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# taz.de -- Internet und Menschenrechte: Dissens abschalten
> Ein Internetzugang ist im Kampf für die Menschenrechte wichtig.
> Autokratische Regime schränken ihn immer häufiger ein, wie eine Studie
> zeigt.
Bild: Eine Rohingya spricht 2015 mit ihrem geflohenen Bruder – übers Netz
Wer an der Macht bleiben will, muss nicht etwa den Maidan in Kiew oder den
Tahrirplatz in Kairo kontrollieren, sondern offenbar den Zugang zu
Facebook und Twitter. Das zeigt allein ein Blick auf Wikipedia: Dort
streiten sich mit den Maidan-Protesten in der Ukraine (2013) und dem
Arabischen Frühling in Ägypten (2011) gleich acht Protestbewegungen um den
Titel „Facebook Revolution“. Der Grund: All diese Bewegungen haben sich
über soziale Medien formiert und koordiniert.
Kein Wunder also, dass Staaten den Zugang zu sozialen Netzen immer häufiger
einschränken oder das Internet gar komplett abschalten, wenn es darauf
ankommt. Das zeigt eine Studie der [1][Initiative #KeepItOn], ein Verbund
aus über 200 Organisationen, die sich für den unbeschränkten Zugang zum
Internet einsetzt. Das Ergebnis: Allein im vergangenen Jahr gab es in 33
Ländern mindestens 213 solcher Internet-Shutdowns – Tendenz steigend. Und
das, obwohl die UNO den Zugang zum Internet bereits 2016 zum Menschenrecht
erklärt hat.
Tatsächlich ist es denkbar einfach, ein ganzes Land vom Internet
abzukapseln. Damit Telekommunikationsanbieter in einem Land operieren
dürfen, benötigen sie eine Lizenz. Aus Angst, diese zu verlieren, wehren
sich Internetanbieter nicht gegen staatliche Eingriffe, erklärt Berhan
Taye, die Koordinatorin von #KeepItOn, gegenüber der taz. Faktisch gibt es
also einen Notausschalter, mit dem Staaten den Internetzugang im eigenen
Land nach Belieben an- und ausschalten können, ganz egal, ob sie dafür eine
rechtliche Grundlage haben oder nicht. Das ganze Land vom Netz zu nehmen
ist aber ohnehin nur selten nötig. Meist reicht es, bestimmte Plattformen
zu sperren oder den Internetzugang in einzelnen Regionen zu beschränken.
Als sich im vergangenen Jahr der venezolanische Oppositionsführer [2][Juan
Guaidó zum Interimspräsidenten ernannte], ließ Nicolás Maduro immer dann
den Zugang zu sozialen Medien und Streamingdienste für einige Stunden
sperren, wenn das Parlament tagte oder Guaidó öffentlich auftrat.
## Flüchtende als Opfer
In der umkämpften Region [3][Kaschmir stellte die indische Regierung nach
einem halben Jahr den Zugang zum Internet] wieder her. Um Proteste zu
verhindern, bleibt die Verbindung aber derart langsam, dass Kommunikation
übers Netz quasi unmöglich ist.
Besonders hart treffen solche Maßnahmen Flüchtende in Krisengebieten. In
Myanmar reichte es, den Internetzugang in wenigen Townships zu kappen, um
die [4][Berichterstattung über den Genozid an den Rohingya] beinahe
komplett zum Erliegen zu bringen, und in den Geflüchtetencamps im
Nachbarland Bangladesch ist es Rohingya verboten, SIM-Karten zu benutzen.
Das erschwert den Zugang zu Hilfsgütern und den Informationsaustausch für
Betroffene. Kontakt mit Freunden und Verwandten wird so, nicht
unbeabsichtigt, beinahe unmöglich gemacht.
In manchen Situationen scheint eine Internetsperre gerechtfertigt. Als am
Ostersonntag 2019 Attentäter in Sri Lanka mehrere Kirchen und Hotels
angriffen, blockte die Regierung Kommunikationsdienste und soziale Medien,
[5][um der Verbreitung von Fehlinformationen vorzubeugen] und eine Panik zu
verhindern. Dadurch wurde aber auch der Zugang zu verlässlichen Quellen und
der Kontakt zu Freunden und Familie erschwert.
Längst gibt es auch andere Methoden, um Opposition mundtot zu machen. Wer
in den Arabischen Emiraten bloggen will, benötigt eine staatliche Lizenz.
Die kostet umgerechnet knapp 3.700 Euro – pro Jahr. Und wer in Ägypten mehr
als 5.000 Follower hat, unterliegt den gleichen Auflagen wie Zeitungen oder
Fernsehsender.
Den Zugang zum Internet zu beschränken ist keine Methode allein
autokratischer Staaten mehr. Erst im April letzten Jahres stellte die
britische Polizei das WLAN der Londoner U-Bahn ab, um eine Protestaktion zu
stören, die die Umweltbewegung [6][Extinction Rebellion] über das Internet
koordinierte. Dass sei laut Berhan Taye zwar ein Grenzfall, dennoch zeige
es, wie schnell auch demokratische Länder das Recht auf Internetzugang
einschränken können, wenn es gegen Sie verwendet wird.
4 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.accessnow.org/keepiton/
[2] /Politische-Krise-in-Venezuela/!5655653
[3] /Internet-Zensur-in-Kaschmir/!5655074
[4] /Myanmar-schaltet-das-Internet-ab/!5606123
[5] /Sri-Lanka-kommt-nicht-zur-Ruhe/!5591496
[6] /Neuer-Protest-von-KlimaaktivistInnen/!5584839
## AUTOREN
Patrick Wagner
## TAGS
Internet
Internetzugang
Menschenrechte
Rohingya
Indonesien
Indien
Schwerpunkt Iran
Emmanuel Ramazani Shadary
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