# taz.de -- Grüne Bundesvorsitzende bestätigt: Rekordwahl für Baerbock | |
> Robert Habeck und Annalena Baerbock haben die Wahl beim Parteitag der | |
> Grünen gewonnen: Sie bleiben Bundesvorsitzende. Und Baerbock teilt aus. | |
Bild: Haben was zu feiern: Robert Habeck und Annalena Baerbock | |
BIELEFELD taz | Sozialistisch anmutende Wahlergebnisse kennt man von den | |
Grünen eigentlich nicht. Die Partei neigt zu einem kritischen Blick auf | |
die, die vorne stehen. Insofern ist das, was am Samstag auf dem Parteitag | |
in Bielefeld passiert ist, tatsächlich überraschend: [1][Annalena | |
Baerbock], ihres Zeichens Bundesvorsitzende, wurde mit sensationellen 97,1 | |
Prozent im Amt bestätigt. Ihr Co-Chef Robert Habeck kam auf ebenfalls | |
starke 90,4 Prozent. | |
Die Botschaft, die die 760 Delegierten an die Parteispitze übermittelten, | |
lautete: Wir sind sehr, sehr zufrieden mit euch. Ach was, glücklich. Beide | |
können sich in ihren Konzepten bestärkt fühlen. Die Grünen nicht als | |
Milieupartei zu begreifen, sondern als mehrheitsfähige Kraft. Das Gespräch | |
zu suchen auch mit jenen, die den Grünen nicht nahe stehen. Und, natürlich, | |
für Koalitionen in alle Richtungen offen zu sein. | |
Baerbock ist in der Halle die Erste, die redet, weil die Frau zuerst | |
gewählt wird. Sie beginnt mit einem Plädoyer für klare Regeln in einer | |
sozial-ökologischen Ökonomie. Die Gestaltungsmacht dürfe nicht der | |
globalisierten Wirtschaft überlassen werden. „Ich will, dass die Politik | |
die Verantwortung übernimmt, unsere Zukunft zu gestalten.“ | |
Sorgsam vermeidet sie, die Grünen nur auf ein Thema festzulegen – und lenkt | |
das Augenmerk auf die Sozialpolitik. Die Grünen müssten für eine | |
sozial-ökologische Transformation sorgen, ruft sie. Und auch an den | |
Stahlarbeiter bei Thyssenkrupp, die Pendler in der Prignitz oder an | |
Handwerker denken. | |
## Die unbequeme Baerbock | |
Die Grünen behaupten gerne, nicht über Wettbewerber zu reden, sondern nur | |
über eigene Konzepte. Baerbock teilt dafür recht großzügig Kritik aus. Die | |
Bundesregierung zerstöre die [2][Windkraft], wettert sie. Und: Ihr gehe | |
„auf den Keks“, dass manche beim Klimaschutz entdeckten, dass Menschen | |
niedrige Einkommen hätten. Das zielt auf Leute von Union oder FDP, die den | |
Grünen gerne vorwerfen, ihre Ideen für Klimaschutz träfen vor allem arme | |
Menschen. | |
Einen wichtigen Punkt macht sie bei den Delegierten, als sie Vorurteile | |
thematisiert, mit denen weibliche Spitzenpolitikerinnen konfrontiert sind. | |
Plötzlich werde „die Schnelligkeit des Sprechens oder die Höhe der Stimme“ | |
zum Gradmesser für Kompetenz, sagt Baerbock. Bei Frauen gebe es immer noch | |
eine zusätzliche Kritikebene. | |
Die Grünen-Chefin hebt bei dieser Stelle die Stimme, redet schnell, tut | |
mädchenhaft. Sie hat durchaus schauspielerisches Talent. Überhaupt fühlt | |
sie sich sichtlich wohl auf der Bühne, vor diesem Luftbild eines | |
Laubwaldes, das von Weitem wie ein riesiger Brokkoli aussieht. Sie spricht | |
entspannt, breitet die Arme aus, nimmt sich Raum. | |
Baerbock bringt auch eine unbequeme Botschaft unter. Sie glaube, dass eine | |
europäische Armee „perspektivisch sinnvoll“ sein könne, um 27 Armeen zu | |
ersetzen. Europäische Sicherheitspolitik ist bei friedensbewegten Grünen | |
ein heißes Eisen. Baerbock endet mit dem Satz, den sie auch in ihrem | |
Bewerbungsschreiben an den Parteitag aufgeschrieben hat: „Wir haben noch | |
lange nicht fertig.“ | |
