# taz.de -- C02-Entsorgung im Untergrund: Rote Scheibe im Meeresboden | |
> In Japan konnten in dreieinhalb Jahren 300.000 Tonnen Kohlendioxid im | |
> Meeresboden gespeichert werden. Seismologen sind aber misstrauisch. | |
Bild: CO2-Verklappung auf Japans Nordinsel Hokkaido: Das Treibhausgas wird in d… | |
TOMAKOMAI taz | Vom Dach des Kontrollzentrums lässt sich der Schauplatz im | |
Kampf gegen den Klimawandel gut überschauen. Eine auffällig blau | |
gestrichene Gaspipeline läuft in das vier Fußballfelder große Gelände | |
voller Maschinen, Pumpen und Tanks mit drei markanten schlanken | |
Metalltürmen im Zentrum hinein. „In dem höchsten Turm wäscht eine | |
Aminlösung das Kohlendioxid aus den Abgasen, die mit der Pipeline aus der | |
Raffinerie da hinten kommen“, erklärt Projektmanager Jiro Tanaka von dem | |
Aussichtspunkt. | |
Er zeigt auf drei mächtige Kompressoren, die das Kohlendioxid verdichten, | |
dann auf den Pazifik, der an das Gelände grenzt. „Da hinten am Horizont | |
lagern wir das CO2 ganz tief im Meeresboden“, erläutert der Japaner. | |
Wir befinden uns am Rande der Industriezone der Stadt Tomakomai auf Japans | |
Nordinsel Hokkaido. Viele der 170.000 Einwohner*innen arbeiten dort in | |
Papier- und Chemiefabriken, der Ölraffinerie von Idemitsu Kosan und im | |
Hafen. Tomakomai war daher eine logische Wahl für die erste große | |
CCS-Versuchsanlage in Japan – CCS steht für Carbon Capture and Storage. | |
Das 260 Millionen Euro teure, staatlich finanzierte Experiment hat seine | |
Zielmarke erreicht: Seit April 2016 hat die Anlage über 300.000 Tonnen | |
Kohlendioxid abgeschieden und im Meeresboden gespeichert. Die Menge | |
entspricht der Jahresemission von 75.000 Autos in Japan. | |
## Betreiber: geringes Risiko, akzeptable Kosten | |
Der Betreiber bewertet das Projekt als Erfolg: Das Kohlendioxid habe sich | |
mit geringem Risiko und zu akzeptablen Kosten im Untergrund versenken | |
lassen. „Wir können nun in viel größeren Dimensionen denken“, sagt | |
Präsident Shoichi Ishii von Japan CCS, einer Vereinigung von 35 Unternehmen | |
aus der japanischen Öl- und Gasindustrie, darunter Japan Petroleum | |
Exploration und JXTG Holdings. | |
Auch die Verfahrenskosten überzeugen aus internationaler Sicht. Die | |
energiesparende CO2-Abscheidung mit der Anlage von BASF und das Bohren der | |
Injektionsrohre von Land drückten die CCS-Kosten im Vergleich zum | |
herkömmlichen Verfahren um die Hälfte. „Bei einer Skalierung auf 1 Million | |
Tonnen pro Jahr kostet unser Verfahren rund 30 Dollar je Tonne“, schätzt | |
Projektmanager Yoshihiro Sawada. | |
## CO2-Ausstoß ließe sich um 14 Prozent senken | |
Das Projekt hat globale Bedeutung: Damit die Atmosphäre sich weniger | |
aufheizt, darf die Menschheit nicht mehr so viel CO2 erzeugen. Strom, | |
Wärme, Chemikalien, Fahrzeuge, Maschinen, Baustoffe – diese Bedürfnisse | |
müssen die Menschen künftig klimaneutral befriedigen. Während des Übergangs | |
in eine karbonfreie Welt könnte es sinnvoll sein, Kohlendioxid aus | |
schmutzigen Industrieprozessen sofort einzufangen und es entweder chemisch | |
zu nutzen oder im Boden zu speichern. Die Internationale Energieagentur | |
schätzt, mithilfe von CCS-Anlagen ließe sich der Ausstoß von Kohlendioxid | |
