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# taz.de -- Dynastie auf dem Eis: Ambivalenz als Antrieb
> Die hochbegabte Eisschnellläuferin Victoria Stirnemann, 18, eifert ihrer
> Mutter, der legendären Gunda Niemann-Stirnemann, nach. Mit deren Hilfe.
Bild: Meist vor der Konkurrenz: Victoria Stirnemann bei den Deutschen Meistersc…
Vor ein paar Minuten noch kurvte Victoria Stirnemann unter den Augen ihrer
Mutter Gunda Niemann-Stirnemann in der Gunda-Niemann-Stirnemann-Halle
herum, jetzt sitzt sie mit ihrer Trainerin-Mama, einer Juniorenläuferin aus
Berlin und dem Reporter im Auto, um schnell zu ihrem Einfamilienhaus auf
dem Erfurter Ringelberg zu fahren. Sie ist im Terminstress, und auf dem Weg
in die Wohnung macht Gunda Niemann unmissverständlich klar, dass sie nichts
sagen wird zu den Problemen in der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft
(DESG) und den konkreter werdenden Präsidentschaftsambitionen von
[1][Matthias Große], dem Freund von Claudia Pechstein.
Ihre Vorbehalte sind nachvollziehbar, schließlich ist sie Angestellte des
Verbands, und Großes Ankündigung, bestimmte Kritiker wie Sportdirektor
Matthias Kulik oder Bundestrainer Erik Bouwman müssten sich im Fall von
seiner Wahl auch seiner „Politik anpassen“ schafft nicht gerade ein freies
Meinungsklima. Man möge sich bitte auf die Tochter konzentrieren, bittet
[2][Gunda Niemann], das sei ganz, ganz wichtig.
Im Wohnzimmer ihres Domizils steht mittig ein Rennrad, draußen im Garten
stromert ein Hund herum, und drinnen beginnt ein Gespräch mit Victoria
Stirnemann, das unter Beobachtung der Mutter steht. Sie setzt sich mit an
den Tisch, interveniert an einer Stelle, die der Tochter nicht passt, wird
von ihr zurechtgewiesen und sucht sich daraufhin einen Sitzplatz, der
weiter entfernt ist. Es bleibt freilich bei einer Situation, die etwas
beklemmend wirkt, weil die Mutter, so gut gemeint es auch sein mag,
natürlich weiterhin ihren Senf dazugibt, was bei Victoria Stirnemann eine
gewisse Genervtheit aufflackern lässt; einmal rutscht ihr sogar ein
„Tschüss“ heraus.
Hm, also wie ist das so, von der Mutter trainiert zu werden, von der
dreimaligen Olympiasiegerin, der 19-fachen Weltmeisterin, Wintersportikone
des Freistaats Thüringen? „Probleme gibt es nicht“, sagt Victoria
Stirnemann, „und es ist schon etwas Besonderes, weil sie kennt mich ja
besser als jeder andere Trainer.“ Sie wisse auch viel besser, wie man „nach
oben kommt, durch ihre eigenen Erfahrungen. Ich bin froh darum, sie zu
haben.“
## Größte Talent in Deutschland
Seit drei Jahren wird das aufstrebende Talent von der ehemaligen
Langstreckenspezialistin trainiert, seit drei Jahren versuchen sie, das
interessante Spannungsverhältnis als Motor für eine Sportkarriere zu
nutzen, die Victoria Stirnemann einmal in die Nähe der Erfolge der Mutter
führen soll. Das ist kein überambitionierter Wunsch, nein, die 18-Jährige
ist augenscheinlich das größte Talent, das in der DESG auf
Klappschlittschuhen steht. Victoria Stirnemann hat Gold, Silber und Bronze
gewonnen beim sogenannten Viking Race, dem Mehrkampf für Juniorinnen und
Junioren, sie hat das Podium bei Junioren-Weltcups bestiegen, und bei den
Youth Olympics, die im Januar in St. Moritz und Lausanne veranstaltet
wurden, hat sie über 1.500 Meter nur knapp eine Medaille verpasst.
„Mein Ziel ist Olympia, ich möchte einmal bei den Richtigen dabei sein“,
sagt sie und erzählt mit leuchtenden Augen von den Olympischen
Jugendspielen, bei denen sie auf dem Natureis des St. Moritzer Sees und vor
alpiner Traumkulisse wegen des Winds und der Eisverhältnisse zwar deutlich
an ihrer Bestzeit vorbeilief, aber eine Impression davon bekam, wie ihr
Leben in den nächsten 15 oder 20 Jahren aussehen könnte. „Das war schon
sehr cool dort“, sagt sie, „ein Erlebnis, das ich nicht vergessen werde und
das Lust auf mehr macht.“ Am Wochenende reist sie ins weniger glamouröse
Minsk zum Junioren-Weltcup, dürfte dort aber über 1.500 Meter wieder mit
vorn landen.
Auf Instagram – über 2.800 Abonnenten folgen ihr – hat sie ein paar schöne
Bilder aus der Schweiz eingestellt und neulich auch im Abendfernsehen ihren
ersten großen Auftritt gehabt, in der MDR-Talkrunde „Riverboat“. Sie
wirkte, als hätte sie auf einen solchen Auftritt im Rampenlicht gewartet.
Marketingexperten würden wohl von einem „frischen, sympathischen Auftritt“
sprechen, und als ihr dann doch mal der Schweiß auf der Oberlippe stand,
war ja immer noch die Mama da, die direkt neben ihr in der Runde saß und
die abgeklärte Altmeisterin gab. „Das alles ist nicht mit Druck verbunden“,
sagt Victoria Stirnemann, „entweder es reicht, oder es reicht eben nicht.“
Sie werde auf jeden Fall ihr Bestes für den Sport geben. Seit 2018 ist sie
bei der Bundespolizei, hat für ihre Karriere aufs Abitur verzichtet. Ab
März wird sie in der Kaserne in Bad Endorf wieder ihre Dienste schieben und
dann irgendwann in den Rang einer Polizeimeisterin aufsteigen.
Ihre künftigen Lieblingsstrecken stehen jetzt auch schon fest: „alles ab
1.500 Meter“ – mit einem Schwerpunkt auf den drei Kilometern. „Es wird
[3][in die Richtung von der Mama] gehen“, sagt sie – und wird von Gunda
Niemann ermahnt: „Für den Ausdauerbereich braucht es viele Jahre und viel
Geduld.“ Es ist halt nicht so einfach mit der Dynastie auf dem Eis.
15 Feb 2020
## LINKS
[1] /Pechstein-Freund-will-Praesident-werden/!5638361
[2] /Eisschnelllauf-Weltmeisterin-ueber-Erfolg/!5497774
[3] /Archiv-Suche/!688293&s=stirnemann&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Markus Völker
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