Eigentlich bekommen KandidatInnen nach der Rede Fragen gestellt. Die | |
Delegierten nutzen diese gerne als Gelegenheit für Kritik. An Baerbock gibt | |
es keine einzige. Auch das ist ein Zeichen. Das Traumergebnis, das später | |
verlesen wird, ist das Beste, das eine Vorsitzende in der Geschichte der | |
Partei Bündnis 90/Die Grünen je bekam. Die bisherige Spitzenreiterin hieß | |
Claudia Roth. Die heutige Bundestagsvizepräsidentin bekam 2001 in Stuttgart | |
91,5 Prozent. | |
## Habecks Angst vor der Angst | |
Ob Habeck wohl nervös war? Die Latte lag nach Baerbocks Vorlage in fast | |
unerreichbarer Höhe. Auch Habeck zielt in seiner Rede auf die Wirtschaft, | |
ein Thema, das den [3][Parteitag am Sonntag] beschäftigen wird. „Es ist das | |
eine, die Arbeitsplätze der Vergangenheit zu verlieren“, ruft er. Etwas | |
ganz anderes sei es aber, die Arbeitsplätze der Zukunft kaputt zu machen – | |
und sich an der Zukunft zu versündigen. „Wie kann man nur so an der | |
Realität vorbei planen?“ | |
Habeck wirbt für eine mutige Politik. „Wenn aber die eigene Ängstlichkeit | |
zum Gradmesser der Politik wird, dann ist Politik fertig.“ Die Grünen | |
dürften sich nicht von der Ängstlichkeit leiten lassen. Sie seien keine | |
Bürgerbewegung mehr. Sondern eine politische Kraft, die den Auftrag zur | |
Gestaltung habe. „Für diese Zeit sind wir gegründet worden, und jetzt lösen | |
wir es ein.“ | |
Habeck warnt seine ParteifreundInnen eindringlich. Die nächsten zwei Jahre | |
würden hart werden, auch die Angriffe würden härter werden. Es gebe den | |
Wunsch, dass „die Grünen wieder kleiner werden“. Damit hat der Grünen-Chef | |
recht. CSU-Chef Markus Söder sieht die Grünen inzwischen als Hauptgegner | |
der Konservativen – er ist nicht der Einzige. In einem kommenden | |
Bundestagswahlkampf, in dem es um das Kanzleramt gehen könnte, wird die | |
Partei ganz anders attackiert werden als bisher. | |
Habeck fordert, dass die Grünen sich dennoch nicht verhärten dürften. Sie | |
müssten offen bleiben für berechtigte Kritik. Am Ende lobt er das Teamspiel | |
mit seiner Co-Chefin. Je größer die Zentrifugalkräfte gewesen seien, desto | |
stärker seien sie zusammengeschweißt worden. | |
Auch Habeck bekommt Standing Ovations. An ihn gibt es zwei Fragen, eine zur | |
Wahl der Aussteller auf dem Parteitag. Er wirkt erleichtert, als sein | |
Ergebnis bekannt gegeben wird. Wichtig war wohl, dass er auch über die | |
symbolische 90-Prozent-Marke kam. | |
## Wer kann KanzlerIn? | |
Und was heißt das nun für die Kanzlerkandidatur? JournalistInnen rätseln | |
seit Monaten, wer von beiden ChefInnen es machen werde. Im Vorfeld des | |
Parteitags war gemutmaßt worden, dass die Wahlergebnisse ein Signal liefern | |
könnten. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wollte die Ergebnisse auf | |
keinen Fall als Vorentscheidung gewertet wissen. Das sei „nicht relevant | |
für die Frage“, sagt Kellner am Samstagmorgen. Die Delegierten würden die | |
Prozent-Ergebnisse nach zwei Wochen vergessen. | |
Viel spricht dafür, dass er recht hat. Mehrere Parteistrategen sagen, dass | |
Habeck und Baerbock die K-Frage unter sich ausmachen müssten. Heißt: Beide | |
würden sich gütlich einigen, der eine würde den anderen dann öffentlich | |
unterstützen. „Ein Wettbewerb wäre zerstörerisch“, heißt es. Habeck hat… | |
Vorteil, dass er über Erfahrung als Minister verfügt – und in | |
Beliebtheitsumfragen weit vorne steht. | |
16 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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