bis 2050 um 14 Prozent senken. | |
Aber die Bewohner von Tomakomai beäugten das Projekt mit Skepsis. Viele | |
Bürger befürchteten, die Injektionen in den Untergrund könnten Erdbeben | |
auslösen. Der Fischerverband warnte vor aufsteigendem CO2, das die | |
Meeresfauna abtötet. Die Ängste sind verständlich: Die extreme | |
Komprimierung zwingt das Kohlendioxid in einen „überkritischen“ Zustand: Es | |
färbt sich rot ein, wird dicht wie eine Flüssigkeit, bleibt aber viskos wie | |
ein Gas und leichter als Wasser. Die Injektion erfolgt über zwei in einem | |
flachen Winkel gebohrte Rohre, die in einer Sandsteinschicht auf 1.200 | |
Meter und einer Vulkanschicht in 2.700 Meter Tiefe enden. | |
## Seismologe warnt | |
Auf ihrem letzten Kilometer sind diese Rohre perforiert, sodass das | |
überkritische CO2 aus den Löchern austritt und großflächig in die | |
Gesteinsporen eindringt. „Das injizierte Gas formt sich zu einer riesigen | |
flachen Scheibe direkt unter der nächsten undurchlässigen Felsschicht“, | |
beschreibt Manager Sawada die Speicherung. Dabei entstehen jedoch auch | |
tektonische Spannungen, weil das Kohlendioxid das im Untergrund | |
eingelagerte Salzwasser verdrängt. Der Seismologe Akira Ishii, emeritierter | |
Professor an der Universität Nagoya, warnt daher: „Es wird zu einer | |
Tragödie kommen, wenn die Speicherung in Tomakomai weitergeht“, sagte | |
Ishii. | |
Der Experte führt das heftige Erdbeben vom Februar 2019 auf die | |
CO2-Injektionen zurück. Doch der Betreiber erklärt es als Folge eines | |
früheren, noch stärkeren Erdbebens im September 2018. Dessen Epizentrum lag | |
nur 30 Kilometer von den CO2-Speichern entfernt. In Tomakomai fielen Bücher | |
aus den Regalen, in Mauern entstanden Risse. Doch die zahlreichen | |
Projektsensoren auf dem Meeresboden und an der Küste schlugen keinen Alarm | |
– sämtliches Kohlendioxid blieb an seinem Platz im Meeresboden. Mindestens | |
zwei Jahre lang wird der Untergrund sicherheitshalber noch aufwendig | |
beobachtet. | |
## Soll CCS in den Regelbetrieb gehen? | |
Nun steht [1][Japan vor der schwierigen Entscheidung], als erstes Land im | |
Kampf gegen das Kohlendioxid den Weg zur CCS-Speicherung einzuschlagen. Für | |
die Politik wäre das verlockend: Dann könnte Japan vermeiden, wegen seiner | |
großen Industriekapazitäten und vielen Kohlekraftwerke am [2][Klimapranger | |
zu stehen]. Als nächstes Projekt entsteht gerade ein Biomassekraftwerk mit | |
CO2-Abscheidung, der Betrieb ist ab 2023 geplant. „Wir brauchen ein | |
konsistentes Geschäftsmodell“, fordert der Meti-Spitzenbeamte Yukihiro | |
Kawaguchi. Der Schlüssel sei die Verringerung der Kosten. | |
Das Potenzial ist jedenfalls da: Die möglichen CO2-Lager in Japan schätzen | |
Experten auf 146 Milliarden Tonnen, 100-mal mehr als die jährlichen | |
Emissionen. Allein der Untergrund vor Tomokomai könnte 300 Millionen Tonnen | |
aufnehmen, tausendmal so viel wie bei dem Versuchsprojekt. | |
9 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/klimareport-2017-japan | |
[2] /Geplante-Kohlekraftwerke-in-Japan/!5513592 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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