# taz.de -- Chinesische Charmeoffensive: Die schöne Welt von Huawei | |
> Kann man das 5G-Netz dem Huawei-Konzern anvertrauen? Keinem Unternehmen | |
> schlägt mehr Misstrauen entgegen als diesem Ausrüster. Ein Besuch. | |
Bild: In einem Serverraum bei Shenzhen | |
Huawei-Gründer Ren Zhengfei hat die Gäste in eine Säulenhalle gebeten, die | |
wie eine kitschige Reminiszenz an das alte Europa wirkt. An den Wänden | |
erzählen Gemälde Geschichten von Aufstieg und Niedergang. Sie zeigen | |
Napoleon bei seiner Krönung und bei der Schlacht bei Waterloo. Die | |
goldverzierten Wandschränke sind viktorianisch, die Statuen inspiriert vom | |
antiken Griechenland. | |
Sichtlich entspannt erscheint der 75-jährige Tech-Mogul zwischen den Säulen | |
in lachsrosa Hemd und olivgrünem Sakko. Angesprochen auf den Handelskrieg | |
zwischen Washington und Peking, gibt sich der Huawei-Gründer erstaunlich | |
siegessicher. Washington boykottiert sein Unternehmen und will, dass andere | |
Staaten dem folgen. Die Argumentation Washingtons: Wer das chinesische | |
Unternehmen beim Ausbau von 5G-Netzwerken einbindet, läuft Gefahr, von | |
Peking vollständig überwacht zu werden. | |
„Die amerikanische Regierung kann machen, was immer sie für richtig für | |
ihre eigenen Unternehmen hält“, entgegnet Ren. „Doch ich kann Ihnen | |
versichern, dass wir auch ohne amerikanische Technologie weiter wachsen | |
werden.“ Bislang geben ihm die aktuellen Wirtschaftszahlen recht: Im | |
dritten Quartal 2019 ist der Umsatz von Huawei vor allem dank seines | |
Smartphone-Geschäfts um 27 Prozent gestiegen. | |
Ren Zhengfei, der die Garagenfirma Huawei 1987 mit kaum 5.000 US-Dollar | |
Startkapital gründete, hat Huawei zum weltgrößten Hersteller von | |
Telekommunikationstechnik gemacht. Der Gründer selbst gilt als | |
verschlossen, nur selten gab er Interviews – bis jetzt. Die Diskussion um | |
Huawei als verlängerter Arm des Kommunistischen Partei Pekings hat Ren zu | |
einer neuen Strategie veranlasst. Ren will beweisen, dass Huawei ein global | |
geführtes und transparentes Unternehmen ist. | |
## Dutzende Ausländer polieren das Image auf | |
Für die neue Transparenz ist Glenn Schloss verantwortlich. „Wir sind | |
zwischen die Fronten geraten“, räumt der Australier ein, der als | |
Vizepräsident die Kommunikationsabteilung von Huawei leitet. „Die | |
Auswirkungen des Handelskriegs haben uns geschäftlich nicht groß getroffen, | |
dafür unser Ansehen umso krasser.“ Schloss hat einst als Journalist, unter | |
anderem für die Hongkonger South China Morning Post, berichtet. Nun soll er | |
das Huawei-Image aufpolieren. Schloss ist einer von über einem Dutzend | |
Ausländern, die das Unternehmen als Teil einer Charmeoffensive angeheuert | |
hat. „Huawei hat keinen guten Job in der Vergangenheit gemacht, sich selbst | |
und seine Technologie zu erklären“, gibt sich Schloss selbstkritisch. | |
„Diesen Preis zahlen wir jetzt.“ | |
Und der Preis ist enorm. Die Kosten des Handelskonflikts beziffert | |
Firmengründer Ren trotz des anhaltenden Wachstums auf 30 Milliarden | |
US-Dollar Gewinneinbußen für die nächsten zwei Jahre. Dem Unternehmen wurde | |
schließlich per Gericht verboten, technische Ausrüstung aus den USA zu | |
importieren. Man sei jedoch nicht mehr abhängig von der Technologie der | |
