# taz.de -- Welchen Fußball wollen wir?: Schock der Gutgläubigen | |
> Nach dem Klinsmann-Aus bei Hertha BSC: Geht es in Zukunft nur noch um den | |
> „Mehrwert“ oder doch um noch mehr? | |
Bild: Rain Man: Jürgen Klinsmann, als Investoren-Trainer gescheitert | |
Wer richtig einsam werden will in diesen Tagen, der muss nur versuchen, | |
Jürgen Klinsmann zu verteidigen. Das letzte Wort über den früheren | |
Bundestrainer und Nationalmannschaftskapitän scheint gesprochen, nachdem | |
diese Woche Klinsmanns interne Analyse an den Finanzinvestor Tennor über | |
den Zustand des Fußballunternehmens Hertha BSC Berlin geleakt wurde. Jetzt | |
wird er mit maximalem Getöse als „charakterloser Selbstdarsteller“ (kicker) | |
abgeurteilt. | |
[1][Tennor-Chef] Lars Windhorst hat über 200 Millionen Euro in eine | |
Minderheitsbeteiligung von 49,9 Prozent der Hertha-Kommanditgesellschaft | |
auf Aktien investiert. Laut des als Tennor-Berater beschäftigten Klinsmann | |
scheint das eine potentiell desaströse Investition zu sein. Das Unternehmen | |
Hertha werde suboptimal geführt („Die Geschäftsleitung muss sofort komplett | |
ausgetauscht werden“), speziell Manager Michael Preetz' Arbeit wird sehr | |
kritisch bilanziert („katastrophale Versäumnisse, katastrophale | |
Kaderplanung“). Klinsmann, 55, war am 11. Februar nach wenigen Wochen als | |
Cheftrainer von Hertha zurückgetreten, weil er in den Status-quo-Strukturen | |
nicht erfolgreich arbeiten zu können glaubte. | |
Interessanterweise sagt kaum einer, dass seine Analyse komplett oder auch | |
nur weitgehend falsch wäre. Es ist im Übrigen auch der Job eines Analysten, | |
seinem Auftraggeber zu sagen: Obacht, Leute, ihr verbrennt euer Geld in | |
einem Laden, der von Dilettanten geführt wird. Und es ist nicht okay, aber | |
menschlich, dass jemand, der gerade schlechte Erfahrungen gemacht hat, | |
härter urteilt und gnadenloser spricht, als man sich das wünschen würde. | |
Aber es war eine interne Bilanz. Das Problem ist die Öffentlichmachung. Das | |
schadet massiv dem Unternehmen Hertha und seinem Fußballteam, es schadet | |
aber auch massiv Klinsmann, und es schadet dem Investor, weil es zumindest | |
zum jetzigen Zeitpunkt eklatante Wertverluste bedeutet – für alle drei | |
Beteiligten. | |
## Spekulation um Motive des Leaks | |
Das alles entscheidende Detail ist nicht geklärt: Wer hat mit welchem | |
strategischen Interesse das [2][Klinsmann-Papier] an Sport-Bild geleakt? | |
Drei besonders schöne Spekulationen: 1. Jemand bei Tennor, der Windhorst | |
schaden will. 2. Windhorst oder sonst jemand, der wenigstens als | |
Kollateralnutzen Preetz loswerden will. 3. Klinsmann, der sich selbst | |
endgültig versenken wollte, weil er übergeschnappt ist. Zum jetzigen | |
Zeitpunkt erschließt sich nicht, warum Spekulation 3 die wahrscheinlichste | |
sein soll. | |
Vielleicht ist ja das wirklich Entscheidende an der Sache, dass in Ansätzen | |
sichtbar wird, was eine Übernahme des Spitzenfußballs durch | |
Finanzinvestoren mit sich bringt. „Mehrwert“ (Klinsmann) zu schaffen, also | |
Angestellte teurer verkaufen zu können, als man sie eingekauft hat, ist | |
auch das Geschäftsprinzip des SC Freiburg, um erstklassig spielen zu | |
können. Alte oder schlecht arbeitende Angestellte bringen keinen | |
„Mehrwert“, das klingt menschenverachtend, aber es ist so. Dennoch steht | |
der SC Freiburg e.V. glaubhaft dafür, dass das Geld dem Fußball dient und | |
nicht umgekehrt. | |
Die interne Sprache des Investoren-Beraters Klinsmann markiert die | |
komplette Entzauberung des wunderbaren Fußballspiels und seine radikale | |
Transformation in ein Investment, das nur einem einzigen Ziel folgt: Geld | |
zu verdienen. Das löst jetzt den Schock der Gutgläubigen oder freiwillig | |
Blinden aus. Die einzige politische Reaktion darauf ist aber nicht Empörung | |
über Klinsmann. Es ist organisiertes Engagement, dass die 50+1-Regel in | |
Deutschland Bestand haben muss und Finanzínvestoren nicht die ganze Macht | |
über unseren Fußball übernehmen. | |
28 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://tennor.com/about/ | |
[2] /Schlammschlacht-bei-Hertha-BSC/!5664287 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Hertha BSC Berlin | |
Jürgen Klinsmann | |
Fußball | |
Fußball | |
DFB-Pokal | |
Jürgen Klinsmann | |
Jürgen Klinsmann | |
Liebeserklärung | |
Jürgen Klinsmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jens Lehmann in Hertha-BSC-Aufsichtsrat: Graue Maus auf drei Promille | |
Jens Lehmann rückt in den Aufsichtsrat von Hertha BSC. Diese Konstellation | |
beim Hauptstadtklub verspricht wieder beste Unterhaltung. | |
Werder Bremen in der Krise: Fragiles Gebilde | |
Nach dem Pokalaus in Frankfurt sucht Bremen weiter nach sich selbst. | |
Trainer Kohfeldt sieht dabei vor dem Kellerduell gegen Hertha sogar | |
Positives. | |
Turbulenzen bei Hertha BSC: Man schaut verzückt zu ihr auf | |
So hätte es doch sein sollen, wenn man ihn nur richtig gelassen hätte. | |
Meint Jürgen Klinsmann. Die Hertha idealerweise, ach, was für ein Traum. | |
Klinsmann-Abgang bei Hertha BSC: Der nächste Erlöser wird gesucht | |
Nach den überraschenden Rücktritt von Jürgen Klinsmann als Hertha-Trainer | |
bleiben Fragen. Woran lag es? Und wer könnte nun kommen? | |
Jürgen Klinsmann und Hertha BSC: Klinsi geht, Blender bleibt | |
Die Flucht des Hertha-Trainers hat viel Spott und Häme ausgelöst. Dabei | |
hält Klinsmann uns doch allen den Spiegel unserer Erlösersehnsucht vor. | |
Fußballklub in Investorenhand: Deckungsgleich irre | |
Elf Wochen lang hat Jürgen Klinsmann Hertha BSC aufgemischt. Jetzt ist er | |
weg. Große Töne werden in Berlin immer noch gespuckt. |