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# taz.de -- Angebote für Menschen mit Behinderung: „Selbsthilfe gibt den Kic…
> Angebote für Menschen mit Behinderung sind zu wenig bekannt, sagt Dominik
> Peter vom Behindertenverband. Ein Aktionstag soll helfen.
Bild: Gemeinsam stark
taz: Herr Peter, Sie sagen, viele Menschen wüssten gar nicht mehr, was
Selbsthilfe ist …
Dominik Peter: Uns begegnet es ganz oft, dass wir das erst erklären müssen.
Und selbst wenn Selbsthilfe bekannt ist, bestehen häufig Vorurteile
dagegen. Viele haben da nur ein Bild im Kopf: Eine Handvoll Männer beweint
sich, weil sie nicht vom Alkohol loskommen. Vielleicht kennen Sie den Film
„Der bewegte Mann“, da kommt das genau so vor. Aber tatsächliche
Selbsthilfe hat damit nichts zu tun.
Sondern?
Selbsthilfe ist heute sehr breit aufgestellt. Es gibt Angebote zu fast
jeder Art von Behinderung oder Erkrankung. Beratungen, Gruppentreffen, aber
zum Beispiel auch Angebote mit sportlichen Aktivitäten für psychisch
Erkrankte, weil man festgestellt hat, dass das enorm heilsam ist. Oder es
gibt eine ganz tolle Selbsthilfegruppe für traumatisierte Frauen aus
Kriegsgebieten. Sie wird geleitet von Frauen, die selbst vor vielen Jahren
traumatisiert nach Deutschland gekommen sind. Das ist auch das Besondere an
Selbsthilfe: Dass man mit anderen Betroffenen auf Augenhöhe sprechen kann
und Tipps bekommt. Dass das Gold wert ist, weiß ich aus eigener Erfahrung.
Ich hatte vor 20 Jahren einen Unfall und bin seitdem querschnittsgelähmt.
Schon im Unfallkrankenhaus wurde ich auf Selbsthilfeangebote aufmerksam
gemacht und wusste später genau, wohin ich mich wenden kann.
Das ist aber doch nicht die Regel?
Es gibt Krankenhäuser, die da sehr aktiv sind. Und dann gibt es ganz viele
Krankenhäuser und Ärzte, die das überhaupt nicht tun. Da werden die
Patienten entlassen und haben überhaupt keine Ahnung, dass es speziell für
sie Selbsthilfeangebote gibt. Warum bekommen die Patienten nicht direkt mit
ihrem Entlassungsbrief einen Überblick über die entsprechenden Angebote
mit?!
Wie gut steht denn Berlin in Sachen Selbsthilfe da?
Berlin ist eine kunterbunte Stadt, und das spiegelt sich auch in den
Selbsthilfeangeboten wider. Ich glaube, wir decken fast alles ab, was man
sich vorstellen kann, häufig gibt es sogar ein Angebot direkt in dem
Bezirk, in dem jemand wohnt. Es gelingt uns aber eben nicht, damit auch
durchzudringen. Dass zum Beispiel eine traumatisierte Frau, die in einer
Flüchtlingsunterkunft ankommt, nicht automatisch die Information bekommt,
dass es eine Selbsthilfegruppe speziell für Frauen wie sie gibt, das ist
ein Informationsnotstand, den wir sehr bedauern.
Ist Selbsthilfe besser als professionelle Hilfe oder eine Ergänzung?
Sich fremden Personen zu öffnen ist sehr, sehr schwer. Steht da aber eine
Person, die das Gleiche durchgemacht hat wie man selbst, dann – das erlebe
ich immer wieder – spricht man das heiße Eisen sofort an. Das kann ein Arzt
nicht leisten. Aber natürlich gibt es immer wieder den Punkt, wo Menschen
einen Arzt oder einen Krankenhausaufenthalt brauchen. Die Selbsthilfe ist
ein Glied in der Kette zur Gesundung.
Sind davon nur Sie überzeugt oder ist das auch die Schulmedizin?
Das ist ja das Interessante: Die Krankenkassen sind komplett überzeugt von
unserer Arbeit. Deshalb unterstützen sie zum Beispiel auch unsere
Aktionstage.
Was erhoffen Sie sich denn von der Aktion? Die Ärzte und Krankenhäuser
erreichen Sie damit wohl eher nicht …
Dass da ein Chefarzt vorbeikommt, glaube ich auch eher nicht. Wir wollen
die Betroffenen selbst erreichen. Deshalb gehen wir zentral auf den
Potsdamer Platz, mit Musik und Zelten, Werbung in U-Bahnhöfen.
Was hat Ihnen selbst die Selbsthilfe gegeben?
Das hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Ich lag Monate im
Krankenhaus, war vorher Reisejournalist und konnte mir gar nicht
vorstellen, dass ich jemals wieder arbeiten kann. Dann habe ich Menschen im
Rollstuhl getroffen, die ganz normal arbeiten, einen Bundestagsabgeordneten
zum Beispiel, der seine 16-Stunden-Arbeitstage schob. Das hat mir den Kick
gegeben, aus dem weinerlichen „Wie böse ist das Leben mit dir gewesen“
rauszukommen.
Und nun sind Sie seit Jahren selbst in der Selbsthilfe aktiv …
Weil ich das zurückgeben will, was ich selbst bekommen habe. Und auch dafür
bekomme ich so viel. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, da kommen mir heute noch
die Tränen. Im Sommer mieten wir immer barrierefreie Busse und fahren ins
Brandenburgische in ein Freibad. Dort gibt es einen Steg mit Lifter, sodass
Menschen, die nicht gehen können, ins Wasser gehoben werden können. Einmal
war auch eine Frau Anfang 80 dabei, und ich sagte zu ihr: „Und, gehst du
auch schwimmen?“ „Nee“, hat sie gesagt, „ich schau mir das nur an.“
Irgendwann packte sie doch ihren Badeanzug aus. Als wir zurückfuhren, nahm
sie meine Hand und sagte: „Das war seit vielen Jahrzehnten der schönste
Tag.“ Das ist Selbsthilfe.
10 Oct 2019
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Behindertenpolitik
Menschen mit Behinderung
Selbsthilfe
Leben mit Behinderung
Rollstuhlfahrer
Menschen mit Behinderung
Barrierefreiheit
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