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# taz.de -- ARD-Thriller „Wendezeit“: Die Spionin, die aus der Kälte kam
> Den Tag der Deutschen Einheit lässt sich die ARD nicht entgehen. Am
> Vorabend läuft ein Agentinnenthriller aus der Zeit des
> Ost-West-Konflikts.
Bild: Die Doppelagentin Saskia Starke (Petra Schmidt-Schaller) droht mit dem En…
Eine Frau ist an einen Lügendetektor angeschlossen. Die Bürostühle im
Charles-Pollock-Design machen klar, dass dies ein amerikanisches Office
sein muss, noch bevor das Porträt Ronald Reagans und Stars and Stripes
unscharf im Hintergrund erkennbar werden. „Haben Sie etwas mit dem Tod von
Ralf Hummel zu tun?“, lautet die Frage. Schnitt. Ein Champagnerkorken
knallt. Eine Bauchbinde informiert: „3 Tage vorher“. Und: „5. Oktober 198…
West-Berlin“.
Die Frau vom Lügendetektor ist die Gastgeberin einer großen Party in einem
großbürgerlichen Haus. Eine andere Frau, offenbar eine Kollegin, flüstert
ihr vertraulich in der Küche zu: „Da will einer überlaufen. Und er sagt,
wir haben einen Maulwurf.“ Zoom-in auf das – es ist nur aus dieser großen
Nähe erkennbar – besorgte Gesicht der Frau. Sie nimmt dann eine Pille, um
sich übergeben zu können, lässt sich von ihrem Mann (Harald Schrott) bei
den Gästen entschuldigen, trinkt aus einer Ampulle, damit es ihr wieder gut
geht.
Sie passiert den Checkpoint Charlie und begibt sich zu der Ost-Berliner
Wohnung des Mannes (Marc Hosemann), den sie als Überläufer identifiziert
hat. Sie kämpft mit ihm, tötet ihn – trotz des Messerstichs in ihrem Rumpf,
mit dem sie auch noch die Hausfassade herunterklettert, um den anrückenden
Volkspolizisten zu entkommen. Wieder zu Hause, zeigt sie sich erneut den
Gästen. Die Party ist in vollem Gange, die Musik bemerkenswert
geschmackssicher: „Don’t You Want Me“ von The Human League.
## Keine deutsche Feierstimmung
Der Mauerfall wird in diesem Jahr zum dreißigsten Mal begangen – allein den
Deutschen sei nicht zum Feiern zu Mute wie bei vorangegangenen runden oder
halbrunden Jubiläen, heißt es. Die fortgesetzte deutsche Teilung in den
Köpfen, die Erfolge der AfD im Osten lasteten zu schwer auf ihnen. Wie wird
da, unter diesen Umständen, die ARD ihrem Programmauftrag am Tag der
Deutschen Einheit gerecht? Mit einer langen „Sportschau“-Übertragung zur
Hauptsendezeit.
Der „FilmMittwoch“ am Vorabend und anschließend Sandra Maischberger –
fertig ist der „Themenabend“ – müssen es rausreißen. Vielleicht mit ein…
kontroversen Stück im Stil der Doku-Drama-Trilogie [1][„Mitten in
Deutschland: NSU“?] Oder ist so etwas [2][im Jahr nach Chemnitz] ein zu
heißes Eisen für einen Senderverbund, deren östliche Landesrundfunkanstalt
die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen kurzerhand zur „bürgerlichen“
Partei erklärte (was hinterher „nur“ der Freud'sche Versprecher einer
überforderten Journalistin gewesen sein sollte)?
Reine Spekulation. Tatsache ist jedenfalls, dass die ARD mit „Wendezeit“
(Regie: Sven Bohse; Buch: Silke Bohse) einen Agentinnenthriller aus der
Zeit des Ost-West-Konflikts zeigt, der amerikanischen Vorbildern à la „The
Americans“ und „Atomic Blonde“ näher sein will als deutschen Vorgängern
(wie „Unsichtbare Jahre“ oder „Der gleiche Himmel“). Davon künden nicht
allein der genregemäß rasante Einstieg, sondern etwa auch, dass die
Amerikaner hier – zur Primetime – Englisch sprechen dürfen.
## Ein erstaunlicher Schritt
Für einen Sender, der bislang noch jeden Film – auch solche, die von
(fremd-)sprachlichen Nuancen leben, wie etwa Julie Delpys „2 Days in Paris“
– totsynchronisiert hat, ist das ein erstaunlicher Schritt. Und eine
überfällige Annäherung an [3][Sehgewohnheiten im Netflix-Zeitalter]. Da
fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, wenn sich in den breiten
amerikanischen Akzent des großen Widersachers der Heldin, des
Agenten-Jägers in der amerikanischen Botschaft, in der sie undercover für
die DDR spioniert, gelegentlich dänisches Lispeln mischt. [4][Der „James
Bond“-erprobte] Ulrich Thomsen ist natürlich ein toller Besetzungs-Coup.
Und Petra Schmidt-Schaller spielt die Kalte Kriegerin – oder, wie man in
der DDR (Wann hat man eigentlich aufgehört, von der „ehemaligen“ DDR zu
sprechen?) sagte: Kundschafterin des Friedens – notwendig unterkühlt, aber
eben nicht kalt.
„Bei dem, was dir bevorsteht, darfst du niemandem vertrauen. Nicht einmal
mir, deinem Vater. Das ist deine einzige Lebensversicherung“, hat ihr ihr
Stasi-Vater (André Hennicke) 18 Jahre zuvor, eine Rückblende in der
Rückblende, mit auf den Weg gegeben. Der langjährige Chef der
Hauptverwaltung Aufklärung, der „Mann ohne Gesicht“ Markus „Mischa“ Wo…
(Robert Hunger-Bühler) höchstpersönlich ist ihr Führungsoffizier. Die DDR
kann sie nicht mehr retten – aber vielleicht sich selbst?
2 Oct 2019
## LINKS
[1] /NSU-Ausschuss-in-Thueringen/!5630581
[2] /Ein-Jahr-Chemnitzer-Ausschreitungen/!5625339
[3] /Neue-Netflix-Serie-Skylines/!5626552
[4] /Emmy-Awards-Gewinnerin-Waller-Bridge/!5625077
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Deutsche Einheit
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