Vereinigten Staaten, heißt es dann gleich. Zudem verkaufe Huawei nur 1 | |
Prozent aller Huawei-Smartphones in den USA. In der chinesischen Heimat | |
konnte das Imperium seine Marktführerschaft bereits auf über 50 Prozent | |
ausbauen. Trotzdem fürchtet Huawei, dass die Trump-Regierung den Druck auf | |
seine Verbündeten erhöht, Marktzugänge in Europa und anderen Drittländern | |
zu verhindern. | |
Zwei Autostunden nördlich des Stadtzentrums der | |
12-Millionen-Einwohner-Stadt Shenzhen öffnet Huawei nun westlichen | |
Journalisten seine Pforten zur Smartphone-Produktion. In einem | |
Fabrikkomplex kümmern sich 20.000 Angestellte darum, dass jeden Monat über | |
2 Millionen Mobiltelefone vom Band gehen. Allerdings arbeiten an der 120 | |
Meter langen Fertigungsstraße von der Herstellung der Leiterplatte bis zum | |
Anbringen des Barcodes lediglich 17 Mitarbeiter. Fast alle Arbeitsschritte | |
werden von Industrierobotern erledigt, viele aus firmeneigener Produktion. | |
Es ist Präzisionsarbeit: Wenn das fertige Smartphone am Ende des Fließbands | |
mehr als sechs Gramm über der Norm wiegt, müssen alle Einzelteile noch | |
einmal überprüft werden. | |
## Verona, Grenada und die Jungfraubahn | |
Die neuesten Huawei-Innovationen werden aber einen Steinwurf entfernt, in | |
Verona, Fribourg und Grenada, ausgetüftelt. Unter der gleißenden Sonne | |
Südchinas hat Huawei ein Miniatur-Europa errichtet, in dem die | |
talentiertesten Ingenieure des Unternehmens ihre Büros haben. Durch den | |
sogenannten Ox-horn-Campus in Shenzhen führt ein roter Zug im Stile der | |
schweizerischen Jungfraubahn. Über einem künstlich angelegten Märchenteich | |
thront eine Kopie des Heidelberger Schlosses. | |
1,5 Milliarden Dollar hat Huawei investiert, dass das europäische Flair die | |
Kreativität seiner Mitarbeiter beflügeln möge. Der luxuriöse | |
Ingenieurscampus in Freizeitpark-Ambiente passt ins Firmenkonzept: 14 | |
Prozent seines Umsatzes von 105 Milliarden US-Dollar haben die Chinesen im | |
letzten Jahr in Forschung und Entwicklung investiert – und übertrumpfen so | |
Microsoft und Apple. | |
Damit bleibt das Unternehmen attraktiv für Talente wie den 27-jährigen Zhou | |
Yuhao. Der Ingenieur hatte bereits nach seinem Master-Abschluss an der | |
Columbia-Universität in einem New Yorker Start-up gearbeitet. Dennoch ließ | |
er sich im letzten Jahr – trotz niedrigerem Gehalt – von Huawei in sein | |
Heimatland abwerben. „Einerseits wollte ich näher bei meiner Familie sein. | |
Aber vor allem ist es eine Ehre, für Huawei zu arbeiten“, sagt er. | |
## Vom Design zur künstlichen Intelligenz | |
Bei Maracujasaft im Garten eines Firmenrestaurants schildert Zhou die | |
Vorzüge seines Arbeitgebers: Nach Feierabend bietet Huawei seinen | |
Mitarbeitern Yoga- und Kunstkurse an. Und wer in der firmeneigenen | |
Apartmentsiedlung eine Wohnung kaufen möchte, erhält Rabatt. „Vor allem | |
schätze ich die Flexibilität und Weiterbildungsmöglichkeiten: Alle paar | |
Jahre kann ich die Abteilungen im Unternehmen wechseln, etwa zum | |
Design-Bereich oder zur künstlichen Intelligenz“, sagt der Ingenieur. | |
Der Stolz Chinas auf seinen Hightech-Giganten manifestiert sich im | |
ultramodernen Huawei-Flagship-Store in Shenzhen. Auf Präsentiertischen | |
werden die neuesten Smartphones von den kaufkräftigen Kunden bestaunt, in | |
