| # taz.de -- Leipzig-Connewitz nach Silvester: Ein Kiez unter Beobachtung | |
| > Der Kampf um Connewitz war von Beginn an einer um Freiräume. Mit denen | |
| > könnte es nach der Silvesternacht endgültig vorbei sein, fürchten einige. | |
| Bild: Alles Linksextreme hier? Feiernde stehen Silvester auf einer Kreuzung in … | |
| Connewitz taz | Wer in diesen Tagen durch Connewitz streift, findet als | |
| Spur der Silvesternacht eine zerbrochene Rotkäppchenflasche. Das [1][Bild | |
| aus der Silvesternacht] war ein anderes: Man hätte meinen können, Connewitz | |
| stünde unter der Fuchtel eines wild gewordenen, linksradikalen Mobs. | |
| Aber da: Auf dem kargen Sportplatz direkt am Connewitzer Kreuz prangt der | |
| Schriftzug „No Cops“. Die Stadt lässt das Graffito immer wieder entfernen, | |
| Sprayer sprühen es innerhalb weniger Stunden neu auf. Wenn das den | |
| Kontrollverlust im Kiez symbolisiert, gibt es wohl kein ernsthaftes | |
| Problem. Aber Probleme gibt es. | |
| Der Rechtsanwalt und Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek ist ein routinierter | |
| Guide im Viertel: Vom Connewitzer Kreuz führt er in diesen Tagen | |
| Journalisten auf Autonomen-Safari in die Wolfgang-Heinze-Straße nach Süden. | |
| Kasek zeigt auf Neubauten, wo Wohnungen ab 13 Euro den Quadratmeter | |
| vermietet werden sollen, absurde Preise für die ostdeutsche Stadt. | |
| Er zeigt auf Baulücken, wo Eigentumswohnungen entstehen sollen. Auf | |
| alteingesessene Kneipen, die fast auf den Tag genau vor vier Jahren von | |
| einer Horde aus 250 Neonazis angegriffen wurden. | |
| ## Das Vertrauen in die Polizei: nicht sehr groß | |
| Der Connewitzer Jens Keil betreibt seit 1997 den „Goldfisch“, eine der | |
| Kneipen, die am 11. Januar 2016 demoliert wurden. Die Erinnerung an den | |
| Abend ist bei Keil noch lebendig: „Wir haben die schon von Weitem auf der | |
| Straße gehört, ein wahnsinniger Lärm“, erzählt er an einem seiner | |
| Kneipentische. „Wir haben von innen die Tür zugehalten, die Scheiben gingen | |
| natürlich trotzdem zu Bruch.“ Pyrotechnik flog in die Kneipe, Panik und | |
| Chaos überall. | |
| Am Ende war es wohl der mangelnden Ortskenntnis der Nazis geschuldet, dass | |
| sie zufällig genau neben der unauffälligen Polizeiwache marodierten. Viele | |
| empfinden die Wache eher als Provokation gegen links, sie wird regelmäßig | |
| mit Farbbomben oder Teer beworfen. Die Polizei setzte die Nazis damals | |
| fest. | |
| Die Verfahren sind bis heute nicht abgeschlossen, Keil wurde zu über 50 | |
| Prozessen vorgeladen, sagt er. Sein Vertrauen in die Polizei ist nicht sehr | |
| groß: Zu Silvester werde er schon mal gebeten, die Kneipe geschlossen zu | |
| halten – warum, weiß er nicht. „Die Meinung über die Polizei ist hier eh | |
| nicht die beste“, sagt er. „Es wird hier ordentlich patrouilliert, das ist | |
| einfach nicht verhältnismäßig.“ Es gebe in Connewitz nicht mehr | |
| Auffälligkeiten als anderswo. | |
| Die Polizeistatistik von 2018 zeigt: In Connewitz ist die Kriminalität | |
| gesunken. Das mit Abstand häufigste Delikt waren 769 Diebstähle, vor allem | |
| wurden Fahrräder geklaut. Darauf folgen 587 erfasste Sachbeschädigungen, | |
| davon 360 Graffiti. Und, ja, von den 517 Vorfällen „politisch motivierter | |
| Kriminalität“ wurden 109 in Connewitz begangen – allerdings fallen darunter | |
| eben auch Graffiti wie „ACAB“. Auf Karten, die Kriminalitätsschwerpunkte in | |
| der Stadt markieren, sind Teile des Zentrums tiefrot – Connewitz ist | |
| zartgelb. | |
| ## Immer im Fokus | |
| Viele Bewohner sehen ihren Stadtteil stigmatisiert – nicht erst seit | |
| Silvester. Baukräne im östlichen Reudnitz brennen Anfang Oktober, im Fokus | |
| sofort: Connewitz. Eine Immobilienmaklerin wird in ihrer Wohnung | |
| überfallen, angeblich mit den Worten: Grüße aus Connewitz. Acht Tage nach | |
| Silvester wird ein Straßenkünstler ohne festen Wohnsitz verurteilt, | |
| [2][nicht mal das Gericht glaubt an ein politisches Motiv], aber im Fokus: | |
| Linksautonome aus Connewitz. | |
| Beim Spaziergang durch das Viertel zeigt Anwalt Kasek auf Plakate, mit | |
| denen die Wände gepflastert sind. Sie rufen zum Zusammenhalt auf und dazu, | |
| sich wegen Repressionen in der Silvesternacht an die [3][„Rote Hilfe“] zu | |
| wenden. An einem Zaun hängt ein Banner, auf dem steht: „Solidarität den | |
| Inhaftierten #3112 #0101“. | |
| „Das ist auch Connewitz“, sagt Kasek. „Wenn so was passiert, wächst der | |
