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# taz.de -- Friedhofsgeburtstag: Gießkannen und Geschichte
> Der Dorotheenstädtische Friedhof in Mitte wird 250 Jahre alt. Zwischen
> den alten und neuen Gräbern lebt die Geschichte Berlins.
Bild: Grabstätten von Bert Brecht und seiner Frau Helene Weigel auf dem Friedh…
Zwei Stunden Zeit sollte man sich nehmen, wenn man sich von Ronald B. Smith
über den Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße in Mitte
führen lässt. Es ist eine Führung durch die Kulturgeschichte Berlins.
Die Philosophen Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel liegen
hier begraben, die AutorInnen Bertolt Brecht, Anna Seghers und Christa
Wolf, Altbundespräsident Johannes Rau und Berliner Baumeister wie
Karl-Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler. Der
Dorotheenstädtische Friedhof, Berlins Prominentenfriedhof, begeht in diesem
Jahr seinen 250. Geburtstag.
Fast jeden Sonntag um 14 Uhr bietet Smith öffentliche Führungen über den
Friedhof an. Man kann ohne Anmeldung kommen. Der Amerikaner mit deutschen
Wurzeln weiß unterhaltsame Geschichten zu den Toten und ihren Gräbern zu
erzählen – etwa die, dass die Urne des 2010 verstorbenen Kommunarden und
Teilnehmers der Studentenbewegung Fritz Teufel rund drei Wochen nach seiner
Beisetzung verschwand. Auf die Gehwege neben dem Grab gestreute Asche
erwies sich nicht als die von Teufel. Die Urne tauchte schließlich in
Dahlem auf – neben dem Grab von Rudi Dutschke.
## Zwei Reklame-Könige
Eine andere Geschichte gibt es zum Grab von Ernst Litfaß, dem Erfinder der
nach ihm benannten Säule. Die Grabstätte des 1874 verstorbenen „Königs der
Reklame“ bedurfte 2012 einer gründlichen Restaurierung. Obwohl es sich um
ein Ehrengrab der Stadt handelt, kam Berlin nicht dafür auf.
Der Unternehmer Hans Wall, Gründer der auf Außenwerbung und City-Toiletten
spezialisierten Wall AG, der sich persönlich in der Tradition von Litfaß
sah, zahlte für die Restaurierung. Als Wall in diesem Sommer starb, wurde
auch er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt. Smith zeigt sein
Grab auf der Rückseite der Litfaß-Grabstätte.
Der Dorotheenstädtische Friedhof ist ein Ort, an dem Berliner Geschichte
aufgebahrt ist. 1762 oder 1764 erhielten eine deutsche und eine
französische evangelische Gemeinde durch königlichen Erlass das Grundstück
nahe der Friedrichstraße, das sich damals noch vor den Toren Berlins
befand, für Begräbnisse zugewiesen. Es dauerte einige Jahre, bis die Toten
aus der Kirchengruft dorthin umgelagert wurden und neue Beerdigungen auf
dem Friedhof stattfanden.
Denn der war wegen seiner damals abgeschiedenen Lage und der weiten
Entfernung zur Kirche nicht beliebt. Unter den ersten Bestatteten waren
zahlreiche Hugenotten, die wegen ihres Glaubens aus Frankreich vertrieben
und in Berlin aufgenommen worden waren. Dass sich hier einst Prominente
begraben lassen würden, war damals undenkbar.
## Philosophen und andere Promis
Der Historiker Jörg Kuhn beschreibt die Entwicklung zum Prominentenfriedhof
anhand dreier „Gravitationszentren“. Das erste setzte mit der Beisetzung
des Philosophen und Gründungsrektors der neu gegründeten Berliner
Universität, Johann Gottlieb Fichte, im Jahre 1814 ein. Viele Gelehrte
wollten in seiner Nähe begraben sein, überliefert ist das etwa für seinen
1831 verstorbenen Schüler Georg Wilhelm Friedrich Hegel.
Das zweite Gravitationsfeld begann mit der feierlichen Beisetzung des
Architekten Karl-Friedrich Schinkel im Jahr 1841. In der Folge ließen sich
bedeutende Baumeister, Industrielle und Ministerialbeamte auf dem
Dorotheenstädtischen Friedhof begraben. Es entstanden Grabmäler in der Form
von Mausoleen, künstlerisch gestaltete Grabstätten mit klassizistischen
Säulen und Porträtreliefs, die heute Baudenkmäler sind. Das Grabmal des
1854 verstorbenen Gründers der Borsig-Werke, August Borsig, beispielsweise
ziert eine Büste des Verstorbenen, eingerahmt von einer klassizistisch
anmutenden Minisäulenhalle.
