| # taz.de -- Die Grünen und die K-Frage: Wer macht's? | |
| > Annalena Baerbock oder Robert Habeck? Viele rätseln, wer | |
| > KanzlerkandidatIn der Grünen wird. Eine – auch spekulative – Analyse. | |
| Bild: Habeck wäre der bessere Kandidat – aber Baerbock womöglich die besser… | |
| Robert Habeck oder Annalena Baerbock? Offiziell ist das kein Thema. Beide | |
| Grünen-ChefInnen schweigen zu einer möglichen Kanzlerkandidatur. Oder sie | |
| sagen die immer gleichen Sätze: Die Frage stehe nicht an, sie werde | |
| rechtzeitig vor der Bundestagswahl beantwortet, gemeinsam mit der Partei | |
| natürlich. Regulär wird ja erst in zwei Jahren gewählt. | |
| Da ist natürlich was dran. Aber das, was Grüne behaupten, nämlich dass die | |
| K-Frage niemanden im Lande interessiere außer ein paar | |
| HauptstadtjournalistInnen, stimmt auch wieder nicht. Wenn ich mit | |
| FreundInnen oder Bekannten über die Grünen diskutiere, kommt die Frage | |
| immer. Wer macht's? Menschen haben eben ein Interesse daran, wer sie | |
| regiert. Und nun, da die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Grünen die | |
| Nach-Merkel-Ära mitgestalten, ist dieses Interesse berechtigt. | |
| Schauen wir also in die Glaskugel, die bei jedem Politikjournalisten neben | |
| der Tastatur steht. Dieser Text unternimmt einen Ausflug in die Zukunft, | |
| auf Basis begründeter Annahmen und vieler Gespräche mit Grünen. Ein paar | |
| Hypothesen lassen sich nämlich schon aufstellen. Sie können, müssen aber | |
| nicht eintreffen. | |
| Eins ist zum Beispiel sehr sicher: Die Grünen werden auf jeden Fall eine | |
| Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten aufstellen, wenn die Umfrage | |
| so gut bleiben, wie sie im Moment sind. Das sagen eigentlich alle. Habeck | |
| und Baerbock machten sich lächerlich, duckten sie sich weg. | |
| ## Zwei Szenarien für die K-Frage | |
| Schließlich [1][ist ihr Machtanspruch unüberhörbar] und vielfach | |
| dokumentiert. Sie wollen die „führende Kraft der linken Mitte“ sein, die | |
| republikanischen Institutionen gegen den Angriff von Rechts verteidigen und | |
| den Klimaschutz endlich ins Zentrum staatlichen Handelns rücken. Wo ginge | |
| das besser als im Kanzleramt? Wer die Dramatik des Klimawandels beschreibt, | |
| muss ihn an höchster Stelle stoppen. | |
| Eine Situation, wie sie das Umfrageinstitut Infratest dimap neulich | |
| ermittelte, wäre ideal für den Griff nach der Macht. Die Union liegt bei 25 | |
| Prozent, die Grünen bei 22. Baerbocks und Habecks Grüne wären die | |
| Angreifer, dem Platzhirsch auf den Fersen. Eine Rolle, die zu ihnen und | |
| ihrem Aufbruchsversprechen passt. | |
| Für eine grüne Kanzlerkandidatur gibt es, grob gesagt, zwei Szenarien. Das | |
| erste: Beide möchten den Job und keiner ist bereit zurückzuziehen. Baerbock | |
| und Habeck vertrauen und schätzen einander. Die Harmonie ist nicht | |
| gespielt. Ein solcher Wettbewerb würde deshalb fair und offen ausgetragen | |
| werden, also mit ständiger Abstimmung auf dem kurzen Dienstweg und ohne | |
| persönliche Angriffe. | |
| Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hat bereits gesagt, dass die | |
| Entscheidung „gemeinsam mit der Partei“ getroffen würde. Das letzte Wort | |
| hätte also ein Bundesparteitag – oder eine Urwahl, bei der alle Mitglieder | |
| befragt werden. Mit diesem Instrument klärten die Grünen bei vergangenen | |
| Wahlen ihre Spitzenkandidaturen. | |
| ## Habeck ist deutlich prominenter als Baerbock | |
| Auf einem Parteitag hätte Baerbock gute Chancen zu gewinnen. Ihr Rückhalt | |
| ist bei der Basis größer als der Habecks. Sie gilt als sehr kompetente, | |
| exzellent vorbereitete Verhandlerin, die offen für andere Meinungen bleibt. | |
| Wie enorm ihr Standing ist, zeigt auch [2][ihr Rekordergebnis bei der | |
| Vorstandswahl in Bielefeld]. Mit 97,1 Prozent ließ sie Habeck (90,4 | |
| Prozent) hinter sich. | |
| Bei einer Urwahl sähe es anders aus. Die 94.000 Mitglieder ticken anders | |
| als der Parteimittelbau, der sich auf Bundesdelegiertenversammlungen | |
| trifft. Habeck ist deutlich prominenter als Baerbock – und einer der | |
| beliebtesten deutschen Spitzenpolitiker. [3][Seine Stärke ist die Verkaufe, | |
