# taz.de -- Kontroverse um Ludwig Erhard: Bettelbriefe an eine SS-Behörde | |
> Ludwig Erhard hat willig mit dem NS-Regime zusammengearbeitet. Dies | |
> beweist sein Briefwechsel mit einer Himmler-Behörde. | |
Bild: Ludwig Erhard in seinem Element: als talentierter Selbstdarsteller | |
BERLIN taz | War Ludwig Erhard ein Profiteur der Nazis? Für manche Ökonomen | |
ist dies kaum zu glauben. Von Liberalen kommt wütende Kritik, seitdem die | |
taz dargestellt hat, wie Erhard willig mit NS-Behörden und der SS | |
kooperiert hat [1][(taz, 19. 9. 2019)]. | |
Die taz würde „Fake News“ verbreiten, schäumte [2][Thomas Mayer in der | |
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung]. Mayer war einst Chefökonom der | |
Deutschen Bank und sitzt heute in der Jury vom „Ludwig-Erhard-Preis für | |
Wirtschaftspublizistik“. | |
Mayer witterte ein böses Komplott: Die taz wolle „die Erzählung des | |
Liberalismus schädigen, indem sie das liberale Idol Ludwig Erhard in die | |
Nazi-Ecke“ stelle. Von dort war es nicht mehr weit bis zu dem Vorwurf, dass | |
die taz in Wahrheit kommunistisch sei: „Die russischen Bolschewisten | |
wollten in einer von ihren geführten Diktatur des Proletariats den Menschen | |
eine klassenlose Gesellschaft aufzwingen.“ | |
[3][Am vergangenen Freitag legte die FAZ nochmals nach]: Ganzseitig | |
beschwerten sich Otmar Issing und Daniel Koerfer über „aktuelle Attacken“, | |
die das Ziel hätten, Ludwig Erhard „zu diskreditieren“. Issing ist | |
bekennender Neoliberaler und war bis 2006 Chefvolkswirt bei der | |
Europäischen Zentralbank. Koerfer verwaltet das beträchtliche | |
Immobilienvermögen seiner Familie, ist zudem Zeithistoriker und Kurator des | |
Ludwig-Erhard-Zentrums in Fürth. | |
## Beliebter Trick | |
Issing und Koerfer wählen einen beliebten Trick, um Ludwig Erhard zu | |
exkulpieren: Sie argumentieren mit „Archivquellen“, doch diese Akten werden | |
unvollständig und einseitig präsentiert. Besonders deutlich wird dies bei | |
einem Briefwechsel, den Erhard mit dem „Reichskommissariat für die | |
Festigung des deutschen Volkstums“ führte. Erhards Schreiben belegen | |
eindeutig, dass er willig mit den Nazis kooperierte. Doch die FAZ zitiert | |
nur das Reichskommissariat, Erhards Briefe fehlen. | |
Das Reichskommissariat unterstand SS-Chef Himmler und wurde von einem | |
Vertrauten geleitet: SS-Gruppenführer Ulrich Greifelt, der später als | |
Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. | |
Anfangs gab es zwar Spannungen zwischen Erhard und dem Volkskommissariat, | |
die aber im Juni 1942 beigelegt waren: Himmlers Gefolgsleute wollten bei | |
Erhard eine Studie bestellen, wie sich das annektierte Polen ökonomisch | |
entwickeln ließe – wenn alle Polen gen Osten deportiert wären. Erhard | |
willigte freudig ein und verlangte 6.000 Reichsmark. | |
## Bereit, „volkspolitischen“ Zielen zu dienen | |
Erhard hatte Polen intensiv bereist und musste daher wissen, dass Ältere | |
und Kleinkinder diese Deportationen oft nicht überlebten. Dennoch hat er | |
mehrfach Bettelbriefe an das Reichskommissariat geschrieben, um diesen | |
Auftrag endlich zu erhalten. Auch telefonisch meldete er sich häufiger, um | |
die Mühlen der NS-Verwaltung zu beschleunigen. | |
Am 19. Mai 1943 war Erhard am Ziel: Greifelt unterschrieb einen offiziellen | |
Auftrag, der die „volkspolitische“ Aufgabe klar umriss. Erhard sollte „von | |
der Forderung (ausgehen), dass die Ostgebiete völlig mit deutschen Menschen | |
besiedelt werden“. Diese Studie hat Erhard nie fertiggestellt, und im | |
Dezember 1943 endet die Akte. Vermutlich wurde allen Beteiligten deutlich, | |
dass der Krieg verloren war und sich die Frage erübrigte, wie das | |
annektierte Polen ökonomisch zu entwickeln sei. | |
Aber wie bereits diesem Briefwechsel zu entnehmen ist, war Erhard gern | |
bereit, sich den „volkspolitischen“ Zielen der SS anzudienen, wenn sich | |
damit 6.000 Reichsmark verdienen ließen. Der Zeithistoriker Christian | |
Gerlach urteilt: „Es ist dringend nötig, dass Erhards Aktivitäten während | |
der NS-Zeit systematisch erforscht werden.“ Es gebe zwar Aufsätze zu | |
verschiedenen Einzelaspekten, aber bisher fehle ein Gesamtwerk. | |
4 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Ueberfaelliger-Denkmalssturz/!5624636&s=Ludwig+Erhard/ | |
[2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mayers-weltwirtschaft/ludwig-erhard-… | |
[3] https://edition.faz.net/faz-edition/wirtschaft/2019-11-01/cd89a2cf58187a89c… | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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