Schlichter sind die Gräber der Prominenten des dritten
Gravitationszentrums, eingeleitet durch die Bestattung des Dramatikers
Bertolt Brecht im Jahr 1956. Brechts Grabstein ist ein naturbelassener
Feldstein, auf dem nicht mehr als sein Name steht. Der Künstler hatte sein
letztes Wohnhaus in der Chausseestraße gleich neben dem Friedhof.
Die räumliche Nähe, aber auch die geistige Nähe zu vielen der hier
Bestatteten weckten noch zu Lebzeiten in ihm den Wunsch, hier begraben zu
werden. In der Folge ließen sich viele DDR-Intellektuelle hier bestatten:
Brechts Frau, die Schauspielerin Helene Weigel, die Komponisten Hanns
Eisler und Paul Dessau und der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski
beispielsweise. Die Akademie der Künste der DDR finanzierte eine Sanierung
eines Friedhofsteils und durfte daraufhin ihre Mitglieder dort bestatten.
## Christliche Widerstandskämpfer
Bis heute lassen sich Prominente gern auf dem Friedhof, der mittlerweile
mitten in der Stadt liegt, beerdigen. Einige Urnen wurden auch viele Jahre
später hierher überführt, so beispielsweise im Jahre 2003 die des 1979
verstorbenen Soziologen Herbert Marcuse. Der Grabstein des Gelehrten hat
die Gestalt eines Katheders.
„250 Jahre Friedhofsgeschichte sind 250 Jahre Geschichte der Stadt Berlin.“
Der Satz stammt von Markus Dröge, dem langjährigen evangelischen
Landesbischof von Brandenburg und Berlin, und steht in dessen Geleitwort zu
dem nun erschienenen Jubiläumsband zur Friedhofsgeschichte. Der Friedhof
zeige, so Dröge, „Preußens Gloria und Niedergang, die Ohnmacht der ersten
Demokratie, zwei Weltkriege, Naziterror und Völkermord, Scheitern des
Sozialismus und Bau der Mauer, friedliche Revolution und die Mühen des
Zueinanderfindens.“
Die Kirche wählte diesen Friedhof auch als Ort des Gedenkens für
christliche Widerstandskämpfer im Dritten Reich. Zur Erinnerung an Dietrich
Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und andere, die in Konzentrationslagern
umkamen und keine Grabstätten haben, stehen hier Gedenksteine.
Was den Dorotheenstädtischen Friedhof von Prominentenfriedhöfen anderer
europäischer Hauptstädte unterscheidet, sind die Gräber von im wahren Sinne
des Wortes „Normalsterblichen“: Mitglieder der Dorotheenstädtischen und
Friedrichwerderschen Kirchengemeinden. Sie haben einen Rechtsanspruch, hier
begraben zu werden.
## Kunst und Kaffee
Auf dem Friedhof sieht man ihre Angehörigen mit Gießkannen und
Blumengestecken zwischen den Touristengruppen. Diese „Menschen von nebenan,
die hier ihre Trauerarbeit leisten oder als Rentner Zerstreuung suchen und
um die Zuneigung der Friedhofskatzen wetteifern“, prägten den Alltag des
Friedhofs, schreibt der Theologe Giselher Hickel in seinem Beitrag im
Jubiläumsbuch. Das bewahre den Friedhof davor, Museum zu werden.
Die evangelische Kirche als größter Berliner Friedhofsträger muss an vielen
Orten Berlins Friedhöfe schließen oder verkleinern. Grund ist der Trend zu
Urnen- und Gemeinschaftsgräbern, die weniger Platz brauchen als Särge und
Familiengruften. Ihren namhaftesten Friedhof hingegen wertet die
Landeskirche auf.
Seit 2015 lädt das Café Doro an den Wochenenden zu Kaffee, Kuchen und
Quiche auf dem Friedhof ein. Im Sommerhalbjahr veranstaltet der
Evangelische Friedhofsverband einmal monatlich Lesungen und Konzerte mit
Texten und Musik hier Bestatteter. Kaffee und Kultur auf dem Friedhof? Für
den Evangelischen Friedhofsverband, der seine Friedhöfe stärker zu Treffs
für Lebende gestalten will, war das ein Experiment, das gelang: Nicht nur
Angehörige und Trauergesellschaften kommen, auch Touristen und Nachbarn.
Dazu trägt auch die 2015 neu gestaltete Friedhofskapelle bei. Hier wurden
Glaselemente eingebaut, die Lichtinstallationen ermöglichen – ein Kunstwerk
für sich. Mehrmals wöchentlich lädt die Kapelle zum Sonnenuntergang zu
Lichtkunstvorführungen ein. Die Vorstellungen sind nachgefragt. Sie
verbinden Event mit christlichem Glauben: Touristen und Trauernde sollen im
Lichtraum, so Markus Dröge „erfahren, was Christen unter der Hoffnung auf
Auferstehung im Angesicht des Todes verstehen“.
21 Nov 2019
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Friedhöfe
Evangelische Kirche
Bertolt Brecht
Schwerpunkt Stadtland
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