# taz.de -- Wie man sich das Netz 2020 vorstellte: Wir lesen noch | |
> Die Trends der Netznutzung korrekt vorherzusagen, grenzt an Glück. Einige | |
> Prognosen aber sind im vergangenen Jahrzehnt recht gut gealtert. | |
Bild: Das Internet hat die Beziehungen zwischen den Menschen verändert | |
Gleich nach der Geburt wird jedem Neugeborenen ein Chip eingepflanzt, der | |
Gesundheitsdaten misst. Herzrhythmus, Blutzucker, Stress, alles in Echtzeit | |
abrufbar. Nie wieder müssen Eltern rätseln, was das Kind will, wenn es | |
schreit. Ein Blick aufs Display genügt. | |
Dass die Prophezeiung von Michael Dahan, Politikprofessor am Sapir College | |
in Israel, nicht wahr wurde, ist gut. Bis 2020 würde allen in | |
Industriestaaten geborenen Kindern ein Chip implantiert werden, mutmaßte er | |
in einer [1][2006 veröffentlichten Umfrage] zur Zukunft des Internets, | |
durchgeführt von dem US-amerikanischen Pew Research Center. Und diese Chips | |
würden wichtige medizinische Daten generieren, aber auch Überwachung | |
möglich machen. | |
Insgesamt fünfmal, 2004, 2006, 2008, 2010 und 2012, fragte Pew ab, wie sich | |
Expertinnen und Experten das Internet und dessen Rolle für die Gesellschaft | |
im Jahr 2020 vorstellten. Und jetzt? Längst nicht alles, was man erhoffte | |
oder befürchtete, wurde wahr. Dass das Internet die Grenzen zwischen Arbeit | |
und Freizeit verwischt, [2][hatte man bereits 2004 erkannt]: Man werde sich | |
zu „mehr Integration zwischen den beiden Welten zurückbewegen“, vermutete | |
eine Expertin – und das sei eine gute Sache. Das Web könne es für Mütter | |
einfacher machen, nebenbei zu arbeiten, hoffte Tiffany Shlain, Gründerin | |
der Webby Awards. Dass eine erhöhte Flexibilität aber auch zu mehr Stress | |
führt – eine Erkenntnis, die mittlerweile Selbsthilfebücher, Spas und Ted | |
Talks füllt –, fand sich [3][vier Jahre später im Bericht]. | |
Ähnlich uneins war man sich bei der Frage, ob das Internet zu mehr Toleranz | |
führt. 2004 konnte sich lediglich ein Drittel der Befragten vorstellen, | |
dass Menschen das Web nutzten, um eigene Ansichten zu bestätigen und | |
gegenteilige Meinungen rauszufiltern. Es werde 2020 zwei Gruppen von | |
Menschen geben, [4][prophezeite der Tech-Berater Jerry Michalsky vor einem | |
Jahrzehnt]: die „Cocooner“, die sich in ihren Kokon zurückziehen, und die | |
„Connecter“, die sich über Grenzen hinweg verbinden. Zweitere würden die | |
Überhand gewinnen, hoffte er. Tja. | |
In den 2000ern sorgte man sich um die Zukunft der Kunst. „Napster, Kazaa | |
und iPod killen das „Album“-Format“, wurde 2004 prophezeit. Das stimmt; e… | |
Trost allerdings: Auch Napster, Kazaa und – wohl bald – der iPod ruhen | |
heute im Technologiejenseits. Flatrate-Angebote haben hingegen ein gewisses | |
Verständnis für Urheberrechte geschaffen. Man scheint vielerorts bereit, 10 | |
Euro pro Monat zu zahlen, um mit gutem Gewissen Inhalte zu streamen – oder | |
alternativ Werbeeinschaltungen über sich ergehen zu lassen. | |
Falls Sie diesen Text bis hierher selbst gelesen haben, ist die | |
Prophezeiung von Stephen F. Steele, US-Professor für Zukunftsstudien, aus | |
dem Jahr 2010 übrigens nicht eingetroffen: Wir befänden uns 2020 im | |
Zeitalter der „Post-Alphabetisierung“, würden nicht mehr lesen, sondern | |
lediglich Sprachausgabe-Technologien benutzen. Vielleicht im Dezember dann. | |
9 Jan 2020 | |
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[1] http://www.elon.edu/e-web/predictions/expertsurveys/2006survey/newsrelease.… | |
[2] http://www.elon.edu/docs/e-web/predictions/expertsurveys/2004_experts_surve… | |
[3] http://www.elon.edu/docs/e-web/predictions/2008_survey.pdf | |
[4] http://www.elon.edu/docs/e-web/predictions/expertsurveys/2010survey/Future_… | |
## AUTOREN | |
Anna Goldenberg | |
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