| Stadtteil zusammen.“ Kasek vertritt drei der Inhaftierten der | |
| Silvesternacht, keiner von ihnen ist vorbestraft. Einer seiner Mandanten, | |
| dem ein Flaschenwurf am Neujahrsmorgen vorgeworfen wird, hat 37 Stunden in | |
| einer Zelle gesessen – ohne Gelegenheit, sich die Hände zu waschen oder die | |
| Kontaktlinsen herauszunehmen. | |
| Der 20-Jährige will nie wieder am Kreuz Silvester feiern: „Ich bin da nicht | |
| wegen Krawalltourismus hingegangen, sondern weil man da immer Freunde | |
| trifft, die man länger nicht gesehen hat. Und dann saß ich unschuldig in | |
| ’ner Zelle.“ Sein Handy und ein Dutzend weitere Handys hat die Polizei | |
| wegen Mordermittlungen beschlagnahmt – obwohl nicht mal die Polizei ihm | |
| vorwirft, er habe etwas mit dem bewusstlosen Polizisten zu tun. | |
| ## Eskalation mit Ansage | |
| In den vergangenen Jahren gab es eine feste Routine für Silvesterfeiern am | |
| Kreuz: Der Polizeipräsident persönlich war anwesend, die Einsatzwagen | |
| parkten in der Seitenstraße – die Polizei war vor Ort, aber nicht | |
| mittendrin. Auch in früheren Jahren gingen Beamten schon mal gegen kleinere | |
| Provokationen vor, was nicht begeistert aufgenommen wurde. | |
| Dass es diesmal so eskaliert ist, schreiben viele auch der bedrohlichen | |
| Präsenz und Null-Toleranz-Strategie der Polizei zu: ein ab nachmittags | |
| kreisender Hubschrauber, die Mannschaftswagen, Patrouillen auf den | |
| Bürgersteigen, anlasslose Kontrollen. Eine Anwohnerin sagt, was viele hier | |
| glauben: „Das war eine Eskalation mit Ansage.“ | |
| Auch die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel kritisiert die anlasslosen | |
| Kontrollen im Viertel. Am Silvesterabend wurden zwei Gäste vor ihrem Büro | |
| beim Rauchen kontrolliert, beide haben einen Migrationshintergrund. | |
| „Normalerweise“, sagt der Anwalt Kasek, „kann sich in Connewitz jeder und | |
| jede sicher fühlen: Familien, ältere, Leute mit und ohne erkennbaren linken | |
| oder migrantischem Hintergrund. Nur Faschos vielleicht nicht.“ Keine | |
| Selbstverständlichkeit in Sachsen, wo rassistische Übergriffe an der | |
| Tagesordnung sind und Solidarität nicht selbstverständlich. Hier schon. | |
| Aber das war nicht immer so. | |
| ## Eine Goldgrube für Investoren | |
| Connewitz hat sich seinen Ruf als linke Hochburg hart erkämpft. In den | |
| Jahren nach der Wende haben Anwohner die leer stehenden Altbauten besetzt, | |
| viele nicht aus politischen, sondern praktischen Erwägungen. Damals gab es | |
| ständige Angriffe von Nazis, die meisten von ihnen aus Leipzig. Andere | |
| Stadtteile, in denen Linke ebenfalls Häuser besetzt hielten, aber in der | |
| Unterzahl waren, wurden angesichts der brutalen Angriffe aufgegeben. Am | |
| Ende zog man sich in den Süden zurück. | |
| Wegen der höheren Lebensqualität zogen hier in Connewitz und in der | |
| Südvorstadt aber auch die Mieten zuerst an. Heute ist der Stadtteil für | |
| viele unbezahlbar: Der nahe gelegene See, der Wald, die Kultur machen den | |
| Stadtteil zur Goldgrube für Investoren. | |
| Ateliers und Künstlergemeinschaften wie in der Kochstraße 124, direkt am | |
| Connewitzer Kreuz, werden raussaniert. Die hart erkämpften und aufgebauten | |
| Freiräume schwinden, Milieuschutz ist bisher nicht vorgesehen, viele fühlen | |
| sich politisch ohnmächtig. | |
| Viele sorgen sich, dass die Polizeipräsenz im Kiez wieder zunimmt und eine | |
| Stimmung von Überwachung und Willkür schürt. Das sächsische LKA sieht die | |
| Leipziger autonome Szene in einem Lagebild bereits [4][an der Schwelle zum | |
| Linksterrorismus.] Schon seit Jahren überwacht die Polizei das Kreuz per | |
| 360-Grad-Kamera. | |
| Die Linken-Politikerin Juliane Nagel hat dagegen geklagt. Sie befürchtet | |
| nun, dass auch wieder Bereitschaftspolizei in voller Montur durchs Viertel | |
| geschickt wird, wie schon im vergangenen Frühling. „Das ist noch mal was | |
| anderes als Bürgerpolizei in normaler Uniform“, sagt sie. Die gefühlte | |
| Sicherheit vor willkürlichen Zugriffen durch den Staat verbessere das im | |
| Kiez nicht. | |
| 13 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Angriff-auf-Polizei-in-Leipzig/!5649887 | |
| [2] /Gewalt-zu-Silvester-in-Leipzig-Connewitz/!5654546 | |
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| ## AUTOREN | |
| Helke Ellersiek | |
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