# taz.de -- Bartmode in Coronazeiten: Und ab damit | |
> Die Vollbartmode könnte sich erledigt haben, weil die | |
> Hygienevorstellungen im Wandel sind. Wäre das so tragisch? Geschichte | |
> macht eben Haare. | |
Bild: Die Wolle muss weg! | |
Medizinisches Personal verzichtet zum Teil längst auf ihn, immer häufiger | |
wird vor ihm gewarnt, wenn es um die [1][Ausbreitung des Coronavirus] geht: | |
[2][dem Bart]. Dieser Tage hat der Leiter eines britischen Krankenhauses | |
sein Personal gebeten, auf das Tragen von Gesichtsbehaarung zu verzichten. | |
Der Präsident der Vereinigung der Notärzte in Frankreich hat Bärte schon | |
vor Wochen als Infektionsgefahr für die Bevölkerung bezeichnet. Laut | |
Robert-Koch-Institut beeinträchtigen sowohl Vollbart als auch Dreitagebart | |
die Schutzwirkung von Masken. Sieht danach aus, als wäre es an der Zeit, | |
von einem Modeaccessoire Abschied zu nehmen, das sich in den letzten Jahren | |
stark etabliert hat. | |
Was erst mal klingt wie News aus dem Ressort „weit hergeholt“, hat | |
tatsächlich einen ernsten Hintergrund. Bartträger leben mit einem erhöhten | |
Ansteckungsrisiko. | |
Hauptübertragungsweg für das neuartige Coronavirus ist die | |
Tröpfcheninfektion. Ansteckende Wasserpartikel verteilen sich in der | |
näheren Umgebung. Im Normalfall halten [3][medizinische Atemschutzmasken | |
derartige Nebel ab], sofern sie korrekt angelegt sind. Wichtig ist dabei, | |
dass sie Mund- und Nasenbereich dicht verschließen. Liegt die Maske aber | |
auf einem Bart auf, dann ist das nicht mehr gewährleistet. | |
Für medizinisches Personal macht ein Barterlass also tatsächlich Sinn. Und | |
was ist mit allen anderen? Klar ist zwar, dass Bärte dazu neigen, dreckig | |
zu sein, und Viren darin über mehrere Stunden hinweg überleben können. | |
Belastbare Studien zum Thema „Bartwuchs und Corona-Prävalenz“ gibt es | |
jedoch bisher nicht. Ganz eindeutig lässt sich die Bartfrage also nicht | |
klären. | |
## Wolle weg | |
Eines ist aber auffällig: Alle Mediziner, die in den Medien in den letzten | |
Wochen immer wieder über die Corona-Epidemie aufklären, sind glattrasiert. | |
Das gilt für die Alexander S. Kekulé, Christian Drosten genauso wie für | |
Lothar Wieler, den Präsidenten des Robert-Koch-Instituts. Der ehemalige | |
Leiter des Gesundheitsamtes Flensburg, [4][Wolfgang Wodarg], der in den | |
letzten Wochen damit aufgefallen ist, dass er die Corona-Epidemie in | |
Deutschland als Panikmache bezeichnet, trägt derweil Bart. | |
Zugegebenermaßen ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass Virologen in ihren | |
Pressekonferenzen demnächst der Bevölkerung Rasuren gegen das Coronavirus | |
empfehlen oder die Politik neben einer Kontakt- auch noch eine Bartsperre | |
erlässt. Allerdings verändert Corona jetzt schon unsere Wahrnehmung dessen, | |
was schön ist. Was also, wenn wir nach all dem hier Haare im Gesicht | |
einfach nicht mehr gerne anschauen? | |
Es sei Entwarnung gegeben: Es wäre nicht das erste Mal, dass | |
weltverändernde Ereignisse auch bartverändernde Ereignisse wären. Bereits | |
im ausgehenden 17. Jahrhundert belegte Zar Peter der Große die Träger von | |
langen Bärten mit einer Sondersteuer, um seine Bevölkerung optisch zu | |
europäisieren. Mit der Säkularisierung der Türkei unter Atatürk waren lange | |
Bärte als offen getragenes religiöses Zeichen plötzlich ebenso verpönt, wie | |
es im Iran vor der Islamischen Revolution war. | |
## Alles schon passiert | |
In all diesen Fällen sind Bärte nicht gänzlich verschwunden, nur die | |
Bartmode hat sich geändert. Selbst für den Einfluss von Atemschutzmasken | |
auf Barttrends gibt es bereits einen Präzedenzfall: So hat der Gaskrieg | |
während des Ersten Weltkriegs die Bartmode revolutioniert. | |
Backenbart und mächtiger Kaiser-Wilhelm-Schnauzer passten schon damals | |
nicht unter die Gasmaske und mussten modernerer Gesichtsbehaarung wie | |
Moustache weichen. Glaubt man Gerüchten, dann ist das sogar der Grund für | |
Adolf Hitlers ikonische Rotzbremse. | |
Und schließlich brachte die Atemschutzmaske Männern erst die | |
Selbstermächtigung über die eigene Gesichtsbehaarung. Denn damit | |
US-amerikanische Soldaten auch im Schützengraben gut rasiert und somit vor | |
Gasangriffen geschützt waren, statteten die Staaten ihre Armee mit | |
Wegwerfrasierern der Marke Gilette aus. Ohne die wäre eine Rasur bis heute | |
wohl viel umständlicher und teurer. | |
4 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Wagner | |
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