| die Erzählung.] Kaum einer kann Politik so philosophisch aufladen wie er. | |
| Anders als Baerbock verfügt er über Regierungserfahrung, weil er in | |
| Schleswig-Holstein sechs Jahre lang Minister für Umwelt, Landwirtschaft und | |
| Energiewende war. | |
| Kurz: Normale Grünen-Mitglieder, die sich nicht permanent mit Politik | |
| beschäftigen, könnten ihm den Vorzug geben. Diese These hört man von vielen | |
| Grünen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat | |
| neulich offen ausgeplaudert, dass er Habecks Kandidatur für | |
| aussichtsreicher hält. Das war ein Unfall, keine Frage, aber er spricht für | |
| sich. | |
| Selbst Habeck-KritikerInnen analysieren die Lage ähnlich. Eine Abgeordnete, | |
| die Baerbock bevorzugen würde, drückt ihr Dilemma so aus: „Robert wäre der | |
| bessere Kanzlerkandidat. Aber Annalena die bessere Kanzlerin.“ | |
| ## Bis 2021 unter dem Brennglas | |
| Ein solcher Wettbewerb, egal wie fair er geführt würde, wird problematisch | |
| eingeschätzt. Schließlich wäre Schluss mit der Harmonie, auf die der ganze | |
| Erfolg gründet. Plötzlich gäbe es harte Konkurrenz im Machtzentrum. Die | |
| Fans der einen oder des anderen würden tratschen, die Medien den Streit | |
| genüsslich inszenieren. | |
| Kein schöner Start für einen Wahlkampf, der ohnehin brutal wird. Grüne, die | |
| um die Macht kämpfen, werden von den Medien, von CDU und FDP härter | |
| angegangen, als eine unbedeutende Oppositionspartei. Habeck hat seine | |
| Partei in seiner Bewerbungsrede nicht ohne Grund gewarnt. Die Grünen werden | |
| bis 2021 unter das Brennglas gelegt. | |
| All das wissen natürlich auch Baerbock und Habeck. Wahrscheinlicher ist | |
| deshalb das zweite Szenario, die gütliche Lösung. Beide einigen sich, wer | |
| die Kanzlerkandidatur übernimmt. Baerbock würde also Habeck unter vier | |
| Augen sagen, dass sie ihm den Vortritt lässt. Rechtzeitig vor dem Parteitag | |
| Ende 2020 erschiene ein Doppel-Interview, in dem beide die Entscheidung | |
| begründen. Die Delegierten des Parteitags müssten dies nur noch bestätigen. | |
| Selbstverständlich ginge es auch anders herum. Auch Habeck könnte Baerbock | |
| den Vortritt lassen. Aber was ist wahrscheinlicher? | |
| ## Sie pfeifen auf die grüne Parteilogik | |
| Um diese Frage zu beantworten, sollte man auf die Philosophie der beiden | |
| schauen. In der Parteilogik müsste Baerbock antreten. Die Grünen, die stolz | |
| auf ihre feministische Tradition sind, schieben bewusst Frauen nach vorn. | |
| Frauen bekommen die ersten Listenplätze. Zwei Frauen dürfen in einer | |
| Doppelspitze sitzen, zwei Männer nicht. Warum sollten ausgerechnet sie | |
| einen Mann ins Kanzleramt schicken? | |
| Nun, weil Baerbock und Habeck auf das pfeifen, was als grüne Parteilogik | |
| gilt. Sie geben nichts auf Flügelrituale, auf Selbstvergewisserung oder | |
| sorgsame Klientelpflege. Stattdessen zielen sie auf Mehrheitsfähigkeit, auf | |
| Milieus jenseits der eigenen. Sie denken aus dem Zentrum heraus. Dies führt | |
| zu einem einfachen, kalten Gedanken. Jenem, der auch dem Basismitglied bei | |
| einer Urwahl durch den Kopf gehen könnte: Kanzlerkandidat wird der, der die | |
| größten Chancen hat. | |
| Das ist, gemessen an Umfragen, Robert Habeck. Dabei spielen sicher auch | |
| althergebrachte Rollenbilder eine Rolle. Die meisten Deutschen sind eben | |
| nicht so progressiv wie die Grünen. Das kann man bedauern, aber man muss es | |
| zur Kenntnis nehmen. Baerbock und Habeck werden das wägen. Zwar beteuern | |
| beide gerne, auf die Statistiken der Institute nichts zu geben. Aber das | |
| darf man getrost als Notlüge abbuchen. PolitikerInnen sind fixiert auf | |
| Umfragen, weil sie die valideste Rückmeldung über Erfolg oder Misserfolg | |
| liefern, die es gibt. | |
| Die Grünen könnten demnach im nächsten Jahr eine Lösung für die K-Frage | |
| präsentieren, die reich an vermeintlichen Widersprüchen ist: Die Chefin | |
| einer feministischen Partei schlägt einen Mann für den Topjob vor – obwohl | |
| sie mindestens genauso gut geeignet wäre. | |
| 17 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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