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# taz.de -- Berliner Filmgeschichte: Es gibt keinen Ausweg
> Die deutsche Kinemathek hat eine kleine Ausstellung zum 100. Geburtstag
> des Films „Das Cabinet des Dr. Caligari“ organisiert.
Bild: Beklemmend: Filmszene aus „Das Cabinet des Dr. Caligari“
Eigentlich fehlt nur die passende Werbekampagne. Als der deutsche Stummfilm
„Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene vor ziemlich genau 100
Jahren Uraufführung im Berliner Kino Marmorhaus feierte, da haben sich
viele Berliner PassantInnen sicher ziemlich gewundert. Überall in der Stadt
waren Slogans zu sehen, auf die bis heute viele Werber neidisch sein
dürften. Auf Schritt und Tritt war zu lesen: „Du musst Caligari werden“.
Wer dieser Caligari sein sollte, dass ein Film gemeint war und wo er denn
zu sehen sei – all das war den Slogans nicht zu entnehmen.
Dass die Deutsche Kinemathek sich eine solche Werbekampagne um eine kleine,
feine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Films im Filmmuseum, die heute
anläuft und bis Ende April zu sehen ist, nicht leisten kann: geschenkt.
Aber eigentlich hätte es der Ausstellung trotzdem gut getan, diesen
schrulligen Film, den man mit heutigen Sehgewohnheiten kaum mehr
konsumieren kann, noch exzessiver zu feiern und in die Stadt zu tragen. Die
Berliner PassantInnen hätten nicht weniger gestaunt als vor 100 Jahren.
Denn natürlich ist „Das Cabinet des Dr. Caligari“ nicht nur ein schrulliger
Film. Als er 1920 gezeigt wurde, da begannen die Leute gerade erst, sich
daran zu gewöhnen, in einem Kino zu sitzen und auf bewegte Bilder zu
starren. Die ersten Filme zeigten Szenen aus der Wirklichkeit, waren
dokumentarisch.
All das warf „Caligari“ mit einem Paukenschlag über den Haufen. Der Film
versuchte nicht einmal, auch nur ansatzweise realistisch zu wirken.
Stattdessen zeigt er gemalte Kulissen, harte Kontraste und Schatten,
verzerrte Perspektiven und andere betont künstliche Traumbilder, und man
weiß zu keinem Zeitpunkt, was wirklich sein soll und was Wahnvorstellung.
## Wahn und Wirklichkeit
Zur Erinnerung: Der Film, dessen Kulissen in Babelsberg entstanden sind –
und in Weissensee gedreht wurde –, erzählt von einem jungen Mann namens
Franzis, der auf dem Jahrmarkt die Bude eines Dr. Caligari entdeckt.
Caligari stellt einen Schlafwandler aus, erweckt ihn zum Leben – Cesare.
Gleichzeitig werden in der Stadt Menschen ermordet. Der Verdacht fällt auf
Cesare und auf Caligari, der diesen manipuliert hat. Aber Caligari entpuppt
sich als Direktor einer Irrenanstalt. Es bleibt offen, ob die
Machenschaften des Caligari real sind oder eine Wahnvorstellung von
Franzis.
In der Ausstellung ist von der Entstehungsgeschichte bis hin zu ersten
Rekonstruktionen des legendären Szenenbilds in den 1950er Jahren, von
Restaurierungen bis hin zur weltweiten Rezeption damals, zur Interpretation
Siegfried Kracauers und zum Einfluss auf die Popkultur bis heute alles zu
sehen, was man rund um den Film wissen muss. Klar: Die Fotoecke in der
Ausstellung, in der popkulturelle Phänomene versammelt sind wie die Frisur
des Sängers Robert Smith oder die grelle Schminke von Johnny Depp als Tim
Burtons „Edward mit den Scherenhänden“ machen deutlich, wie sehr der Film
bis heute stilprägend ist.
Eine der tollsten Stationen ist allerdings eine Art Pavillon, in dem die
Geschichte des Schlafwandlers Cesare mithilfe einer
Virtual-Reality-Produktion vom Goethe-Institut Warschau und der digitalen
Abteilung der Filmfirma UFA noch einmal zu einem Erlebnis der ganz anderen,
zeitgemäßen Art wird. Mithilfe einer VR-Brille gelangt man in eigens von
den Schauspielern Arkadiusz Jakubik und Jakub Gierszał nachgestellte
Traumszenen von Cesare. Anders als bei animierten Filmen wurde eine neue
Aufnahmetechnologie benutzt, die es ermöglicht, mittels Hologrammen bewegte
Bilder von realen Personen zu erzeugen.
Das Ergebnis ist verblüffend. Anders als beim Film starrt man nicht auf
eine Leinwand, sondern hat das Gefühl, mitten in der Szene zu stehen und
das, was man sieht, anfassen zu können. Wie beim Traum und noch viel
stärker als beim Kinobesuch stellt sich Beklemmung ein. Es ist, als sei man
Teil eines Geschehens, das man nicht beeinflussen kann, aus dem man aber
auch nicht so einfach herauskommt.
Im Grunde versucht dieser Pavillon, den Film in die Gegenwart zu übersetzen
und auch Besuchern nahezubringen, die auf der Leinwand heute ganz anderes
gewohnt sind und nicht mehr verstehen, warum der Film so viel bewegt hat.
Die virtuelle Neuinszenierung kitzelt das Unheimliche, das Irrationale von
„Das Cabinet des Dr. Caligari“ noch einmal ganz neu heraus.
13 Feb 2020
## AUTOREN
Susanne Messmer
Joshua Guerrero Seifart
## TAGS
Stummfilm
Expressionismus
Virtual Reality
Kino Berlin
Babylon Berlin
Weißensee
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