# taz.de -- Forschungsreaktor BER II: Nachglühen in Wannsee | |
> An diesem Mittwoch wird Berlins einziger Atomreaktor abgestellt. Seine | |
> Hinterlassenschaften werden die Stadt noch viele Jahre beschäftigen. | |
Bild: Das sanft blaue Glühen des Reaktors nennt sich „Tscherenkow-Strahlung�… | |
Heute, am 11. Dezember 2019, endet im äußersten Südwesten Berlins eine | |
jahrelange kontrollierte Kettenreaktion und damit die Geschichte des | |
einzigen Atomreaktors auf hauptstädtischem Boden. Aber auch wenn im 11 | |
Meter tiefen Tauchbecken der Helmholtz-Gesellschaft in Wannsee das | |
bläuliche Glühen erlischt – bis alle Folgen der Kernspaltung beseitigt | |
sind, werden noch Jahre vergehen. | |
Erstaunlicherweise war der Name der Anlage bislang kein Omen für das ganz | |
große Desaster: „BER II“ heißt sie, was für „Berliner | |
Experimentier-Reaktor“ steht. Dessen erste Version, BER I, war von 1958 bis | |
1972 in Betrieb, der BER II strahlt seit 1973. Dass er mit einem | |
Atomkraftwerk nichts zu tun hat, darauf verweisen die BetreiberInnen | |
beharrlich. Tatsächlich ist die thermische Leistung von 10 Megawatt (MW) | |
ein Klacks im Vergleich zu einem AKW, das mindestens die hundertfache | |
Energiemenge produziert. | |
Darum geht es in Wannsee auch gar nicht, sondern um die vom Reaktor | |
erzeugten Neutronen, mit denen sich allerlei Material durchleuchten lässt. | |
Biologen, Chemiker, Physiker, sogar Kunsthistoriker nutzten den BER II zu | |
Forschungszwecken, heißt es in der Selbstdarstellung des | |
Helmholtz-Zentrums, das 2008 aus der Fusion des Hahn-Meitner-Instituts | |
(HMI) mit der Gesellschaft für Synchrotronstrahlung (Bessy) hervorging. | |
Ursprünglich sollte zum Jahreswechsel Schluss sein für den BER II, dann | |
wurde der Abschalttermin noch zwei Wochen vorgezogen. Den Antrag auf | |
Stilllegung und Abbau hatte das Helmholtz-Zentrum bereits 2017 bei der | |
Atomaufsicht des Landes gestellt. Wie Sprecher Hannes Schlender der taz | |
mitteilte, rechnet das HZB mit einer Genehmigung „ab etwa 2023“. Bis dann | |
mit dem Abbau begonnen wird, soll der Reaktor abklingen. Der gesamte | |
Prozess wird über ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen und mindestens 240 | |
Millionen Euro kosten, die hauptsächlich der Bund trägt. | |
Am Ende stehe „die Entlassung der Anlage aus der Zuständigkeit des | |
Atomrechts“, so Schlender. Das könne bedeuten, dass ein Bau übrig bleibt, | |
der sich etwa als Labor nutzen lasse. Aber: „Nach heutigem Planungsstand | |
sollen die Gebäude zurückgebaut werden“, es bleibt also grüne Wiese übrig. | |
## Bessy statt BER | |
Dem Vernehmen nach hätte sich ein längerer Betrieb des BER II für das | |
Helmholtz-Zentrum nicht mehr gerechnet. Die Anlage sei in die Jahre | |
gekommen, für die wissenschaftlichen Zwecke hätten Röntgenquellen wie der | |
Berliner Elektronenspeicherring „Bessy II“ in Adlershof mittlerweile mehr | |
Potenzial. | |
Aber der Forschungsreaktor war auch immer umstritten. Sein Betrieb machte | |
nicht nur den direkten AnwohnerInnen Sorgen, auch wenn seit einer | |
Umstellung der Uran-Brennstäbe im Jahr 2000 kein Plutonium mehr als | |
Spaltprodukt anfiel. Das „Anti-Atom-Bündnis in Berlin und Potsdam“ erinnert | |
in einer [1][Chronik auf seiner Website] an die Unwägbarkeiten des | |
Reaktorbetriebs: [2][So wurde 2011 bekannt, dass Schweißnähte an einem | |
Umwälzrohr im Becken Risse aufwiesen, die dann unerwartet schnell | |
zunahmen]. 2014 stoppte das HZB den BER II für ein Jahr, offiziell, um den | |
Einbau einen Hochleistungsmagneten vorzubereiten – aber auch, um die | |
schadhaften Bauteile sicherheitshalber stillzulegen. | |
2016 äußerte ein Physiker des Öko-Instituts in Darmstadt die Einschätzung, | |
[3][bei einem Anschlag auf den Forschungsreaktor mit radioaktivem Fallout | |
müsse die Bevölkerung entgegen dem geltenden Katastrophenschutzplan des | |
Lande in einem viel größeren Radius evakuiert werden]. Die Atomaufsicht in | |
der Senatsumweltverwaltung teilte jedoch mit, es handele sich dabei nicht | |
um die offizielle Haltung des Ökoinstituts. | |
Im September 2017 schließlich wurden Klagen von AnwohnerInnen und Gemeinden | |
gegen die Flugrouten des anderen BER vor dem Oberverwaltungsgericht | |
abgewiesen. Das befürchtete Risiko eines von TerroristInnen auf der | |
„Wannsee-Route“ eingeleiteten Flugzeugabsturzes lag nach Ansicht der | |
RichterInnen im Bereich des Restrisikos, das als „Lebensrisiko“ von jedem | |
zu tragen sei. | |
Was passiert nun mit dem gefährlichen Müll, der beim Abbau anfällt? Die | |
hoch radioaktiven Brennelemente werden 2023 ins nordrhein-westfälische | |
Zwischenlager Ahaus gebracht. Dieses hat eine Genehmigung bis 2036, ein | |
Endlager gibt es noch nicht. Weniger stark strahlende Teile kommen zuerst | |
in die auf demselben Gelände befindliche Zentrale Sammelstelle des Landes | |
für radioaktiven Abfall (ZRA), später ins dann wohl fertiggestellte | |
Bundesendlager Schacht Konrad bei Salzgitter. | |
## Tritium liegt in der Luft | |
Das betrifft auch rund 200 Kubikmeter Wasser aus dem Reaktorbecken, das | |
Tritium enthält, ein schwach radioaktives Wasserstoffisotop. Laut | |
HZB-Sprecher Schlender birgt es „für die Umwelt kein Risiko“. Beim | |
Anti-Atom-Bündnis sieht man das anders: Zwar strahlten die Tritiumatome nur | |
im Mikrometerbereich, es bestehe aber „die Gefahr, dass bei Inkorporation | |
tritiumhaltigen Wassers beispielsweise durch Wasserdampf beim Atmen oder | |
durch Verzehr von Pflanzen, die Tritium durch Regenwasser aufgenommen | |
haben, die Strahlung in den Zellen Schaden anrichtet“. | |
Beim Betrieb des BER II sei durch den Abluftkamin „täglich bis zu einer | |
Tonne tritiierter Wasserdampf in die Umwelt“ gelangt, teilt das Bündnis mit | |
– und verweist auf eine „ungeklärte Häufung von Krebsfällen bei Anwohnern | |
in der direkten Hauptwindrichtung des BER II“. | |
10 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.atomreaktor-wannsee-dichtmachen.de/downloads.html?download=46%3… | |
[2] /Im-Helmholtz-Zentrum-Berlin/!5038247 | |
[3] /Warnung-vor-dem-BER-II/!5324276 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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