihn raffiniert zu einem Roman zu, den man
GenreliebhaberInnen auch problemlos als Krimi empfehlen kann.
Der Priester Læstadius tritt im Roman als eine von zwei Hauptfiguren auf –
und als Detektiv. Die andere Hauptfigur sowie der Watson des Predigers ist
der junge Same Jussi, der seinem jämmerlichen Zuhause entflohen ist und in
Læstadius’ Haushalt Zuflucht gefunden hat. Oft begleitet er den Propst, wie
Læstadius in Jussis Ich-Erzählung nur genannt wird, bei Ausflügen in die
Natur.
## Vom Botaniker zum Priester
Der historische Læstadius hatte, bevor er seine Berufung als Priester fand,
eine erfolgreiche Karriere als Botaniker verfolgt. Mit seinem
wissenschaftlich geschulten Blick ist er in Niemis Roman der Einzige, der
in der Lage und willens ist, die Zeichen richtig zu lesen, als eine junge
Frau tot im Wald gefunden wird. Oberflächlich gesehen, deutet alles darauf
hin, dass sie einem Bären zum Opfer gefallen sein muss. Der Propst aber
findet zahlreiche Spuren, die belegen, dass ein menschlicher Mörder frei
herumläuft.
Leider ist der örtliche Landjäger – Repräsentant der schwedischen
Ordnungsmacht – ein grobschlächtiger Trunkenbold, der sich vom Prediger
nicht ins Handwerk pfuschen lassen will und dessen Beweisführung
kaltschnäuzig beiseitewischt. So kann das Verhängnis seinen Lauf nehmen.
Eine Bärin, die in der Gegend umherstreift, wird mit vereinten Kräften
gemeuchelt, was aber nichts nützt; denn bald darauf gibt es ein neues Opfer
…
Die historischen Recherchen, die der Autor zu diesem Roman unternommen hat,
müssen zweifellos auch solche zu den Anfängen der kriminalistischen bzw.
forensischen Beweisführung umfasst haben. Læstadius tritt in mehrfacher
Hinsicht als Aufklärer auf, wobei seine Tätigkeit als Prediger im Roman
eher nachgeordnet erscheint.
## Tatortskizzen und Fingerabdrücke
Detektivisch ist er mit allen Wassern gewaschen, liest nicht nur die Spuren
der Natur, sondern untersucht auch Körper und Kleider der Opfer, lässt
seinen Assistenten Jussi alle Beobachtungen aufschreiben, fertigt
Tatortskizzen an und kann sogar Fingerabdrücke auf Oberflächen sichtbar
machen. Es ist ein lustiges Spiel mit Fiktion und Tatsachen, das Niemi hier
spielt, denn mag dieser Detektiv-Læstadius auch komplett fiktiv sein, so
stimmt das, was wir über dessen sonstiges Leben im Roman erfahren, durchaus
mit den historischen Tatsachen über den Priester-Læstadius überein.
Diese spielerische, oft auch burleske Seite des Romans hat allerdings einen
ernsthaften, ja tragischen Kontrapunkt. Denn so brillant der
Detektiv-Læstadius auch auftritt und so überzeugend seine Argumente sein
mögen, dringt er doch mit seinen wissenschaftlichen Methoden nicht durch
bei den Zeitgenossen. Der Prediger, dessen gesprochenes Wort sich in der
Kirche als so wirkmächtig erwiesen hat, ist machtlos in der Konfrontation
mit der bornierten Obrigkeit. Finstere Zeiten leben hier auf, in denen der
schwedische Staat für viele Menschen im Norden Ungerechtigkeit und Willkür
verkörperte.
9 Apr 2020
## LINKS
[1] /Samische-Minderheit-Schwedens-im-Film/!5494111
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Roman
Krimi
Schweden
Literatur
Roman
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