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# taz.de -- Letzte Party in Berliner Griessmuehle: Nachmittags in der Nudelfabr…
> Unterwegs mit einigen Essentials – Trainingsshorts, Kaugummi und ein paar
> Bananen – zur letzten Party in der Griessmuehle.
Bild: Im Club auch an die Verpflegung denken: Bananen können helfen
Ein trüber Sonntagmorgen im Februar. Es nieselt. Eigentlich Bettwetter,
denke ich mir und rufe L. an. L. habe ich vor knapp zehn Jahren im Berghain
getroffen, seitdem sind wir beste Freunde. Natürlich verschlafen wir unsere
wohlverdiente Freizeit nicht. Sagt er. Natürlich gehen wir feiern. Sage
ich.
Ich schmeiße einige Essentials in meinen Turnbeutel: Trainingsshorts,
Kaugummi und ein paar Bananen. Immer an die Elektrolyte denken. Wir brechen
auf Richtung Sonnenallee. Ziel: Cocktail D’Amour in der Griessmuehle.
Seit fünf Jahren ist die queere Partyreihe [1][in der ehemaligen
Nudelfabrik] zu Hause. Dieses Wochenende ist das Closing. Der Mietvertrag
wurde eigentlich zum 31. Januar gekündigt. Nach Gesprächen zwischen
Betreibern und Eigentümer darf aber doch noch eine letzte Party
stattfinden.
Das Wetter kann die Stimmung nicht dämpfen, die Gäste sind mehr als
zahlreich erschienen. Wir ziehen dank Gästelistenplätzen an der langen, mit
Regenschirmen bedeckten Schlange vorbei. Rumstehen also nicht.
## Halbnackte Körper latschen durch den Matsch
Der Außenbereich – eine postindustrielle Brache zwischen S-Bahn-Gleisen und
Kanal – ist lebendig. Halbnackte Körper latschen bei sechs Grad durch den
Matsch, zwei Barbusige in Sturmhauben finden eine ruhige Ecke zwischen
Shippingcontainern zum Rauchen. Der Regen wird intensiver. Wir suchen einen
trockenen Unterschlupf und werden in einem defekten Fotoautomaten fündig,
der wie ein Aufzug aussieht. L. fragt unsere Mitpassagierin, eine Spanierin
Ende zwanzig, ob sie hoch- oder runterfährt. This elevator goes everywhere.
Sagt sie, vertrippt und scheinbar begeistert über die Möglichkeiten, die
dieser Satz ihr bietet.
Klo, Bar, Tanzfläche. Dampf ablassen, die Luft ist feucht, warm, tropisch,
der Laden rappelvoll. Tendenz: steigend. Das Publikum ist jung und alt,
trans und cis, queer und alternativ. Aber vor allem international: man hört
Englisch, Spanisch, Hebräisch öfter als Deutsch.
Der Bass vibriert durch jeden Knochen in meinem Körper. Fäuste hoch,
Pfeifen aus der Menge, der Raum riecht nach Rauch und Adrenalin. Ich habe
keine Ahnung, wer auflegt. Egal, der Vibe stimmt. Der nächste Track sampelt
das Wort Cowboys, eine verzerrte, verspielte Stimme. Ich gucke rum und sehe
keine Cowboys. Dafür: Kiltträger, American Footballer, Matrixtypen, viel
Leder und viel schwitzende Haut. Die Regenbogenlichter pulsieren im Takt
der Musik, die Atmosphäre ist elektrisierend.
Klo, Bar, Tanzfläche. Wir sind im Wintergarten. An den Wänden sind Plakate
von der Rettungskampagne des Clubs: Ein Herz für Subkultur, Rettet die
Griessmuehle, Don’t Break Our Hearts. Die Bude platzt aus allen Nähten.
Alle reden schnell, energisch, intensiv. Er hatte keinen Latex, keinen
fucking Latex, das sollte ein Date sein und er vergisst den verdammten
Latex. Lausche ich von zwei Personen neben mir.
## Das ist der Rhythmus der Nacht
Jemand trägt eine Atemschutzmaske. Ob er den Coronavirus hat, fragt ihn
einer. This is the rhythm of the night. Singt er als Antwort darauf. Die
vielen Gesprächsfragmente werden von der Musik übertönt, Neunziger House
mit einer Neigung zu Acid. Die Stimmung ist euphorisch, die Klavierakkorde
schwellen an. Alle lächeln, alle grinsen, alle geben alles. Es mag der
letzte Cocktail hier sein, doch Melancholie ist nirgendwo zu spüren.
Irgendwann wird es dunkel, ohne dass wir es merken. Zeit, nach Hause zu
gehen. Die Einlassschlange ist mittlerweile noch länger geworden. Bis
Montag donnern die Boxen in der Sonnenallee 221, danach wird es erst mal
still. Doch all die schönen Erinnerungen an diesen besonderen Ort mit
diesen besonderen Menschen können nicht so schnell verschwinden. Aber statt
Adieu sage ich lieber: bis bald.
Es regnet immer noch. Bettwetter, denke ich mir – und falle ins Bett.
3 Feb 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Nicholas Potter
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