einem offenen Auditorium hält eine junge Videobloggerin gerade einen | |
Social-Media-Kurs. Die Dachterrasse gibt den Blick frei auf die | |
futuristische Innenstadt Shenzhens, die sich nur in Nuancen von Abu Dhabi, | |
Vancouver oder Chicago unterscheidet. Die steril sauberen Gehsteige werden | |
gesäumt von LED-Werbetafeln für 5G, das hier soeben flächendeckend | |
eingeführt wurde. | |
Es ist kein Zufall, dass das Huawei-Imperium ausgerechnet im | |
südchinesischen Shenzhen seinen Anfang nahm. Noch zu Beginn der 1970er | |
Jahre war das verschlafene Fischerdorf wenig mehr als ein paar Hütten am | |
Meer, heute erhebt sich über die Megacity eine der aufregendsten Skylines | |
des Landes. Die Berge an der Küste Kantons wurden einst mit Dynamit | |
weggesprengt, auf dem neu gewonnenen Land errichteten Arbeitsmigranten das | |
599 Meter hohe Ping An International Finance Center, eine architektonische | |
Machtdemonstration mit 115 Stockwerken. Bereits acht U-Bahn-Linien sind in | |
Betrieb, weitere fünf befinden sich im Bau. Statt genervtes Hupen und | |
Menschenlärm beherrscht den Sound der Stadt ein konstantes Summen: Taxis, | |
öffentliche Busse und ein Drittel aller Pkws fahren elektrisch. | |
1978 errichtete hier der kommunistische Reformer Deng Xiaoping aufgrund der | |
Nähe zu Hongkong die erste Sonderwirtschaftszone. Huawei-Gründer Ren | |
Zhengfei sah sofort seine Marktnische: Nur 0,2 Prozent aller Chinesen | |
besaßen damals einen Festnetzanschluss. Also importierte der Geschäftsmann | |
aus der Sonderverwaltungszone Hongkong sogenannte Festnetzverteiler und | |
verkaufte sie in den Provinzen Chinas weiter. Die eigene Produktion folgte | |
erst später: Den Schritt von Billigelektronik bis hin zu | |
Premium-Smartphones schafften die Ingenieure in nur 20 Jahren. | |
## Pilotprojekt in der Inneren Mongolei | |
Wie die 5G-Zukunft aussehen soll, wird im Huawei-Campus demonstriert, | |
einem Silicon-Valley-Abklatsch aus Dutzenden Forschungslabors in | |
verspielter Architektur. Ein Ingenieur mit Schlips, Nerd-Brille und | |
Soldatenfrisur präsentiert stolz die neuesten technischen Innovationen aus | |
dem Hause Huawei: Mithilfe von 5G werden bereits in einem Pilotprojekt in | |
der Inneren Mongolei Minentransporter durch die Kohlebergwerke fahrerlos | |
betrieben. Zudem steuert der Hafen in Ningbo seine Frachtcontainer | |
ebenfalls ohne Menschenhand. Die Technik verspricht dabei nicht nur eine | |
höhere Effizienz, sondern auch weniger Unfälle. | |
Gleichzeitig feilt Huawei auch an einer umfassenden Überwachung, die unter | |
Datenschützern in Europa die Alarmglocken schrillen lassen würden – etwa | |
flächendeckend eingeführte Gesichtserkennungskameras mit | |
Ganzkörperscannern. „Diese werden bald anhand der Bewegungsabläufe im | |
Ansatz erkennen können, ob etwa ein Passant ein Messer zückt. So lassen | |
sich Verbrechen verhindern“, sagt der Ingenieur und blickt durch seine | |
Nerd-Brille. „Unsere Kameras erfassen bis zu 300 Gesichter gleichzeitig. | |
Das ist hilfreich an öffentlichen Plätzen mit vielen Menschen, wie etwa dem | |
Platz des Himmlischen Friedens. Dort sind unsere Kameras bereits | |
installiert.“ Ausgerechnet an jenem historischen Ort in der Pekinger | |
Innenstadt also, an dem das chinesische Militär 1989 einen Volksaufstand | |
