# taz.de -- International Film Festival Rotterdam: Kameras im Polit-Kampf | |
> Das International Film Festival Rotterdam bot dieses Jahr einen | |
> Hongkong-Schwerpunkt. Zu sehen waren aktuelle Dokufilme zu den Protesten. | |
Bild: Bild der Geschlossenheit: Szene aus „We Have Boots“ von Evans Chan | |
Immer und immer wieder rammt ein junger maskierter Mann eine Stange in eine | |
verglaste Eingangstür. Ebenfalls vermummte Männer und Frauen mit | |
Regenschirmen versuchen, ihn davon abzuhalten, damit er sich nicht völlig | |
verausgabt. Er scheint wie in Trance zu sein. Die Szene dokumentiert, wie | |
im Juli vergangenen Jahres [1][Demonstrant*innen in das Hongkonger | |
Parlament, den Legislativrat, eindrangen] und das Gebäude besetzten. In | |
ihrer Ausführlichkeit erzählt sie auch von einer Ohnmacht, die mehr und | |
mehr das Bild erfüllt. | |
Es ist die Ohnmacht einer Protestbewegung, deren Einsatz für die Einhaltung | |
demokratischer Rechte an den Schildern gut ausgerüsteter Polizeieinheiten | |
abprallt. Die Wut über die Brutalität der Polizei setzte in der ehemaligen | |
britischen Kronkolonie einen Kreislauf der Gewalt in Gang. Nicht mehr der | |
Anlass, vielmehr das Ausmaß der Ausschreitungen dominiert mittlerweile die | |
Nachrichten. Für ihren Dokumentarfilm „When We Burn“ haben sich James Leon | |
und Lynn Lee mit ihren Kameras mitten hinein in die Gewaltspirale begeben, | |
auch um das Selbstverständnis der Protestbewegung zu erkunden. | |
Deren Motive und Haltung bilden den roten Faden aktueller dokumentarischer | |
Arbeiten und Spielfilme, die das Filmfestival von Rotterdam unter dem Titel | |
„Ordinary Heroes: Made in Hong Kong“ versammelt hat. Sie waren auch Thema | |
auf dem begleitenden Panel, dessen Teilnehmer*innen ausdrücklich von einer | |
sozialen Bewegung sprechen und sich gegen Begriffe wie Aufruhr oder Krawall | |
verwehren. | |
Die junge Willis Ho etwa bezeichnet sich selbst als aktivistische | |
Filmemacherin. 2017 wurde sie wegen Landfriedensbruch zu 17 Monaten | |
Gefängnis verurteilt, nach drei Monaten war sie wieder auf freiem Fuß, ein | |
Berufungsgericht hatte das Urteil aufgehoben. In ihrem Kurzfilm „Age of | |
Valiant“ lässt sie „Frontliners“ („yung mo“ auf Kantonesisch) über … | |
Hoffnungen und Träume reden. Um ihre Ziele umzusetzen, schrecken sie nicht | |
vor der gewalttätigen Auseinandersetzung mit der Polizei zurück. „Für mich | |
sind das keine Kriminellen, sondern Helden. Sie zerstören die Stadt nicht, | |
sie beschützen sie“, sagt Ho. | |
## Diskriminierung von Festland-Chinesen | |
Auch wenn die Kamera in fast allen Filmen aktiv für den politischen Kampf | |
eingesetzt wird, verschließen sich die Bilder nicht vor anderen | |
Perspektiven und Auffassungen. Wiederholt wird die Kluft zwischen den | |
Generationen angesprochen, das Unverständnis der Eltern und Großeltern für | |
die manchmal auch illegalen Aktionen der Jüngeren auf der Straße. Im Zuge | |
der sogenannten „Umbrella“- und „Occupy“- Bewegung traten der Hass gegen | |
und die Diskriminierung von Festland-Chinesen immer offener zu Tage. | |
„We Have Boots“ von Evans Chan zeigt zum Beispiel, wie chinesische Frauen | |
ihre Tradition, in Parks oder auf Grünflächen Sport zu treiben oder zu | |
tanzen, auch in Hongkong weiter pflegen und dafür verächtlich angeschaut | |
und sogar beschimpft werden. Vom Festland anreisenden Müttern, die | |
Trockenmilch für ihre Babys kaufen wollen, wird der Eintritt in die Läden | |
verwehrt. | |
Schon seit Jahrzehnten geht Evans Chan mit seinen Interviewpartner*innen | |
auf Identitätssuche, gemeinsam mit ihnen versucht er herauszufinden, wie | |
sie sich zu ihrer Gesellschaft und deren Wandel verhalten. Auf dem Panel | |
erinnert er sich an die Stimmung 1997 nach der Übergabe der Kronkolonie und | |
an das damalige Selbstbewusstsein Hongkongs: „Wir haben gedacht, dass wir | |
die chinesische Gesellschaft modernisieren könnten. Zum Beispiel das | |
desolate soziale System. Es war ein wenig wie nach dem Ende des Kalten | |
Krieges. Man dachte, dass Kapitalismus und Demokratie letztlich gesiegt | |
hätten. Damals gab es noch keine Diskussionen über die Unabhängigkeit | |
Hongkongs. Sie begannen erst, als wir den Einfluss Chinas auf unsere | |
Gesellschaft bewusster wahrnahmen.“ | |
## Durch die Hochhausschluchten | |
Für seinen Film „We Have Boots“ interviewt Chan Intellektuelle, Studenten | |
und Künstler wie etwa Benny Tai, Chan Kin-man, Ray Wong oder Agnes Chow. | |
Sie alle erhoben 2014 ihre Stimme, lieferten den politischen und auch | |
theoretischen Überbau für die sich damals formierende Freiheitsbewegung. | |
[2][Dafür nahmen sie Gefängnisstrafen in Kauf] – die Regierung hatte | |
„Schuldige“ gefunden. Diese inhaftierten, kaltgestellten oder auch | |
emigrierten Männer und Frauen fehlen nun. | |
Einerseits macht sich die Bewegung dadurch weniger angreifbar, andererseits | |
wirkt sie auch orientierungsloser. Chan lässt jedoch auch andere Bilder | |
sprechen, wiederholt zeigt er Aufnahmen der großen Demonstrationen mit über | |
einer Million Menschen, die sich friedlich ihren Weg durch die | |
Hochhausschluchten bahnen, eine Geschlossenheit vermittelnd. | |
Während des Festivals werden diese Bilder einer Stadt im Aufruhr von den | |
aktuellen Nachrichtenbildern eingeholt. Plötzlich sollen die Menschen in | |
Hongkong Masken tragen, um sich vor dem Coronavirus zu schützen. | |
3 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
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