# taz.de -- Notwendige, gegenseitige Aufklärung: „Wir lernen offenbar umzude… | |
> Die Eröffnung des Humboldt Forums lässt auf sich warten. Ein letztes | |
> Gespräch dazu mit Rudolf zur Lippe, der am 6. September verstarb. | |
Bild: Rudolf zur Lippe von einer seiner Tuschschüttungen | |
„Mit und von einander Lernen der Kulturen“ war Rudolf zur Lippes | |
Übersetzung des „Dialogs der Kulturen“, den sich vor rund 20 Jahren | |
Klaus-Dieter Lehmann in einer ersten Konzeption vom Humboldt Forum im | |
wiedererbauten Berliner Stadtschloss erhoffte. Die Konkretisierung durch | |
den Künstler und Philosophen Rudolf zur Lippe erfolgte zehn Jahre später. | |
Da konnte man noch in der namensgebenden Universität das Rückgrat des | |
Projekts als einen Ort der Bildung sehen. | |
Freilich durfte man auch schon erste Zweifel hegen, ob Alexanders | |
Weltforschergeist wie Wilhelms Bildungsreformideen nicht den vielfältigen | |
Ansprüchen an das nostalgisch verkleidete Neubauprojekt unterliegen würden. | |
Sie mussten bei den Museen, also dem Asiatischen, dem Ethnologischen und | |
dem Stadtmuseum, vermutet werden; bei einer Kulturstaatministerin, die hier | |
eine leutselig entgegenkommende staatliche Selbstrepräsentation | |
imaginierte, und last not least bei den Verfechtern des Preußenschlosses, | |
die hier etwelchen feudalen Blütenträumen nachhängen wollten. | |
Es galt also, gerade im Berliner Wissenschaftsjahr 2010, im Zusammenhang | |
mit dem Projekt Humboldt Forum der Idee „eines erwachsenen Umgangs mit | |
einander und dem bedrohten gemeinsamen Ort Erde“, wie es Rudolf zur Lippe | |
formulierte, die nötige Beachtung zu verschaffen. Einem von Lippes | |
„Stiftung Forum der Kulturen“ und dem Verein Spree Athen anberaumten | |
Symposium gewährte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz damals zwar in | |
ihren repräsentativen Räumen Gastrecht. „Reaktionen von konzeptioneller | |
Bedeutung sind aber von den Verantwortlichen nie laut geworden“, wie zur | |
Lippe konstatierte. | |
Das erstaunt, trug hier doch „großherzig, kritisch und klug“ ein | |
überraschend vielfältig zusammengesetzter Kreis von Kulturschaffenden und | |
Wissenschaftlern aus aller Welt seine Sicht auf das „kühne Vorhaben“ vor. | |
Darunter der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, die | |
Leiterin des documenta X, Catherine David, der Regisseur Wim Wenders, die | |
Ethnologin Gisela Völger, die 1981 mit einer Ausstellung an dem von ihr | |
geleiteten Rautenstrauch-Joest-Museum zum kulturvergleichenden, weltweiten | |
Drogengebrauch Pionierarbeit leistete, oder der senegalesische Philosoph | |
Souleyman Bachir Diagne. | |
„Eine Auswahl der gesammelten Sichtweisen in einem Band zur Verfügung zu | |
stellen“, entschloss sich Rudolf zur Lippe dann wiederum fast zehn Jahre | |
später, als noch immer kein Konzept erkenntlich für einen neuen Blick auf | |
die außereuropäische Kulturgeschichte deutlich wird. Das Erscheinen des | |
Bandes wie die dann erfolgte Absage der Eröffnungsfeier des Humboldt | |
Forums, die in diesen Tagen geplant war, gaben Anlass zu einer – leider | |
letzten – Korrespondenz mit Rudolf zur Lippe, der 82-jährig am 5. September | |
in Berlin verstarb. | |
Die Herausforderung des Humboldt Forums sei es, „auf die unvorstellbaren | |
Möglichkeiten einer interkulturellen Welt sowie auf die bestehenden | |
ungeheuren Probleme einer bis heute weitgehend unreflektierten | |
Globalisierung zu antworten“, schrieb Rudolf zur Lippe und weiter: „Das | |
wurde in Berlin, in Deutschland politisch verkannt. Bei unseren | |
französischen Nachbarn wäre dies selbstverständlich eine Konzeption auf dem | |
Niveau des Präsidenten der Republik und von allen beteiligten Institutionen | |
übergreifend positiv angegangen worden.“ | |
## Vom Miteinanderlernen der Kulturen | |
Daher die kleine bürgerschaftliche „Initiative Humboldt Forum“, die den | |
„unverbindlichen Begriff Dialog ausweitet und die Vision einer „Aufklärung | |
auf Wechselseitigkeit“ verfolgt. Denn nur in „Kritik und Anerkennung im | |
Denken und Handeln der Anderen erwachsen gemeinsame Klarheit und | |
Besonnenheit“. | |
Dabei sind es, wie Rudolf zur Lippe schrieb, „im Wesentlichen vielleicht | |
westliche Strategien und indigenes Wissen von Zusammenhängen, die hier auf | |
einandertreffen und zu ergänzenden Einsichten und abwägendem Handeln führen | |
müssen“. Vor allem aber gehe es um die Frage: „Welches Interesse der | |
Anderen an uns ist geeignet, uns die rechte Neugier zu lehren, damit sie | |
uns weisen, welche Fragen sie von uns befürchten, welche sie sich | |
wünschen?“ | |
Gerade in der Frage des Umgang mit den kolonialen Kulturgütern „sehen wir | |
darin den einzigen Weg, die kurzatmig ‚Restitution‘ genannten Perspektiven, | |
hauptsächlich von einer gemeinsamen Zukunft, nicht vorrangig von einer uns | |
weiter konfrontierenden Vergangenheit her zu entwerfen.“ Um, nicht | |
untypisch für seine freie Art zu denken, daran in Analogie zu Fragen der | |
Klimakrise zu schließen: „Wo etwa in der Gewinnung von Elektrizität sich | |
gerade Einsichten neu verbinden, lernen wir offenbar umzudenken.“ | |
2 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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Greta Thunberg | |
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