# taz.de -- Nach Johnson-Merkel-Gespräch zu Brexit: Die Radikalen machen wiede… | |
> Britische Populisten begleiten die Brexit-Verhandlungen mit Ressentiments | |
> gegen Deutschland. Das EU-Lager kontert mit Unterstellungen. | |
Bild: Die „Leave-EU“-Kampagne von 2016 wurde von Nigel Farage unterstützt | |
BERLIN taz | Selbst für Twitter-Verhältnisse ist die Montage krass: Angela | |
Merkel mit erhobener Hand wie zum Hitlergruß, dazu der Satz: „Wir haben | |
nicht zwei Weltkriege gewonnen, um von einem Kraut herumkommandiert zu | |
werden“ – Deutsche hießen im englischen Slang der Nachkriegszeit „Krauts… | |
Gezeichnet ist das Meme „Leave.EU“. Das ist die im Internet weiterlebende | |
Brexit-Kampagne von Nigel Farage von 2016, die damals in Rivalität zur als | |
viel zu lasch und elitär empfundenen [1][Vote-Leave-Kampagne] von Boris | |
Johnson die Unterschichten mit antipolitischem Populismus ansprach und | |
durch die Mobilisierung abgehängter Nichtwähler die Volksabstimmung für den | |
EU-Austritt entschied. | |
Die Radikalen machen wieder mobil in der entscheidenden Phase der | |
Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über ein für beide Seiten | |
[2][akzeptables Brexit-Abkommen]. Auslöser für den kruden Aufschlag war die | |
Meldung, Angela Merkel habe Boris Johnson am Telefon gesagt, Großbritannien | |
werde die EU nur verlassen dürfen, wenn es Nordirland in der EU-Zollunion | |
belässt – eine schon von Theresa May als „für keine britische Regierung | |
annehmbare“ Aufteilung des britischen Staatsgebiets durch eine Zollgrenze. | |
Ob die Wiedergabe des Johnson-Merkel-Gesprächs stimmt – und sie ist bis | |
jetzt erstaunlicherweise weder klar bestätigt noch wirklich dementiert, | |
auch wenn alle möglichen Leute, die es gar nicht wissen können, sie für | |
unwahrscheinlich, da unmerkelhaft erklärt haben – ist leider völlig egal. | |
Reflexhaft lässt sie beide Seiten auf die Barrikaden der | |
Selbstgerechtigkeit steigen. Während das Farage-Lager gegen deutsche | |
Dominanz schäumte, schlagzeilte am Mittwoch die Süddeutsche Zeitung: | |
„Johnson gibt Brexit-Verhandlungen auf“ – eine Falschmeldung, denn es wird | |
weiterverhandelt. Auf der zweiten Seite legte das Blatt mit eigenen | |
Weltkriegstiteln nach: „Voll auf Angriff“ und [3][„Der Dünkirchen-Moment… | |
Aus Dünkirchen wurde im Jahr 1940 nach der deutschen Eroberung Frankreichs | |
die geschlagene britische Armee auf die Insel evakuiert. Dass eine führende | |
deutsche Tageszeitung ein Telefonat zwischen den Regierungschefs | |
Deutschlands und Großbritanniens mit dieser Metapher korrekt | |
zusammenzufassen meint, entspringt derselben unterirdischen Geisteshaltung | |
wie die Leave.EU-Fotomontage, bloß subtiler ausgedrückt. | |
## Suche nach Gemeinsamkeiten | |
Der Text der SZ behauptete, die Briten würden auf einen „Dünkirchen-Moment�… | |
hinarbeiten, weil das Johnson im Wahlkampf nützen werde – dass kein Mensch | |
in Großbritannien von Dünkirchen spricht, wurde verschwiegen. Das bewährte | |
Motto, auf das Beobachter in Brexit-Krisenzeiten immer gern zurückfallen: | |
Man unterstellt den Briten etwas und verweist dann darauf als Grund, warum | |
sie falsch liegen und man sich mit ihnen nicht verständigen kann. | |
Auffallend häufig ist derzeit von EU-Verantwortungsträgern zu hören oder zu | |
lesen, die Schuld für ein Scheitern der Verhandlungen liege allein auf der | |
britischen Seite. Die kontinentale Lesart ist: London will die | |
Brexit-Gespräche zum Scheitern bringen, notfalls durch das Durchstechen | |
eines vertraulichen Telefonats, und die Schuld dafür der EU in die Schuhe | |
schieben. Am deutlichsten sprach das in Reaktion auf die Telefonaffäre | |
EU-Ratspräsident Donald Tusk [4][in einem Tweet] aus, in dem er sich mit | |
Donald Trump verwechselt zu haben scheint: „@BorisJohnson, es geht nicht | |
darum, irgendein blödes Wer-ist-schuld-Spiel zu gewinnen. Es geht um die | |
Zukunft Europas und des Vereinigten Königreiches sowie die Sicherheit und | |
die Interessen unseres Volkes. Du willst keinen Deal, du willst keinen | |
Aufschub, du willst keine Absage, Quo vadis?“ | |
Wer wirklich verhandeln will, stellt nicht Schuldfragen in den Vordergrund, | |
sondern sucht Gemeinsamkeiten und baut auf ihnen einen Konsens auf. Das ist | |
zumindest auf europäischer Seite nicht zu erkennen. Verhandeln heißt aus | |
EU-Sicht: Die Briten legen vor, wir sagen Ja oder Nein (also eigentlich | |
immer Nein). Legitimiert wird das durch die Selbstgewissheit, zu den Guten | |
zu gehören – worin man sich durch Kraut-Vorwürfe bestätigt fühlt. Die in | |
Schottland lebende deutsche Professorin und Anti-Brexit-Aktivistin Tanja | |
Bultmann kommentierte die Merkel-Montage mit: „So sieht Brexit aus.“ Der | |
Satz hätte von Nigel Farage sein können. Wobei sich Leave.EU mittlerweile | |
entschuldigt und das Meme gelöscht hat. | |
9 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Brexit-Kampagne-Leave-Means-Leave/!5534680 | |
[2] /Schwerpunkt-Brexit/!t5313864/ | |
[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/brexit-johnson-merkel-1.4631831?reduced… | |
[4] https://twitter.com/eucopresident/status/1181519363783974912?s=20 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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