# taz.de -- Zum Tod von Gudrun Pausewang: Sie machte den Kindern nichts vor | |
> Wer Haltung zeigt, packt nichts in Watte. Die Autorin Gudrun Pausewang | |
> ist gestorben. Berühmt wurde sie mit dem Jugendbuch „Die Wolke“. | |
Bild: Gudrun Pausewang bei der Premiere der Verfilmung von „Die Wolke“ 2006 | |
Gudrun Pausewang, diese unermüdlich schreibende Mahnerin, ist verstorben. | |
Literatur mit Haltung hat sie verfasst, dafür wurde sie gefeiert, mitunter | |
auch kritisiert. Denn wer Haltung zeigt, packt nichts in Watte, schreibt | |
nicht, um andere beim Lesen in eine heile Welt zu entführen. Und da sie | |
warnen wollte, wohl aber wusste, dass Warnungen bei Erwachsenen weniger | |
wirkungsvoll sind als bei Kindern, schrieb sie für diese über eine Welt, | |
die Risse hat, mitunter gefährliche. | |
Ungefähr hundert Bücher hat Pausewang, die am 3. März 1928 in Böhmen | |
geboren wurde und am Donnerstagabend im Alter von 91 Jahren in der Nähe von | |
Bamberg verstarb, geschrieben. Daneben arbeitete sie lange als Lehrerin – | |
auch in Lateinamerika. Die Welt der Kinder hat sie beflügelt. | |
Denn wo Kinder sind, ist Fantasie. Und da Pausewang meinte, dass sie im | |
Schreiben ihre überbordende Fantasie bändigen konnte, dass Schreiben ein | |
Ventil gewesen sei, aber auch eine Plattform, von der aus sie warnen könne, | |
gegen alles, was Unheil und Unfreiheit über die Menschen bringe, ist es nur | |
richtig, dass sie versuchte, Kinder stark zu machen, indem sie ihnen nichts | |
vormachte. | |
In einigen ihrer Bücher klärte sie über die Nazizeit auf. Sie hatte sie | |
erlebt. Sie schrieb auch über die Flucht aus dem Osten. Während des Krieges | |
war sie Teenager, ein Lebensabschnitt, in dem Gefühle selten verpanzert | |
sind. Wenn Pausewang in ihren Romanen beschreibt, was es mit den Menschen | |
macht, in so einer Diktatur zu leben, dann darf es nicht verwundern, dass | |
Verdrängen nicht als Lösung daherkommt. | |
Ihr berühmtestes Buch jedoch ist [1][„Die Wolke“], geschrieben nach der | |
Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. In dem Roman, der auch verfilmt wurde, | |
zeigt sie, dass der Verlust an Mitmenschlichkeit und die menschlichen | |
Verwerfungen, die eine Havarie in einem Atomkraftwerk im dicht besiedelten | |
Deutschland mit sich brächten, unerträglich wären. | |
## Die Warnerin | |
Pausewang drückt das aus, was uns jetzt in Zeiten des bedrohlichen | |
Klimawandels gut zu Gesicht stünde: Sie wollte, wenn sie von ihren Enkeln | |
oder Urenkeln gefragt werde: Was hast du gegen dieses oder jenes Unheil | |
getan?, nicht sagen müssen: Ich habe nichts getan. | |
Gudrun Pausewang hat schreibend aufgeklärt. Dass sie für ihre moralische | |
Aufrichtigkeit kritisiert wird, dass gesagt wurde und wird, sie schüre | |
Angst, fahre auf dem Ticket der Schuld, traumatisiere Kinder, ist jedoch | |
absurd. Vor allem Letzteres ist Quatsch. Die Wirklichkeit traumatisiert die | |
Kinder und nicht die Literatur. Es ist kein Fehler, wenn Kinder wissen, in | |
welcher Welt sie glücklicherweise gerade nicht leben, und dass es gut ist, | |
sich dafür einzusetzen, dass das so bleibt. | |
Moralische Aufrichtigkeit muss nicht im Wohlfühlmodus daherkommen. Das | |
wusste Pausewang und dafür kämpfte sie. Was sie nicht verhindern konnte, | |
dass die Generation der in den 1980er Jahren Sozialisierten, der Zeit, in | |
der ihre Bücher auf Lehrplänen standen, zu jener wurde, die später | |
„Generation Golf“ oder „Generation Umhängetasche“ genannt wurde. | |
Und eine Wohlstandslangweilergeneration in der zu Ende gehenden | |
Bundesrepublik war, die angeblich nicht erwachsen werden wollte. Die Welt | |
ist schlecht, aber ich mache Party. Tanzend in den Abgrund, „Titanic“ und | |
so. | |
Gudrun Pausewang hat unzählige Preise und Auszeichnungen für ihr | |
literarisches Schaffen erhalten. Dass sie für ihre moralische Strenge oft | |
kritisiert wurde, fällt am Ende auf ihre Kritiker*innen zurück. Die | |
Schriftstellerin habe das Private politisch gefasst und das Politische | |
literarisch, wurde in der Laudatio bei der Jugendliteraturpreisverleihung | |
2017 über sie gesagt. | |
Ja, genau so ist es. | |
24 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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