brutal niedergeschlagen hat. Mit 5G und künstlicher Intelligenz wäre die | |
Bewegung der Demokratieaktivisten wohl im Keim erstickt worden. | |
Die Diskussion über die Vertrauenswürdigkeit Huaweis hat auch in | |
Deutschland längst zu heftigen und kontroversen Diskussionen geführt. Mitte | |
Oktober erklärte die Bundesregierung zwar zunächst, Huawei am Aufbau des | |
5G-Netzes zu beteiligen. Dann allerdings lenkte sie aufgrund der wachsenden | |
Anzahl von Kritikern, darunter Bundestagsabgeordneten und | |
Nachrichtendienstmitarbeitern, ein. Nach einem Vier-Augen-Gespräch zwischen | |
Außenminister Heiko Maaß und Innenminister Horst Seehofer beschloss die | |
Bundesregierung, dass man sich nicht mit einer rein technischen Prüfung der | |
potenziellen 5G-Ausrüster begnügen will, sondern die Angelegenheit | |
„politisch bewerten“ möchte. Maaß sprach von einer „Vertrauensprüfung�… | |
facto käme dies einem Ausschluss Huaweis in kritischen Bereichen des | |
5G-Netzes gleich. | |
## Undurchsichtige Eigentümerstruktur | |
Der Verdacht auf staatliche Einflussnahme liegt auch in der | |
Eigentümerstruktur Huaweis begründet. Gründer Ren führt zwar bis heute das | |
Unternehmen, aber hält nur noch rund 1 Prozent aller Anteile. Die | |
restlichen 99 Prozent werden von der Mitarbeitergewerkschaft gehalten, die | |
über ihren Dachverband an den chinesischen Staat angebunden ist. Ob dies | |
Huawei zum verlängerten Arm der Pekinger Regierung macht, ließ sich bislang | |
zwar niemals beweisen. Doch auch Huawei selbst konnte die Vorwürfe bisher | |
nicht entkräften. | |
Viele Veröffentlichungen führen in dem Zusammenhang stets an, dass | |
Firmengründer Ren Zhengfei in seiner Jugend am Forschungsinstitut der | |
Volksbefreiungsarmee gearbeitet hat und seit 1978 als Parteimitglied | |
geführt wird. Mitarbeiter berichten, dass Ren trotz hervorragender | |
Geschäftsbilanzen stets von einem geradezu paranoiden Überlebensinstinkt | |
angetrieben werde. Seine Angestellten soll er intern oftmals als | |
„Kameraden“, „Offiziere“, das Verkaufsteam als „Frontsoldaten“ beze… | |
Doch Rens Lebensgeschichte lässt sich auch ganz anders erzählen. Als | |
ältestes von sieben Kindern ist er in bitterer Armut aufgewachsen. Rens | |
Eltern gerieten während der „Kulturrevolution“ schon früh ins Fadenkreuz | |
der Parteikader. Der junge Ren hat daher früh gelernt, dass jedes falsche | |
Wort in der Öffentlichkeit schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen | |
kann. | |
## Sicherheitsabkommen mit jedem Land | |
Überraschend offenherzig gibt sich Ren dann in seiner Firmenzentrale. Dass | |
ein 5G-Netz mit Huawei-Technik für die chinesischen Regierung | |
Spionagekanäle eröffne, schließt Ren kategorisch aus. Sollte es Zweifel | |
geben, wäre Huawei bereit, mit den Regierungen in Europa | |
Sicherheitsabkommen abzuschließen. „Ein solches Abkommen können wir | |
jederzeit unterschreiben“, beteuert er. | |
Kurz vor Ende des Gesprächs gibt Ren aber noch einmal ganz den Unternehmer: | |
„Ich verstehe nicht, warum europäische Unternehmen das durch den | |
Handelskrieg mit den USA entstandene Vakuum nicht besser geschäftlich | |
nutzen. Wenn es Geld zu machen gibt, wieso nicht die Chance nutzen?“ | |
12 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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