# taz.de -- Anti-Bullshit-Philosophie: Der Troll in uns | |
> Von Trotteln, Lügnern und anderen Bullshittern: Der Philosoph Philipp | |
> Hübl hat Vorschläge gegen eine anhaltend aufgeregte Gesellschaft. | |
Bild: Immer dieses Erregung: Demonstrationsteilnehmer | |
HAMBURG taz | Sind Sie ein Trottel? Bitte nicht falsch verstehen, ein | |
empörtes Gegenüber ist ja auch kein aufmerksames. Also noch mal anders: Als | |
Sie vorhin diesen spannenden Link weiterverbreitet haben: Wussten Sie | |
wirklich, ob wahr ist, was da jemand so klug formuliert hatte? Oder war’s | |
in erster Linie … richtig? Etwas, dem sich zustimmen ließ? | |
„Wird schon stimmen“: Das ist ein Satz, den sich Trottel häufig sagen, ehe | |
sie liken und forwarden und mit Glaubwürdigkeit ausstatten, was das | |
vielleicht nicht verdient hätte. „Trottel“ ist hier gemeint in Philipp | |
Hübls Sinn: Der Berliner Philosoph hat drei Typen von Beteiligten | |
ausgemacht an der Produktion von – Bullshit. Den versteht der 44-Jährige | |
heute, [1][„im digitalen Zeitalter“], als „Unfug aller Art“: als „Lü… | |
Fake News, Verschwörungstheorien, Pseudowissenschaft und Geschwurbel“. | |
Klar: Lüge und Desinformation und gefährliches Halbwissen sind nicht erst | |
ein Problem, seit es ein weithin zugängliches Netz gibt und Menschen in | |
geschlossenen Facebook-Gruppen kursierende Memes als bessere Tagesschau | |
ansehen. Dass Hübl nicht wohlfeil mit dem Finger auf irgendwelche | |
abstrakten Trolle zeigt, „die Russen“ oder anderweitige kein bisschen edle | |
Wilde, das stärkt sein Argument: Seine „Trottel“ sind gerade nicht immer | |
nur die anderen. | |
Was aber tun gegen die eigenen Ressentiments, den eigenen blinden Fleck, | |
das bei jeder und jedem wirksame Bestätigungsvorurteil? | |
„Bullshit-Resistenz“ wäre wohl die Antwort des Verfassers unter anderem | |
einer Einführung in eine „[2][Philosophie des Unbewussten“]: | |
[3][„Bullshit-Resistenz“] hieß sein schmaler Band, 2018 erstmals | |
erschienen (Nicolai Publishing & Intelligence, 112 S., 20 Euro). Darin | |
formuliert er eine Art des analytischen Denkens, zu dem sich immer wieder | |
anhalten muss, wer nicht hereinfallen will aufs leicht in die Irre zu | |
lenkende Bauchgefühl. Anstrengend, das räumt er selbst ein, aber auch ohne | |
echte Alternative. | |
Ist das mitunter fahrlässige Mitspielen von Trottelinnen und Trotteln | |
vergleichsweise harmlos, haben es die andern beiden Typen in sich: Den | |
„Bullshitter“ begreift Hübl als einen an Debatten Teilnehmenden, dem die | |
Wahrheit schlicht egal ist; der etwa die eigene Expertise umso dröhnender | |
behauptet, je wackeliger sie ist. Noch mal weniger Skrupel schließlich | |
haben bei ihm die „Lügner“: Die behaupten auch, wovon sie wissen, dass es | |
nicht stimmt, aus unterschiedlichen Motiven. | |
Was aber spielt alles hinein, wenn jemand darauf besteht, als schon länger | |
irgendwo Lebender mehr Rechte zu haben als irgendwelche erst später zur | |
Party Gekommenen? (Ehe Sie nun allzu schnell antworten: Es könnte hier um | |
„Flüchtlingswellen“ beklagende „Nazis“ so sehr gehen wie um Bewohner*i… | |
von Hamburg-St. Pauli.) Warum sehen wir Bekannten Dinge nach, die bei | |
anderen eine Höchststrafe verdienen würden? | |
Anders gefragt: Wie viel Tribalismus kommt im Fußballstadion zum Tragen – | |
und wie viel beim Gang ins Wahllokal? Wie viel als Identität stiftend | |
erlebte Moral ist uneingestanden dabei, wenn Menschen politische Debatten | |
führen? Warum sind Wut- eigentlich „Ekelbürger“? Wie unterscheidet sich | |
aber auch das eine Sprechverbot vom anderen? | |
In seinem jüngsten Buch, ein wenig kalkuliert [4][„Die aufgeregte | |
Gesellschaft“ betitelt] (C. Bertelsmann 2019, 432 S., 22 Euro), sucht Hübl | |
solche Fragen zu beantworten. Wieder geht er dabei von der klassischen | |
philosophischen Problemstellung Vernunft gegen Gefühl aus, und ein wenig | |
auch: Biologie gegen Gesellschaft, Gene gegen Gelerntes. Solide mit | |
Hinweise auf aktuelle Forschung unterfüttert, piekst er erneut an so | |
mancher bequemer Selbstgewissheit, um, verkürzt gesprochen, anzukommen beim | |
Appell: Haltet mehr aus! | |
Die sprichwörtliche Kirsche auf dem Sahnehäubchen war da gewesen, die | |
eigne, die ja nicht erst bei genauem Hinsehen mit allerlei Privilegien | |
ausgestattete Position stärker mit auszuleuchten. Aber so ist das halt mit | |
diesen blinden Flecken. | |
9 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/philipphuebl?lang=de | |
[2] https://www.rowohlt.de/news/bewusstsein-ist-eine-entscheidung.html | |
[3] https://nicolai-publishing.com/products/bullshit-resistenz | |
[4] https://www.randomhouse.de/Buch/Die-aufgeregte-Gesellschaft/Philipp-Huebl/C… | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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