| # taz.de -- Der Brexit ist da: „Darauf habe ich 47 Jahre gewartet“ | |
| > Die einen lassen die Köpfe hängen, die anderen feiern heiter ihre | |
| > „Unabhängigkeit“. Über den Gefühlszustand Londons in der Brexit-Night. | |
| Bild: Glückliche BritInnen beglückwünschen sich zum „Independence Day“ | |
| London taz | Am frühen Abend des 31. Januars scheint alles wie immer zu | |
| sein. Wer den [1][Brexit] feiern oder ihn betrauern will, muss dafür | |
| Veranstaltungen besuchen – auf den Straßen ist es eher ruhig. Die Deutsche | |
| Annette Pollner macht sich auf den Weg zum Londoner Rathaus. Bürgermeister | |
| Sadiq Khan (Labour) hat EU-BürgerInnen eingeladen, um Informationen zu | |
| vermitteln und Solidarität zu zeigen. | |
| Pollner ist nervös. Die 55-Jährige ist um ihre Aufenthaltsgenehmigung | |
| besorgt. Seit 30 Jahren lebt sie im Vereinigten Königreich, 2017 zog sie | |
| allerdings für eine Weile woanders hin. „Ich brauche eher Schutz als warme | |
| Worte“, sagt sie. Kirsty Low, 35, ist Britin aus Glasgow. „Ich bin aus | |
| Solidarität hier“, erklärt sie. Neben ihr erzählt Leila Ben-Hassel aus | |
| Frankreich, dass sie nach dem Referendum beschimpft wurde. Sie solle zurück | |
| in ihr Land gehen. „Ich bin wütend über diesen sinnlosen Schritt der | |
| Briten.“ | |
| Etwas weniger förmlich geht es auf der anderen Seite der Themse zu. Dort | |
| hat die the3million-Bewegung, die sich für EU-BürgerInnen in Großbritannien | |
| einsetzt, zu einem Eurotrash-Abend eingeladen. Gegen 20 Uhr ist noch nicht | |
| allzu viel los. Brita und Daniel Nucinkis, beide in ihren Fünfzigern, beide | |
| deutsche MathematikerInnen, essen Wurst und trinken Bier. Sie leben wie | |
| Annette Pollner seit rund drei Jahrzehnten auf der Insel. „Ich hatte diesen | |
| Mist eigentlich akzeptiert“, sagt Brita. Jetzt wo es real werde, wollen die | |
| beiden die Nacht nicht alleine zuhause verbringen. | |
| Am Parliament Square ist die Stimmung ausgelassen. Der Vorsitzende der | |
| Brexit-Partei, Richard Tice, hat eine [2][„Unabhängigkeitsfeier“] | |
| organisiert. Um 22.30 Uhr, eine halbe Stunde vor dem Austritt, tummelt sich | |
| die Menge bis in die Seitenstraßen. Einige der Feiernden haben stundenlange | |
| Anreisen hinter sich und wollen an diesem geschichtsträchtigen Abend mit | |
| Gleichgesinnten zusammen sein. Sie schwenken britische Fahnen oder tragen | |
| Klamotten mit Union-Jack-Print. | |
| Wer will, kann sich einen „Happy Brexit Day“-Button ans Revers stecken. | |
| Auch Gruppen aus dem rechtsradikalen Milieu haben sich unter die Leute | |
| gemischt, bleiben aber unauffällig. Immer wieder stimmen die Leave-Voters | |
| gemeinsam die Nationalhymne an, auf der Bühne läuft ein Film, der die | |
| Stationen des Brexits zeigt. | |
| John Hodson, 59, trägt ein Sweatshirt auf dem „Britischer | |
| Unabhängigkeitstag 31.01.20“ steht. „Ich bin hier, um den Remainern ‚Ihr | |
| könnt mich mal!‘ zu sagen.“ Rose, Ende 60, beteuert, sie sei nicht | |
| gekommen, um den Brexit, sondern die Demokratie zu feiern. Jane Smith und | |
| Christine Jones, Büroangestellte aus Watford nördlich von London, nennen | |
| die EU „parasitär“. „Unser Land ist voll, überfüllt, und wie in Deutsc… | |
| haben wir ein Einwanderungsproblem.“ | |
| Vor 10 Downing Street beginnt derweil der Countdown. Die auf die | |
| Außenfassade projizierte Uhr mit rot, blau und weißen Strahlen ist von | |
| dort, wo die Menge sich versammelt, schlecht zu erkennen. | |
| Am Parliament Square singen die Menschen „Rule, Britannia!“, der Text läuft | |
| über den Bildschirm. Schließlich erscheint Nigel Farage auf der Bühne und | |
| verkündet: „Wir verlassen die EU!“ Großer Beifall. „Freedom!“, rufen | |
| einige. Es werden Glückwünsche zum „Independence Day“ ausgesprochen, ein | |
| älterer Mann tanzt ausgelassen mit seiner Union-Jack-Fahne. „Auf diesen | |
| Moment habe ich 47 Jahre lang gewartet.“ | |
| 1 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn | |
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